Der Typ des "volldigitalen Pfarrers"
tritt besonders häufig unter
den Pfarrern zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr
in den städtischen Ballungsräume der Landeskirchen auf.
In den ländlichen Regionen findet man sie nicht oder nur
sehr selten, was zum
einen daran liegt, daß ein Pfarrer dieses Typs im dörflichen
Umfeld sehr
rasch von seiner Gemeinde in die urbanen Gefilde der Kirche weggelobt
würde, zum anderen daran - vgl. die Ausführungen über
den "Landpfarrer,
der im aktiven Dienst 50 wird" -, daß in dieser Altersgruppe
nur verschwin-
dend wenige Exemplare der übergeordneten Gattung überhaupt
zu beobachten
sind.
Der Pfarrer dieses Typs ist wirklich
meist männlich und gläubig - fortschritts-
gläubig! Er besitzt ein Faxgerät, einen Computer, ein
Notebook, einen ISDN-
Anschluß, ein Handy, eine Internetseite, eine EMail-Adresse,
eine Sprechanlage
am Pfarrhaus und einen Anrufbeantworter. In seinem Auto gibt es
ein terrestrisch
und satellitengestütztes Navigationsgerät mit farbigem
Display.
Selbstverständlich dient das
alles nicht seiner kindlichen Freude am Spiel
oder seiner Technikbesessenheit, sondern einzig seiner Kirchengemeinde!
Da der volldigitale Pfarrer ja nur
Theologie studiert hat und ansonsten als
Kommunikationstechniker, Computerfachmann, Informatiker, Programmierer
und Mediendesigner dilletiert, kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten
mit
sowie Bedienungsfehlern an oder Totalausfällen der "dienenden"
Mitglieder
seines Geräteparks. Eine andere leidige Sache ist, daß
die zahlreichen "Hilfs"-
mittel bei der Pfarramtsführung viel Zeit für die Einarbeitung
(des Pfarrers!)
brauchen und auch im laufenden Betrieb der ständigen Wartung
und Pflege
bedürftig sind. Leider hat auch der Tag des volldigitalen
Pfarrers aber nur 36
Stunden und die zeitliche Bedürftigkeit der Geräte nach
Zuwendung wächst
nicht arithmetisch, sondern exponentiell. So erweist sich in der
Praxis immer
wieder eine gewisse Inkompatibilität dieses Pfarrertyps mit
seinem technischen
Arsenal, aber auch von diesem mit einem gedeihlichen Dienst in
der Gemeinde.
Drei Beispiele - von unzähligen! - mitten aus dem Leben:
Die Faxnummer des volldigitalen Pfarrers
ist immer besetzt. Das liegt oft daran,
daß kein Papier im Gerät vorhanden ist oder die Nummer,
die noch im kirchlichen
Adressenverzeichnis steht, schon vor Jahren durch eine andere
aus dem ISDN-
Nummernvorrat ersetzt wurde, oder weil das Fax von der Stromversorgung
ge-
nommen wurde, um einem neuen externen DVD-Laufwerk den Anschluß
zu ermög-
lichen.
Bei Anruf erreicht man wirklich meist das betreffende Pfarramt
- allerdings nur
den Anrufbeantworter. Dieser verweist das Gemeindeglied, das möglicherweise
einen Sterbefall anmelden möchte, mit dem hilfreichen Hinweis
darauf, welche
Nummer es gerade angerufen hat, auf die Nummer des Gemeindebüros.
(Die
Hintergrundgeräusche der Ansage: Schreiende Kleinkinder,
die Pfarrfrau: "Kannst
du jetzt nicht endlich...", und/oder das Abstellen einer
Kaffeetasse auf einem Bücher-
stapel.) Am Ende gibt es die Möglichkeit, nach einem Piepton
eine Nachricht auf-
zusprechen. Es piept aber 12mal und unser Anrufer hat den Eindruck,
daß es
doch besser ist, das Gemeindebüro anzurufen und dem "AB"
nichts anzuvertrauen,
was aller Wahrscheinlichkeit nach doch niemals abgehört wird.
Im Gemeindebüro erfährt unser Anrufer - selbstverständlich
von Band! - die Dienstzeiten
des Herrn Pfarrer. Ein Blick auf die Uhr belehrt ihn, daß
eigentlich gerade Dienst-
beginn ist... Also zweiter Anruf im Pfarramt. Inzwischen wurde
hier auf eine andere
Ansage umgestellt: "Herr Pfr. X ist in der Gemeinde unterwegs.
In dringenden
Fällen rufen Sie das Gemeindebüro unter Nummer.... Jetzt
beschließt man, persönlich
zum Pfarrhaus zu laufen; was sind denn die drei Kilometer, wenn
es doch um einen
Todesfall geht!
Sein Handy ist dem digitalen Pfarrer
ständiger Begleiter. Die Nummer hierzu ist
den einfachen Gemeindegliedern selbstverständlich nicht bekannt.
Nur Freunde -
besonders andere volldigitalisierte Pfarrer - haben sie - im ritualisierten
Austausch -
bekommen. Diese Freunde machen allerdings regen Gebrauch von diesem
Geheim-
wissen. Sollte der Pfarrer z.B. gerade an einem Krankenbett sitzen,
dann ist die rechte
Zeit, ihm die neuesten Sonderangebote aus Mediamarkt und Saturn-Hansa
durch-
zugeben. Das Handy meldet sich also (...wie nett!: mit einem dezenten
"Lobe den
Herren...") und unser Pfarrer erkennt am Feldstärkebalken
sofort den schlechten
Empfang im Krankenzimmer. Er entschuldigt sich also kurz bei Herrn
Meier, der
mit einem Prostataleiden darniederliegt ("Ganz wichtiger
Anruf, dienstlich!") und
steigt auf den Kleiderschrank in der Zimmerecke, wo der Signalbalken
auf eine zufrie-
denstellende Höhe klettert.
Die Internetseite des volldigitalen
Pfarrers sieht aus, wie wenn Hühner laufen. Das
ist allerdings nicht weiter schlimm, denn es verläuft sich
im Schnitt nur alle 6,345
Wochen ein Surfer auf die Präsentation. Daß er niemals
wiederkommt, dafür sorgen
wichtige Informationen wie: "Leiterin der Still-Gruppe: Frau
Rosel Schmatz-Sauger,
Tel.: ...." und "Dieser Gemeindebrief ist gedruckt auf
ungebleichtem, chlorfreien
Unterweltpapier". Außerdem - um die Abschreckung auf
die Spitze zu treiben - sind
alle Texte mit einem leseerschwerenden Blümchenhintergrund
unterlegt und oben
rechts prangt das Signet: "Zuletzt aktualisiert: Karfreitag
1988" (der Tag übrigens,
an dem der digitale Pfarrer sein erstes CD-ROM-Laufwerk in Betrieb
nahm!).
Die guten Eigenschaften des volltigitalen
Pfarrers haben mit seinem satellitenge-
stützten Navigationsgerät im Auto zu tun: Mit seiner
Hilfe ist er noch immer an
den jeweiligen Tagungsort der Pfarrkonferenz gelangt! Er kommt
dort zwar meist
als letzter, aber doch immer rechtzeitig nach der Andacht an.
Außerdem ist unter den
Kollegen sehr beliebt, daß der digitale Pfarrer ihnen hin
und wieder - vielleicht aus
Anlaß des Reformationsfestes - eine Ausgabe der Lutherbibel
auf CD-ROM gebrannt
zum Preis des Rohlings (2,95 DM) mitbringt.