Predigt zum Beginn der Urlaubszeit - 30.6.2002 Liebe Gemeinde! Der eine oder andere mag es ja albern finden, aber mir ist vor dem Urlaub immer so ein bißchen nach Abschied zumute. Immerhin: Vielleicht fünf Wochen kommen zusammen, bis wir uns wieder sehen, drei Wochen Urlaub habe ich, wenn ich zurück bin, dann sind einige von ihnen vielleicht gerade erst in die Ferien gefahren... Wenn man sich für eine Weile trennt, sagt man sich gute Wünsche, man dankt einander vielleicht auch, für alles Gute, was man sich getan hat? Man spricht von Hoffnung und gesunder Heimkehr. - Wenn Christen sich für längere Zeit nicht sehen, kommt noch etwas hinzu. Mir ist das vor Tagen deutlich geworden, als ein Mensch aus der Gemeinde angerufen hat. "Herr Pfarrer", hat er gesagt, "Sie beten doch für mich? Sie wissen ja, was ich brauche, Sie kennen meine Sorgen, meine Krank- heit, meine Schwäche... Denken Sie an mich, auch wenn Sie in Urlaub sind!" Was ich geantwortet habe? Ich habe gerne zugesagt! Nicht leichthin, versteht sich, sondern ganz bewußt, daß ich das jetzt auch tun werde: Für diesen Menschen und sein Anliegen beten! Jeden Tag, treu und zuverlässig. - Warum ich ihnen das jetzt erzähle? Nicht daß sie das jetzt wissen, oder daß sie gar staunen: "Sieh mal, der Pfarrer betet auch für die Leute aus der Gemeinde!" (Das halte ich, nebenbei gesagt, für ganz selbstverständlich!) Nein, nicht deshalb. Aber, wie gesagt, mir ist bei die- sem Anruf etwas deutlich geworden. Einmal, daß es wirklich Menschen gibt, die darum bitten, de- nen das ganz wichtig ist, daß andere für sie beten, und dann: Daß ja auch ich mir das wünsche und daß auch ich das brauche: das Gebet anderer - ihr Gebet, liebe Gemeinde! Deshalb soll heute - bei diesem Abschied für vier oder fünf Wochen - das noch hinzukommen zu all unseren guten Wün- schen: Daß wir einander auch versichern, ja, ich will im Gebet an dich denken! Bei Christen soll es nicht getan sein mit Dank und der Hoffnung auf gesunde Rückkehr. Christen sollen einander auch im Gebet vor ihren himmlischen Vater bringen. Mancher denkt jetzt vielleicht: Was nützt es eigentlich, wenn wir einer für den anderen beten? Viel- leicht mußten sie ja schon schwere Erfahrungen machen, bei denen sie den Eindruck hatten, kein Gott hat sie gehört? Und schließlich gibt es ja heute auch genug Menschen, die beten selbst lange nicht mehr und für die betet auch keiner - wie wir denken - und doch geht es ihnen auch so bestens, nach außen hin jedenfalls. - (Das sind alles schwierige Fragen, nicht wahr?!) Auf der anderen Seite gibt es unter uns sicher auch solche, die haben innerlich gleich zugestimmt: Ja, das möchte ich auch gern haben, daß der Pfarrer für mich betet - und ich will das auch gern für ihn tun. Sie, die sich das wünschen, haben andere Erlebnisse mit dem Beten gemacht. Darum ist ihre Einstellung dazu jetzt auch anders. Wieder andere wissen nicht so recht: Hilft das Beten nun oder hilft es nicht? Ist es "eine Macht", wie viele behaupten, oder ist es überflüssig? Geschieht nur Gottes Wille, läßt er sich manchmal durch ein Gebet erweichen, oder können wir beides zusammenreimen: Daß Gottes Wille die Welt und mein Leben bestimmt - und daß doch auch mein Gebet gehört und auf irgendeine Weise erfüllt wird? Fra- gen über Fragen. Wie löst sich das alles? Gibt es auch die eine oder andere Antwort? Etwas, das uns hier mitgegeben wird und uns begleitet - in und durch die Urlaubszeit? Gehen wir so ein wenig entlang an diesen Gedanken und Fragen? Was nützt es eigentlich, das Be- ten? - Das weiß der am besten, der es übt! Was es "nützt", geschieht ja gar nicht erst hinterher! Flei- ßige Beter erfahren schon während sie beten eine Menge: Ruhe, Besinnung, Konzentration, Friede, Kraft... Wie gesagt: Das weiß nur der, der Übung hat - aber die ist doch leicht zu bekommen! Und nun zu den "schweren Erfahrungen", wie sie manche machen mußten - trotz ihrer Gebete. - Wer sagt, daß sie nicht noch viel schwerer gewesen wären, ohne Gebet? Und wer sagt, daß nicht schon die Möglichkeit, beten zu dürfen, ihnen die schwere Zeit leichter gemacht hat? Hernach wer- den wir oft ungerecht; dann fragen wir nur noch nach dem sichtbaren Erfolg unserer Gebete: Sind wir gesund geworden? Ist das Unglück ganz überwunden? Wurden wir gerettet? Wer aber fragt dann noch nach der ruhigen Nacht aus der Kraft des Gebets? Wer weiß dann noch, wie er still wurde und gefaßt und wie er dann das Schwere - mit Gottes Hilfe - bestehen konnte? Wer sieht die vielen kleinen Wirkungen seines Betens? Wirklich: Wir sind gern ein Bißchen ungerecht, hinterher - und undankbar auch! - Und eins ist ja nun ganz sicher: Daß Gott uns noch lange nicht alles gibt, was wir ihn bitten! Wie können wir dann meinen, er würde uns nicht hören, nur weil er unsere Wünsche nicht erfüllt? Vielleicht will er uns auch nicht geben, was wir bitten? Weil es nicht gut für uns wäre! Ja, ich weiß schon, dazu meinen wir wieder, wir wüßten's doch am besten...und wenn einer den richtigen Weg für mich kennt, dann doch wohl ich selbst... - Was sind wir so anmaßend! Wer ist der "Vater"? Und wer ist das "Kind"? Und dann: "Viele Menschen beten selbst nicht mehr..." Das stimmt gewiß! Allerdings mit Einschrän- kungen. Ich habe schon viele kennen gelernt, die waren ganz am Boden, ganz tief unten...und was glauben sie, auf einmal wußten sie wieder wie das geht, die Hände falten und sagen: "Gott, hilf mir, reiß mich heraus, ich weiß nicht mehr weiter!" Aber das andere stimmt wieder gar nicht: Es würde für diese Menschen keiner beten! Ich tue es selbst und ich weiß, viele tun es: Gerade für diese Leute beten, die es selbst nicht mehr können oder wollen! - Mir hat einmal eine kleine Geschichte, ich glaube aus einem christlichen Kalender, sehr deutlich gemacht, wie nötig unser Gebet für gerade diese Menschen ist. Ich will ihnen die Geschichte mit meinen Worten nacherzählen: Da steht ein Mann vor seinem letzten Richter. Er weiß, er hat den Himmel nicht verdient, ihn sich schenken zu lassen, war er sich auch immer zu gut. Sein "Stolz" hat das nicht gewollt. Er fand das so "würdelos", daß sich die Christen nur auf das Verdienst Jesu Christi berufen! Das hatte er doch nicht nötig. Jetzt waren seine Hände leer. Absolut leer. Kein ei- genes gutes Werk lag darin, das Opfer Jesu hatte er nie annehmen wollen... Für ihn gab es keinen Einlaß in Gottes ewige Welt. Für ihn nicht! Da hört er den Richter sagen: Tritt ein, sei willkom- men! Der Mann ist völlig überrascht, will es nicht glauben, zögert - und fragt: Warum, Herr, wa- rum? Wie kannst du so gnädig sein? Und die Antwort ist - und die kann ich nie vergessen: Eben hat ein Mensch auf der Erde für dich gebetet! Darum: Tritt ein! Ja, ich glaube seitdem, wir haben als christliche Gemeinde auch die Aufgabe der Stellvertretung vor Gott: Daß wir die, gerade die, nicht fallen lassen, die sich selbst fallen gelassen haben. Daß wir treu für die beten, die selbst nicht mehr treu beim Gebet sind. Daß wir für die um Vergebung bitten, die mit allem, was uns heilig ist, ihren Spott treiben. Daß wir auf die Macht des Betens setzen anstelle und zugunsten derer, die auf diese Macht pfeifen. Recht behalten werden die Beter! - Wenn wir den einen oder anderen mit unse- rem inständigen Gebet retten und herausreißen könnten?! - Darum: Bitte bleiben sie beim Beten für die, die es selbst nicht mehr tun! Die schwierigste Frage ist vielleicht die nach Gottes Willen und dem Sinn unseres Gebets? Wenn das nun gegeneinander hin geht? Wenn Gott nun genau das Gegenteil von dem möchte, was ich mir er- bitte? "Erbitte", habe ich eben gesagt. Und meist denken wir ja auch ans Bitten, wenn wir die Hände zusammenlegen! Ein wenig Antwort ist schon das: Wenn wir einmal danken, oder wenn wir Gott loben und preisen, oder wenn wir ihm einfach am Abend unseren Tag erzählen und unser Herz bei ihm ausschütten - das paßt wunderbar zu seinem Willen! Würden wir's nur mehr üben! Und wenn wir wirklich einmal bitten - dann haben wir ja schon eine ganze Menge Sinn darin geschenkt be- kommen, daß wir ein Ohr gefunden haben, einen Zuhörer, einen verständnisvollen Freund... Ich traue Gott überdies zu, daß er seinen Willen auch mit meiner Bitte zusammenbringen kann, wenn ich das auch nicht begreife. Oft genug aber habe ich schon erfahren dürfen, daß Gott und sein Tun wun- derbar ist und weit größer als mein kleiner Verstand! Jedenfalls: Was sich hier alles so schwierig und vielleicht unlösbar anhört, hat im praktischen Leben häufig eine ganz andere Bedeutung: Was ich wirklich erlebt habe, das läßt meine Fragen ja oft wie von selbst verstummen. Wem durch eine dunkle Strecke Wegs geholfen wurde, der wird nicht mehr zweifeln, daß Gott hilft. Wer Gebetserhörung erfahren hat, der kann gar nicht mehr klügeln und rät- seln, ob Gott wohl wirklich in sein Leben eingreift! So möchte ich am Schluß die Antwort geben, die eigentlich die einzige Antwort auf alle Fragen zum Beten sein kann: Üben wir auch weiter oder neu das Beten! Bleiben wir treu dabei, unsere Hände zu falten, wieder und wieder, in Lob und Dank - und gern auch im Bitten. - Wir werden erfahren, daß es stimmt - auch wenn unser Kopf es nicht fassen und verstehen kann: Das Gebet ist eine Macht! Heute - bei diesem Abschied für einige Wochen - bitte ich sie um ihr Gebet für meine Familie und mich und auch für alle anderen Gemeindeglieder. Ich verspreche ihnen allen, auch dem Anrufer von vor Tagen, daß ich auch für sie beten werde und täglich an sie denken will - vor Gott. In diesem Sinn: Eine gesegnete Zeit - bis wir uns wieder sehen!