Ein Denkanstoß auf der Autobahn Liebe Gemeinde! Überall, wo unsere moderne Gesellschaft mit Beton arbeitet, sind auch bald die Leute mit den Sprühdosen zur Stelle: Dann kann man politische Parolen an der Wand des Kaufhauses lesen. Im U-Bahn-Schacht blühen Blumen und spannen sich bunte Regenbögen. Fabrikschornsteine weisen auf das Waldsterben hin. Nonsens-Sprüche am Wohnsilo, Liebeserklärung an der Eisenbahnüberführung, ein Hinweis auf Christus im Parkhaus... Wir sind geteilter Meinung über diese Sprüherei: Die einen reden von Kunst, andere ärgern sich, manche nehmen "so etwas" gar nicht wahr, noch andere möchten die "Täter" verfolgen und ihre "Delikte" streng ahnden, viele lesen und sehen das Gesprühte recht gern, sie finden es interessant und es gibt ihnen einen Denkanstoß... Ich glaube, ich zähle zur letzten Gruppe. Mir hat vor ein paar Wochen ein einziges Wort einen solchen Denkanstoß gegeben. Dieses eine Wort - das hätten auch harte Sprüh-Gegner zugestehen müssen - war 100 % richtig plaziert! Einen besseren Ort für das Wort hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich fuhr - nach dem Urlaub - auf der Autobahn heimwärts. Es war in der Gegend von München. Eine Brücke führte über die Straße und bot - wie eine Plakatwand - eine mächtige Betonfläche in Richtung Autobahn dar. Wer da Graffitti-Künstler ist, der mußte wohl geradezu... Es war gewiß ein halsbrecherisches Unterfangen. Der Sprüher muß sich über das Geländer der Brücke gebeugt haben, um - sozusagen - "unter sich" zu arbeiten. Er hat also zweifellos viel eingesetzt für sein Wort, für seine Botschaft an die Autofahrer in der Blechlawine, die an dieser Stelle unaufhörlich nach Norden fließt. Aber sie wollen jetzt endlich wissen, wie dieses "Wort" heißt!? - "Zufriedenheit" hatte da einer hingeschrieben! Das heißt, ich muß es richtig betonen, denn er hatte ein Fragezeichen dahintergesetzt: "Zufriedenheit?" Einige von ihnen sind jetzt gewiß enttäuscht: Was, dafür so ein Aufwand? Und das soll einen Gedanken für eine Predigt abgeben? - Warten sie bitte noch einen Augenblick! Bedenken wir doch: Vielleicht fahren wir mit 120 km dort vorbei. Vielleicht geht der Blick eine ganz kleine Sekunde nur nach oben, nimmt wahr, daß da etwas steht, geht zurück auf die Fahrbahn und...schon sind wir vorbei. Also bleibt gar nicht länger Zeit, als daß wir ein Wort erkennen, lesen und.....wahrscheinlich meist: vergessen. Aber eben nicht immer, nicht bei jedem ist das so! Und gerade bei diesem Wort: "Zufriedenheit?"... Vermeintlich ist das doch ohne Sinn und auf der Autobahnbrücke fehl am Platz... Was hat das Fahren auf der Autobahn mit "Zufriedenheit" zu tun? Sehen Sie, das habe ich mich auch gefragt. Und da liegt eben - wenn wir das Wort überhaupt mit unseren Kopf aufnehmen - der "Denkanstoß": Was soll dieses Wort da? Was meint der Schreiber? Warum hat er es gerade dorthin gesprüht? Wahrscheinlich verstehen viele dieses Wort so: "Da braust ihr nun in euren Autos Stunden um Stunden von Süden nach Norden, kommt aus dem Urlaub, geratet in manchen Stau; eure Erholung geht dabei wieder abhanden, ihr habt Streß und Ärger... Warum seid ihr so weit gefahren, ihr hättet zu Hause bleiben sollen, wenigstens mehr in der Nähe, nicht so weit weg, das Chaos auf den Autostraßen vermeiden, den Wahnsinn Autobahn... Jetzt aber fahrt ihr doch hier, in Dreierreihen dicht an dicht, besorgt, daß der Verkehrsstrom nicht ins Stocken gerät, daß nichts passiert und ihr den Hexenkessel "Autobahn" bald gesund hinter euch habt... Seid ihr zufrieden? War das nötig, daß ihr auch zu dieser Urlaubszeit diese weite Fahrt macht? Hättet ihr nicht anders Ferien machen können, als mit dieser langen, beschwerlichen, gefahrvollen Anreise?" So haben sicher manche diesen gesprühten Gedanken verstanden. Und das sind sicher auch lohnende Überlegungen, die hier entstehen! "Zufriedenheit?" Ich weiß ja nun auch nicht, was der "Sprüher" wirklich gemeint hat. Jedenfalls hat er mich in viel tieferes Grübeln gebracht, als mir selbst lieb war. Ich glaube, das ist nicht nur ein Zivilisationsgegner, kein Autohasser und Waldschützer, kein so oberflächlicher Urlaubsvermieser, wie man denken könnte. "Zufriedenheit?" - dieses Wort ist genau kalkuliert, trifft den Punkt sozusagen, ist einfach und genial - ja, einfach genial, finde ich! Und.zutiefst religiös ist es noch dazu! Ich möchte ihnen jetzt einmal gedanklichen Pfade zeigen, auf die mich das Wort geführt hat: "Zufriedenheit?" Bist du eigentlich zufrieden mit deinem Leben? Nicht nur jetzt - im Augenblick, da du das liest - sondern überhaupt? Du befährst jetzt die Autobahn, schwitzt vielleicht unter deinem Blechdach, hast schon so manchen Stau hinter dir, bist gestreßt und entnervt... Aber das meine ich gar nicht! Das bringt einfach die moderne Zeit mit sich. Du kannst nicht aussteigen, kannst dich nicht entziehen, willst halt auch ein Sonnenfleckchen im Gebirge, ein Stück Sandstrand zum Räkeln und Träumen. Du sollst das ja auch haben, aber es hat halt seinen Preis: Die Anfahrt, die Staus, die strapazierten Nerven... Sei bloß vorsichtig! Mach öfter Pause! Überfordere dich nicht! Komm gesund an! - Aber viel tiefer gefragt, noch viel grundsätzlicher: Bist du zufrieden? Keine Ausflüchte jetzt! Nein, das geht nicht nur gegen das Auto, gegen den Wohlstand, gegen alles, was unser Leben heute angeblich bereichert und schöner macht... Du bist gefragt: Bist du zufrieden? Hast du dir einen Raum für dich bewahrt, für das Leben, für Gott und den Mitmenschen? Ja, hast du nicht schon manches - zu schnell und unnötig! - preisgegeben für den Wohlstand, für das Mithalten in dieser Gesellschaft, für die moderne Zeit und ihre seelenlose Betriebsamkeit und Hektik? Und ist nicht eben das Auto, in dem du jetzt sitzt und schwitzt, wie ein Symbol für dein ganzes Leben, deine ganze Zeit? Eingeklemmt zwischen Vorder- und Hintermann, ohne Entrinnen aus der Blechflut, kein Ausscheren möglich, Leben in der Masse, immer weiter, weiter und weiter...bis ans Ziel? Wirst du's erreichen? Was ist dieses Ziel überhaupt? Dein Zuhause, deine Wohnung, deine Stadt, dein Dorf? Geht da nicht auch der ewige Trott weiter? Gut, du hast Urlaub gehabt, hast einmal etwas anderes gesehn, ausgespannt, aber daheim... Täglich dieselbe Tretmühle, Minuten, Stunden, Tage, Wochen...bis zum nächsten Urlaub, bis nächstes Jahr in Jugoslawien vielleicht, in Österreich, in Schweden...die zwei oder drei Wochen Freiheit, Freizeit, Entspannen..., diese wichtigen, herrlichen Wochen, bis wieder zu Hause, wieder so weiter, wieder der Trott, nicht zum Atmen kommen, nicht zum Nachdenken...wo ist der Sinn? "Zufriedenheit?" - Bist du zufrieden? Liebe Gemeinde, ich hätte nun gewiß nicht über die Frage gesprochen, die mir dieses Wort stellt, wenn ich nicht auch zu einer Antwort gefunden hätte. Nun ist die Frage ja sehr persönlich! Der eine wird sie so hören, der andere so. Ein dritter verdrängt sie lieber und macht noch eine Weile so weiter wie bisher. Und gar die Antwort! Die wird bei jedem anders ausfallen. Ich will auch hier - weil ich ja auch nichts anderes sagen kann! - von meinen Gedanken sprechen: Bist du zufrieden? Ja, ich bin's! In diesem tiefen Sinn, ja! Ich fühle mich auch unfrei und eingeengt in der Autokolonne in der Urlaubszeit. Ich schwitze auch unter meinem Blechdach und verwünsche den, der leichtfertig einen Stau verursacht... Aber ich bin zufrieden mit meinem Leben insgesamt. Ich darf es sein und rechne es mir nicht zum Verdienst an, sondern schreibe es der Gnade Gottes zu. Überhaupt: Gott... Daß ich ihn kennen darf! Daß ich von ihm wissen darf daß er sich mir bekannt gemacht hat... Daß er mir den Glauben geschenkt hat und Vertrauen in seinen guten Willen über mir! Gnade, nichts als Gnade ist das! Und daß er mir Menschen an die Seite stellt, die mich liebhaben und die ich lieben darf! Daß ich eine Aufgabe habe, die mir Freude gibt und bei der ich auch immer wieder einmal Anerkennung erfahre. Daß Gott mir all die äußeren Voraussetzungen des Lebens gegeben hat und sie mir bis heute erhalten geblieben sind: Meine Körperkraft, mein gesunder Geist, meine Gaben und Talente, das Haus, die Kleidung, mein Essen und Trinken, all die schönen Dinge, die mich umgeben und meine Tage bereichern und hell machen. Alles Gnade, Gnade! Wie dankbar muß ich sein! Und sie? Ist das bei ihnen nicht ganz ähnlich? Wissen sie nicht genau wie ich von dieser Gnade? Haben sie nicht auch so viele Gaben empfangen? Darum kann ich jetzt wohl doch aufgeben, nur von mir zu sprechen. Ich sage jetzt einmal "wir"... Geben wir der Gnade den angemessenen Raum in unserem Leben? In Alltag und Freizeit? Halten wir genügend Zeit unserer Tage frei für Gott, sein Wort und seine Weisung? Beten wir täglich? Sehen wir den Nächsten, an den uns Gottes Wort weist? Bleibt uns eine Stunde hie und da, die frei ist von Pflicht und vom Muß? Lassen wir die Beziehung zu Gott und den Menschen nicht oft lange darben, statt sie zu pflegen? Die Versuchungen der modernen Zeit sind vielfältig! Manches will sich uns wichtig machen, wichtiger als die Stille, das Hinhören auf Gott, als der Dank! Ich möchte die Anfrage, den Denkanstoß, den ich vor Wochen auf der Autobahn bekommen habe, heute an sie weitergeben. Lassen sie sich von ihm zu tiefen Gedanken führen: "Zufriedenheit?" - Bist du zufrieden?