Predigt zum Beginn der Urlaubszeit Liebe Gemeinde! Was bewegen einen doch so viele Gedanken - vor einer langen Ferienzeit, wenn man so viele Wo- chen fort ist, fern der Heimat, weit weg von den Menschen, die man kennt und mit denen man ver- traut ist! Auf der anderen Seite aber freue ich mich auch auf die Familienfreizeit und den Urlaub, den wir da- nach noch haben... Vielen von Ihnen geht es sicher ähnlich: Es sind zwiespältige Gefühle, die wir empfinden, wenn wir in Urlaub gehen und wirklich einmal wegfahren: Einerseits Freude, Hoffnung auf schöne Erfahrun- gen, Bilder für die Erinnerung, andere Menschen, Sehenswürdigkeiten, Landschaften und viele Er- lebnisse... Andererseits eine gewisse Bangigkeit: Wie geht es zu Hause - ohne uns? Was wird ge- schehen, während wir nicht da sind? Wie werden wir es antreffen unterwegs, am Urlaubsort, in un- serem Quartier, mit dem Wetter... Werden wir uns erholen können? Werden wir hinterher sagen: Es war wirklich ein schöner Urlaub? Und dann - gerade bei uns Menschen vom Land ist das ja so - wir fragen uns doch auch, ob wir uns so eine Urlaubszeit eigentlich gönnen dürfen? Das gab's doch frü- her nicht. Da war gerade der Sommer voller Arbeit. Wer hätte denn wegfahren können, wenn auf den Feldern und in den Gärten die Früchte reifen? Und dann das Vieh im Stall! Wenn es nun auch nicht mehr so ist - bei den meisten von uns - es ist doch noch in uns und manchmal so stark, daß wir nur schwer dagegen ankommen. Noch andere unter uns werden nicht wegfahren. Sie werden versuchen, in ihren Vierwänden ein biß- chen Erholung zu finden. Einmal ein paar freie Tage vielleicht. Oder eine Fahrt am Wochenende. Vielleicht machen Sie sich's auch einfach einmal schön am Abend oder am Sonntag auf der Terrasse, bei einem Glas Wein oder beim Grillen... - "Gottesdienst zum Beginn der Urlaubszeit - mit Reisesegen" stand für heute morgen in den kirchli- chen Nachrichten der Zeitung. Und da will ich jetzt alle ansprechen, die Menschen, die verreisen und alle die bleiben, die mit den frohen Gefühlen der Erwartung und die mit der Bangigkeit, und auch alle, bei denen beides im Herzen ist. Und natürlich - und vielleicht besonders die, denen es schwerfällt, sich überhaupt einmal etwas Schönes, ja gar eine Reise im Sommer zu gönnen! - Eine gute kleine Geschichte wird mir dabei helfen: "DER SCHLAF" Ein jüdischer Rabbi, Schmelke mit Namen, pflegte, damit sein Lernen über der Heiligen Schrift, sein Studieren und Meditieren keine zu lange Unterbrechung erleide, nie anders als sitzend zu schlafen, den Kopf auf dem Arm und zwischen den Fingern eine brennende Kerze, die ihn we- cken sollte, sowie die Flamme seine Hand berührte. Einmal nun kam ein befreundeter Rabbi zu Schmelke. Als der den seltsamen Brauch Schmelkes sah, sich vor dem Schlaf zu bewahren, ü- berredete er Schmelke, sich doch einmal auf einem Ruhebett zum Schlaf auszustrecken. Schmelke schlief bis zum anderen Morgen. Er merkte, wie lange er geschlafen hatte, aber es reute ihn nicht, denn sein Geist war auf einmal von einer nie gekannten sonnenhaften Klarheit und sein Körper war erfrischt, wie er es noch nie vorher empfunden. Er ging ins Bethaus und betete der Gemeinde vor. Den Menschen aber erschien es, als hätten sie ihn noch nie gehört, so klar waren seine Gedanken, so bezwingend die Macht seiner Rede. Später sagte Schmelke zu seinem Freund: "Jetzt erst habe ich erfahren, daß man Gott auch mit dem Schlafe dienen kann!" Liebe Gemeinde, ich will bei dieser Geschichte jetzt statt "Schlaf" - "Urlaub" einsetzen. Dann hieße der letzte Satz so: "Jetzt erst habe ich erfahren, daß man Gott auch mit dem Urlaub dienen kann!" Aber fangen wir vorne an: Ist das nicht wirklich auch unsere Lage, daß wir, um dieses Bild aufzu- nehmen, mit einer brennenden Kerze dahocken, daß wir nur ja nicht "einschlafen" oder anders ge- sagt, daß wir nur nicht einmal ausspannen, die Seele baumeln lassen, einmal beiseite schieben, was uns sonst tagein tagaus beschäftigt und beschwert? Das ist bei denen so, die meinen, es wäre ja doch ein bißchen anrüchig oder unangemessen, oder auch den anderen gegenüber ein un-verdienter Vor- zug, wenn man sich einmal ein paar Ferientage erlaubt oder gar 14 Tage richtigen Urlaub! Und - ich bin einmal sehr offen - selbst hinter der vermeintlichen Bangigkeit vor den Ferien könnte sich ja ei- gentlich auch unsere Hemmung verstecken, uns die Freude eines Urlaubs zu gönnen und innerlich zu bejahen, daß wir uns einmal erholen und ein paar frohe Tage haben! Und gerade die vielen Gedan- ken, die wir uns um Zuhause und unsere Leute machen, sehen ja wirklich ganz danach aus, als woll- ten wir uns damit selbst die unbeschwerten, fröhlichen Ferientage vermiesen. Es ist sicher so: Wir sind weniger von Vergnügungssucht getrieben oder der Leidenschaft nach stän- diger Erholung und heiteren Stunden am Meer oder in den Bergen als davon, uns nur ja kein zu gro- ßes Stück vom erfüllten und vielleicht auch einmal süßen Leben zu genehmigen. Das ist sozusagen die "brennende Kerze", die wir in Händen haben. Aber jetzt wollen wir auch auf die Geschichte von Rabbi Schmelke hören und wenn es geht, laßt sie uns beherzigen! Als er sich einmal dem Schlaf überläßt, erfährt er erst, was er bisher entbehrt hat. Sagen wir's für uns: Lassen wir doch einmal all die belastenden Gedanken fahren! Daß unser Zuhau- se, der Teil der Familie, der daheim bleibt, dem Chaos und dem Untergang geweiht ist, wenn wir für 4 oder 5 Tage fehlen. Es wird ganz gut gehen, ohne uns! Daß wir am Urlaubsort alle möglichen Schwierigkeiten haben werden und wir keine Erholung finden. Das muß doch jeder zugeben: Die andere Seite wird sich schon bemühen; sie wollen ja auch etwas von uns, nämlich unser Geld und werden sich schon anstrengen, daß wir am Ende gern bezahlen. Und das Wetter? Es gibt so viel, was wir machen können auch bei trübem Himmel, selbst wenn es regnet. Die Sonne ist nicht alles! Eine andere Sonne haben wir hier drinnen. Auf die kommt es mehr an! Und vor allem: Erlauben wir uns das doch, Ferien haben, Freude empfinden, einmal frei sein und un- beschwert... Wir dürfen das! Wenn wir christlich gebunden sind und wir uns von Gott her diese "Er- laubnis" wünschen, dann schauen wir doch in die Heilige Schrift - und fangen wir gleich vorn an: Zuerst war nicht die Arbeit da, wir sehen es an Adam und Eva, sondern der Urlaub, das unbelastete Leben, frei von Sorgen darum, wer wird mich kleiden, wer wird mich nähren... Ewige Ferien sozu- sagen. Dann erst kam die Arbeit "im Schweiße des Angesichts", dann erst kam das "sich mühen und plagen" auf dem Acker oder später in den Werkstätten, Büros und Amtsstuben. Wie habe ich neulich gelesen: "Gott achtet uns, wenn wir arbeiten, aber er liebt uns, wenn wir singen!" Wo hat Jesus gesagt, der Zöllner Matthäus oder Zachäus, der Fischer Petrus oder der reiche Jüng- ling sollten fleißig arbeiten. Im Gegenteil: Folgt mir nach, hat er gesagt! Und da frage ich sie: Wie folgen wir ihm denn besser nach, wann haben wir denn die Gedanken mehr frei für ihn und seine Sa- che, wenn wir schuften und schaffen oder wenn wir uns ausruhen und Urlaub machen? - Die vollen Kirchen an den Ferienorten sagen da eine ganz deutliche Antwort! Und schließlich, zwar zuletzt, aber doch wahrhaftig nicht der unwichtigste Gedanke: Wie viel woh- ler fühlen wir uns doch, wenn wir einmal ausgespannt haben, einmal zu uns gekommen sind und viel- leicht ja auch zu Gott! Wie gut tut uns das, uns einmal zu bewegen, nicht nur unseren Körper, auch unseren Geist, einmal zu spielen, uns zu unterhalten einmal nicht zu fragen, wofür und was denn der Zweck ist... Und wie gut wird das auch unserer Umgebung tun, wenn wir zurückkommen und ein- fach einmal besser gelaunt sind, erholt, ausgeschlafen, mit neuen Ideen und neuer Kraft. Nicht nur für Rabbi Schmelke täte ein Urlaub und ein guter, langer Schlaf einmal not! Auch für uns! Gott will fröhliche Kinder, die spielen und sich freuen können. Gott will ausgeglichene Leute mit genügend Erholung und nicht gebeugte, pflichterfüllte, von der Arbeit und den tausend Mühen des Lebens bedrückte oder besessene Menschen, die gar nicht mehr die Schönheit der Welt und des Le- bens sehen und genießen können. Und vor allem will er Leute, die als entspannte, fröhliche Men- schen dann auch den anderen etwas weitergeben können von der Kraft und den guten Gedanken, die sie im Urlaub, bei Spaß und Spiel gesammelt haben. Ob Rabbi Schmelke nach seiner guten Erfahrung geheilt war von seinem unsinnigen, selbstquäleri- schen Brauch mit der brennenden Kerze? Wir wissen es nicht. Aber lassen wir uns heute heilen von all unseren Vorbehalten und Ausflüchten: Auch der Urlaub ist Gottes Geschenk - wir wollen ihn mit viel Freude aus seiner Hand empfangen!