"Friedensgestalten aus der Kirchengeschichte" – Elisabeth von Thüringen Liebe Zuhörer! Eine Frau, die vor 750 Jahren lebte, soll mir helfen, einen wichtigen Gesichtspunkt der gegenwärtigen Friedensdiskussion in Ihren Blick zu rücken. Es ist ein Gedanke, der leider mehr und mehr aus unserem Bewusstsein und aus unseren Gesprächen über Rüstung und Friedenssicherung verschwunden ist. Vielleicht haben wir ihn auch selbst verdrängt, denn es ist ein äußerst unangenehmer Gedanke, sowohl für die Befürworter von immer mehr Rüstung, als auch - und gerade - für die Gegner. Ich spreche davon, was das kostet, immer schrecklichere Waffen zu entwickeln, zu produzieren, zu stationieren, zu warten und sie dann nach kurzer Zeit zu verschrotten und gegen modernere, noch furchtbarere Systeme auszutauschen. Und ich spreche von dem Hintergrund, vor dem das geschieht: Millionen von Kindern verhungern in jedem Jahr. Millionen Menschen vegetieren dahin, in bitterster Armut, ohne Dach über dem Kopf, ohne Chancen, ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Millionen, denen wir Rüstungsmilliarden vorenthalten, die wir um den Preis ihres Elends erwirtschaftet haben. Nein, ich will Sie jetzt nicht Zahlen langweilen und auch nicht mit Vergleichen belasten, wie viele Kinder am Leben bleiben dürften, wenn nur ein einziger Panzer weniger gebaut würde, und man für seinen Preis Brot oder Reis kaufte. - Ich will von der Frau erzählen, die da im Jahr 1207 als Tochter des Königs von Ungarn geboren wurde. Schon im Alter von 5 Jahren kam sie an den Hof des Landgrafen von Thüringen, wuchs dort auf und wurde dort erzogen. Als sie erwachsen war, verheiratete man sie mit dem viel älteren Landgrafen. Schon diese Heirat war für die Frau ein Opfer für den Frieden. Ihr Vater nämlich hatte die Ehe aus politischen Gründen gestiftet. Er sagte sich: Ich gebe meine Tochter diesem mächtigen Landgrafen zur Frau, dann wird er dafür sorgen, dass niemand in Deutschland gegen mein Königreich Krieg führt. Die junge Landgräfin war eine religiöse Frau. Schon als Kind hatte sie am liebsten die biblischen Geschichten gehört. Die Gestalt des Jüngers Johannes hatte es ihr besonders angetan. Wie er wollte sie Jesus nahe sein, wenn er am Abend des letzten Mahls neben dem Herrn sitzt und seinen Kopf an seine Schulter lehnt, oder wenn er unter dem Kreuz Jesus in seiner letzten Not begleitet und tröstet. So war es auch ein Wort aus den Briefen des Johannes, das ihr bald wichtiger wurde, als alle anderen biblischen Verse. Wie der Leitstern ihres Lebens ist dieses Wort geworden: "Wer aber die Güter dieser Welt hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie kann die Liebe Gottes in ihm bleiben?" Oft sinnt sie für sich über die Bedeutung dieses Verses nach, und noch mehr beschäftigt sie, wie sie seinem Anspruch gerecht werden könnte. So bleibt es nicht bei der Besinnung. Bald besucht sie - immer wenn ihr Mann nicht zuhause in der Burg weilt - die Armen, Alten und Kranken in den umliegenden Dörfern. Ja, sie geht soweit, dass sie - die Landgräfin - sich mit zerlumpten Bettlern abgibt und Aussätzigen die eitrigen Geschwüre wäscht und verbindet. "Ich möchte sein wie der Jünger Johannes", sagt sie, und sie spürt, dass sie in ihrem Wirken für die Armen und Elenden Jesus selbst nahe kommt. Ihr Mann, der Landgraf, hätte ihr barmherziges Tun wohl nie geduldet, denn sie verschenkte ja sein Hab und Gut, die Nahrung und Kleidung, die ihm gehörte. Darum hält sie es auch vor ihm verborgen und geht nur hinunter in die Dörfer, wenn er auf der Jagd oder fern im Krieg ist. Nicht einer der Hofleute war in ihr wohltätiges Wirken eingeweiht, aus Angst, ihr Mann könne doch davon erfahren. Eines Abends geschieht das, was keiner, der von dieser Frau erzählt, aussparen kann: Sie ist wieder unterwegs zu den Bedürftigen. Sie hat einen großen Korb dabei, voll mit Lebensmitteln, Brot und Wein. Ihr Mann ist weit fort beim Jagen, so glaubt sie. Da tritt er ihr in den Weg und herrscht sie an: "Wohin gehst du und was trägst du dort in deinem Korb?" Und die Frau flüchtet sich zu einer Lüge: "Ich suche Efeu und wilde Rosen, was ich bisher fand habe ich hier im Korb!" Wütend entreißt ihr der Landgraf den Korb und lüftet mit einem Ruck das Tuch obenauf. Doch wirklich, es waren Blumen im Korb, wilde rote und weiße Rosen, die herrlich dufteten, dazu tiefgrüner Efeu. Als der Landgraf wenig später im Krieg fällt, entbrennen um den Besitz der Frau heftige Erbstreitigkeiten. Bettelarm, als Witwe kommt sie nach Marburg, wo sie allein durch ihren Einsatz für die Armen und Kranken und aus der inneren Kraft ihrer Liebe zu den geringsten Brüdern und Schwestern ein Spital gründet, in dem sie selbst jahrelang die niedrigsten Dienste tut. Im Jahr 1233 starb sie, kaum 26 Jahre alt. Ist das eine Friedensgestalt? Für mich ja! Ich weiß nicht, ob diese Frau damals den Zusammenhang gesehen hat, zwischen ihrem wohltätigen Tun für die Ärmsten und der Arbeit für den Frieden. Und es spielt eigentlich auch keine Rolle, ob Sie und ich diesen Zusammenhang sehen; wenn wir uns nur - so wie sie - engagieren würden und so wie sie für die geringsten Brüder und Schwestern einsetzen wollten. Aber, ich denke, dann würde uns der Zusammenhang bald aufgehen: Zuerst würden wir merken, wie nah man Menschen kommt, für die man sich so einsetzt. So nah, dass zwischen mir und dem andern keine unfriedlichen Gedanken oder gar Taten des Hasses und der Gewalt Platz haben. Und schließlich würden wir erkennen, wie wenig weltweit mit Geld und Gütern geholfen werden kann - selbst wenn wir alle unser Opfer dazu beitragen - weil die Rüstung die Milliarden verschlingt, Milliarden und Abermilliarden, die den Frieden sichern sollen, um den Preis des Todes von Millionen. Nein, die Frau, von der ich erzähle, hat das nicht gesehen und schon gar nicht erkannt. Ihr ging einfach die Not der Armen zu Fuße ihrer Burg zu Herzen. Das begriff ihr christliches Empfinden einfach nicht, dass sie oben auf dem Berg alles Lebensnotwendige im Überfluss haben sollte, während die unten darbten und im Elend starben. Wahrscheinlich war ihr Gewissen dazu auch noch zu unmittelbar mit den Aussagen der Bibel verbunden. Es fehlten ihr all die Kniffe und Tricks, die es ihr erlaubt hätten, sich vor dem Anspruch solcher Worte zu verschließen: "Wer aber die Güter dieser Welt hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie kann die Liebe Gottes in ihm bleiben?" Sie ließ sich das einfach sagen. In ihrer Einfalt kam sie nicht auf solche Gedanken wie: Aber wir müssen doch hier oben in unserer Burg Waffen und Vorräte haben, um uns im Ernstfall gegen den Zugriff der da unten verteidigen zu können... Sie sah eben nur: Die da unten leiden, haben Hunger, sind krank, müssen in Armut dahinvegetieren... Und sie ließ ihr Herz sprechen. Es liegt jetzt vielleicht nah, darauf hinzuweisen, wie das ausging: Sie hat wenig von ihrem Leben gehabt. Ihr wurde das rechtmäßige Erbe genommen. Sie starb 26-jährig. Manchmal meine ich, es ist vielleicht besser, so kurz zu leben, dafür aber so gut und so wichtig für andere zu sein und so eins mit dem Willen Gottes. Besser gewiss, als in der fragwürdigen Sicherheit unserer waffenstarrenden Burgen alt und kalt zu werden, während die da unten im Elend krepieren. Ist es nicht seltsam und irgendwie hoffnungsvoll: Von ihrem Mann, der in vielen Kriegen vor der Welt Großes geleistet hat, weiß heute keiner mehr. Und er hat die Burg gebaut, die sie bewohnte, er hat Macht gehabt über die Menschen, die sie mit Arzneien und Lebensmitteln versorgte, und es war sein Besitz, von dem sie so freigebig austeilte. Er ist vergessen, wie so viele "Mächtige" vor und nach ihm. Von ihr aber gehen die Geschichten umd Legenden. Keiner, der ihrem Tun Bewunderung und Hochachtung Versagen könnte. Und jeder, schon die Kinder kennen ihr großes Herz und wissen ihrem Namen: Elisabeth von Thüringen, die unsere katholischen Glaubensbrüder die „Heilige" nennen. Wenn wir uns auch vor ihrem Werk und ihrem christlichen Handeln beugen können, dann wird sich unser Denken und Tun, besonders unsere Arbeit für den Frieden neu begründen müssen. Vielleicht auf solchem Worten: "Wer aber die Güter dieser Welt hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie kann die Liebe Gottes in ihm bleiben?"