Eine Urlaubserfahrung in der "Wieskirche" Liebe Gemeinde! Erst einmal freue ich mich sehr, daß ich nach so vielen Wochen wieder predigen darf! Das fehlt mir doch in jedem Jahr in der Ferienzeit sehr! Dann aber freue ich mich auch, daß ich so viel erlebt habe in den vergangenen Wochen - auf der Freizeit und danach im Urlaub, über das ich jetzt sprechen kann. Und das war eine ganze Menge! Ich habe sicher für einige Sonntage Stoff und Ideen, die alten Texte lebendig werden zu lassen. Hören wir einmal den Predigttext, der für heute vorgeschlagen ist. Er steht in der Apg. 6, 1 - 7: Textlesung: In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechi- schen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, daß wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben. Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia. Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam. Ich gebe zu, daß die Beziehung von diesen Worten aus der Apostelgeschichte zu dem, was ich Ihnen jetzt erzählen will, ein wenig äußerlich ist. Anders gesagt: Als ich hier von den "sieben Männern" ge- lesen habe, die "voll heiligen Geistes" dafür sorgen sollten, daß Gottes Wort verbreitet wird, da mußte ich an ein Erlebnis denken, das ich jetzt im Urlaub hatte. Das war in der berühmten Wieskirche im Allgäu, die in jedem Jahr Hunderttausende zu Besichtigung und Wallfahrt anzieht. Ein wirklich wunderschönes Gotteshaus. Eine Rokkoko-Kirche, deren ovales Mittelschiff gut 500 Menschen Sitzplätze bietet. Und so viele waren auch versammelt, als die soge- nannte "Kirchen-Führung" beginnen sollte. Zu meiner Frau hatte ich übrigens gerade gesagt, was das doch für eine gute Gelegenheit wäre, die vielen Menschen auf das Evangelium und auf den Glauben anzusprechen. (Solche Kirchen werden ja oft nicht aus Gründen der Frömmigkeit besucht, sondern aus Neugier und um sie halt gesehen zu haben.) Daß man die Gelegenheit wahrnehmen würde, hatte ich nicht geglaubt. Im Gegenteil: Ich erwartete ein paar Daten über die Kirche, ihre Entstehung, die Ausmaße, die Bilder und Plastiken... Als jetzt ein kleiner, unscheinbar gekleideter Mann vor dem Altar ein Pult und ein Mikrofon richtete, wurde mir klar, wie die Führung gedacht war: Ein Vortrag über Lautsprecher für alle, die gerade in der Kirche waren. - Und dann begann der kleine Mann zu reden... Was er sagte, war so ganz anders, als ich vermutet und befürchtet hatte. Noch heute müßte und wollte ich gern Abbitte bei diesem kleinen Mann tun! Natürlich kamen auch ein paar Daten: Wie alt die Wieskirche ist, wie hoch und wie lang und wie viele Jahre daran gebaut wurde. Aber das war nur der Rahmen einer wirklich wun- derbaren, vom Geist erfüllten Ansprache an die Menschen, die der Zufall oder auch die Fügung jetzt gerade hier zusammengeführt hatte: Von den Stationen des Lebens Jesu hat er gesprochen, von der Armut seiner Geburt, daß in ihm Gott einer von uns geworden ist, daß Gott selbst in ihm gelitten und sich für uns geopfert hat, daß er der erste aller Auferstandenen ist und wir ihm folgen sollen in Gottes ewiges Reich... Wie groß Gott ist und wie bescheiden und unzulänglich dagegen noch selbst diese herrliche Kirche wäre, um Gottes Größe zu preisen... Es war wirklich beeindruckend! Das hat- te nichts von trockener Führung, von toter Geschichte und zum Gähnen langweiligen Vorträgen, wie wir sie ja sonst manchmal über uns ergehen lassen müssen. Einen wirklich schönen Schluß für seine Rede hat der kleine Mann auch noch gefunden. Und auch der war nicht aufgesetzt oder irgendwie peinlich, vielmehr einfach angemessen und passend: Er hat die 500 versammelten Menschen eingela- den mit ihm noch ein Gebet zum Lobpreis Gottes zu sprechen, und er hat dafür die erste Strophe von "Großer Gott wir loben dich" gewählt. Dann hat er angestimmt, sich zum Altar gedreht, und wir haben alle zusammen gesungen. Und wie selbstverständlich - ohne irgendeine Aufforderung - sind alle 500 Menschen dabei aufgestanden. Es ist nicht recht, daß wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. Liebe Gemeinde, ich habe vor kurzem einen solchen Menschen gesehen und gehört. Ich bin ganz si- cher, daß es diesem kleinen Mann jedesmal, wenn er seine Ansprache hält, gelingt, wenigstens ein paar der Besucher der Wieskirche zum Besinnen anzuregen, zum Nachdenken über die eigene Sache mit Gott und vielleicht zur Freude über Gottes Heilsgeschichte mit uns, wie er sie mit Jesus ge- schrieben hat. Warum aber habe ich Ihnen das heute erzählt? Einmal darum, weil es mich sehr bewegt hat. Dann auch, weil es bestimmt eine Illustration zum Text ist, der uns für heute zum Predigen verordnet ist. Aber ganz besonders deswegen, weil ich uns allen ein Stück der Be-geisterung wünsche, die dieser kleine Mann in der Wieskirche ausgestrahlt und für Gottes gute Sache eingesetzt hat. Und dabei sollten wir beachten, daß dieser kleine Mann kein Profi war! Er war kein Priester, kein Mönch oder Pfarrer. Ich schätze, er war einfaches Gemeindeglied dort in der Wieskirchengemeinde. Aber er war eben durchdrungen von der Freude, diese wunderschöne Kirche zu haben und davon zu wissen, zu Gott zu gehören und durch Jesus Christus erlöst zu sein. Und diese Freude eben wünsche ich uns allen! Und ich hoffe, daß nun keine und keiner von uns denkt, aber meine Kirche ist doch nicht sooo schön! Was uns an kunstgeschichtlich bedeutsamer Bausubstanz und wertvollem Inventar fehlen mag, das wird doch sicher davon aufgewogen, daß es eben unsere Kirche ist: Hier bin ich getauft, konfirmiert, getraut, hier wurde meinem Mann, meiner Frau in einem Trauergottesdienst gedacht. Oder auch das: Hier feiern wir unseren Gottesdienst, hier hören wir Gottes Wort und loben seine Herrlichkeit. Hier bekommt unser Glaube seine Nahrung, und vielleicht ist er ja auch schon hier in der Kirche entstanden? Hier kriegen wir Impulse für unser Leben, und vielleicht eben heute diesen: Daß wir auch - mehr als bisher - die Freude empfinden und nach außen verstrahlen. Sie wissen ja selbst, wie freudlos viele Menschen unserer Tage sind. Oft können ja schon die Kinder und die Jugendlichen gar nicht mehr lachen. Die in den mittleren Jahren haben keine Zeit für Gottes Kirche und die Besinnung, oder sie meinen, sie hätten keine. Und die Al- ten? Die sind mit ihren Gedanken oft viel zu sehr bei ihren Beschwerden, bei den Befürchtungen und Ängsten, wie sie das Altwerden mit sich bringt. Daß doch für sie gesorgt ist im Leben und im Ster- ben, daß sie so viele gute Erfahrungen mit Gott haben machen dürfen und daß ja in der Ewigkeit ei- ne Wohnung bei Gott und ein herrliches Leben auf sie wartet, das sehen sie oft nicht mehr. Ge- schweige denn, daß sie davon reden und Gottes Güte darüber loben. Liebe Gemeinde, das wünschte ich uns: Daß auch wir solche Leute werden, die hier so beschrieben sind: ...voll des heiligen Geistes und der Weisheit... Dann werden auch wir hier erleben, was der kleine Mann in der Wieskirche mit seiner Begeisterung und der Kraft seiner Überzeugung bei den Menschen erreicht hat. Noch einmal: Unser Ausgangspunkt für Freude und Begeisterung ist nicht weniger gut! Wir haben eine wunderschöne Kirche. Wir haben eine wunderbare Botschaft, die uns ergriffen hat. Wir sind ganz persönlich gemeint, wenn Gott in Jesus Christus für uns gelebt hat, gelitten hat, gestorben und auferstanden ist. Für uns hat Gott das alles getan, für dich, für mich. So möchte ich - wie der kleine Mann neulich in der Wieskirche - auch Sie jetzt einladen zu einem Gebet, einem Lied, die Herrlichkeit Gottes zu preisen: "Großer Gott, wir loben dich!"