Ansprache zur Beerdigung - Plötzlicher Tod einer alten, frommen Frau (Witwe) Jos. 24,15 c Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Soviele ungelöste Fragen und widersprüchliche Gedanken bewegen uns heute, da wir B. R. begra- ben müssen. Traurige und tröstliche. Solche, die uns dankbar machen und andere, die uns weh tun. Ich will einige nennen: Warum mußte das so schnell gehen? So gern hätten wir ihr noch einmal mit ihr gesprochen. Aber es war keine Gelegenheit mehr, ihr das zu sagen: Wie lieb wir sie gehabt haben. Wie gut das war, daß wir sie hatten. Unseren Dank für ihr Leben, für die 1000 Taten, all die Hilfe, die unzähligen Opfer für uns. Wir erreichen sie nicht mehr. Von einem Augenblick zum andern ist sie gegangen. Ohne Wort, ohne Gruß. Andererseits: Wie gut war doch dieses Sterben für sie. Wir hätten es ihr nicht an- ders gewünscht und uns selbst ja auch nicht. Kein langes Leiden. Kein Siechtum, das Menschen so leicht die Würde nimmt. Keine Bedürftigkeit und kein Angewiesensein auf andere, was gerade für sie, die immer so stark war, ganz schlimm gewesen wäre. - Im Schlaf durfte sie hinübergehen. Sie hat im Nu die Schwelle überschritten, die für manche andere so hoch ist. Aber auch das beschäftigt uns: Was hat sie eigentlich vom Leben gehabt? Wie wenig war ihr ge- gönnt und wie wenig wollte sie sich auch gönnen. War sie glücklich in ihrem Leben? Und auch hier gibt es die andere Seite: Wie erfüllt war sie doch von ihrem Glauben. Wie unbeirrt konnte sie fest- halten an ihrem Vertrauen zu einem Gott, der ihr so früh den Mann genommen und der ihr dafür ein Leben voller Arbeit und Mühe gegeben hat. Und schließlich bewegen uns diese Fragen: Was soll denn nun werden ohne sie? Wie soll denn unse- re große Familie jetzt dieselbe sein, in der sie doch so wichtig und nicht wegzudenken war. Sie hat doch alles mit uns geteilt. Sie hat so geliebt und wurde geliebt. Was klafft da jetzt eine Lücke! Wie wird sie uns fehlen. Aber selbst hier gibt es eine andere Sicht: Wie lange durften wir sie haben! Wie schön war doch die Zeit mit ihr. Wieviel Gutes und Beglückendes haben wir mit ihr erlebt. Und: Wenn der Abschied ja irgendwann einmal sein muß, dann war er so doch ganz in ihrem und unserem Sinn. - Wie gesagt: ungelöste Fragen. Gedanken voller Widersprüche. Ich kann die Fragen für sie auch nicht beantworten. Gott kann es! Ich weiß keine Lösung für allen Widerspruch. Gott weiß ihn! Und ich bin ganz sicher, daß er zu ihnen auch sprechen wird und daß sie, wenn sie nur jetzt in ihrem Vertrauen und Gebet an unserem Gott bleiben, auch Anworten geschenkt bekommen. Ich möchte jetzt einen dieser Gedanken aufnehmen und mit Ihnen bedenken. Und der Vers, der B. R. und ihrem so früh verstorbenen Mann einmal zur Trauung gewidmet war, soll mir dabei helfen. Im Buch Josua lesen wir im 24. Kapitel: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen. Hören wir das als ein Wort, das 2 jungen Leuten am Traualtar für ihr Leben mitgegeben wurde. Voller Hoffnung waren diese jungen Leute. Voller Pläne und Wünsche und gewiß auch voll Bereit- schaft, diesem Wort nach zu leben. Es hört sich ja auch leicht, dieses Wort. Und es spricht und ver- spricht sich leicht, wenn man jung ist und voller Zuversicht: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen. Es kam aber so ganz anders! Gerade einmal zwei glückliche Jahre waren diesen beiden geschenkt. Dann war der Krieg da. Dann mußte er hinaus ins Feld. Die Tage voller Angst begannen. Werde ich je heimkehren? Wird mein Mann nicht draußen bleiben? Muß unser Kind ohne Vater aufwachsen? - Was müssen das für schwere Jahre gewesen sein. Wieviele ungezählte Stunden der Angst und der bangen Erwartung: Ob die schreckliche Nachricht, die zu dieser Zeit so viele Frauen erreichte, auch zu uns kommt? Damals - mit einer solchen Aussicht vor Augen - war das sicher nicht mehr so frag- los und klang nicht mehr so überzeugt: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen. Aber der Mann blieb verschont. Fünf Jahre lang. Immer stärker wurde gewiß die Hoffnung, daß er und die Familie die böse Zeit unbeschadet überstehen würden. Manchesmal in diesen Jahren war er auch auf Urlaub zu Hause. Die Pläne konnten erneuert werden. Die Zuversicht bekam Nahrung. Al- les, alles würde gut! Gott würde es schenken, daß dieser Vers wahr werden konnte: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen. Bis die Schwäche und die kriegsbedingte Krankheit den Mann überfiel. Zwar von Verwundung im Feld verschont geblieben, griff nun infolge der Entbehrungen und der körperlichen und seelischen Strapazen das Leiden nach ihm. Einige Zeit zwischen Bangen und Zuversicht verging. Viele Besuche in Bad Nauheim, wo er im Lazarett lag. Unzählige Gebete, keimende Hoffnung, enttäuschte Erwar- tung, Zweifel und Angst. Aber keine Besserung. Schließlich der Anruf: Es ist vorbei. Liebe Trauergemeinde, bei wie vielen von uns wäre es da nicht auch mit der Beziehung zu Gott vor- bei gewesen? Und was hätten wir mit dieser Widmung gemacht - jetzt allein, alles Glück zerstört, nur noch Dunkel vor Augen und dann solch ein Wort: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen. Nein, ich will jetzt nicht beschönigen. Das wird B. R. viele Tränen gekostet haben, viel Schmerz be- reitet haben und gewiß ein jahrelanges Ringen gewesen sein! Und ich will auch hier nicht von etwas reden, was ich nicht weiß. Was ich aber weiß und selbst an und mit ihr erlebt habe, ist dies: Sie ist durch die Zeit des Haderns und der Trauer hindurchgekommen, ohne die Hand Gottes loszulassen. Ihre ganze Zuwendung hat sie nun ihrem Sohn geschenkt. Und sie hat - wohl gerade weil ihr der Mann fehlte - eine umso stärkere Beziehung zur größeren Familie entwickelt, zu ihren Verwandten, zur Schwester und deren Angehörigen, Kindern und Enkel. Sie hat immer viel Kraft gehabt, oder sagen wir besser: Ihr ist immer viel Kraft geschenkt worden. Was konnte sie arbeiten! Wie stand sie als Frau ihren Mann in Haus und Landwirtschaft! Aber sagen wir auch das, denn es ist sicher der Hintergrund ihres unermüdlichen Schaffens gewesen: Wie hat sie doch auch immer die Verbindung zu ihrem Gott gehalten, zum Glauben, zur Kirche, zu Gebet und Gottesdienst und zu manchem an- deren Angebot ihrer Gemeinde. Und das eben hat auch ausgestrahlt auf die Familie. Das hatte Wir- kungen in ihrem Leben, ihrem Denken, Reden und Handeln. So hat sie in den 50 Jahren seit sie Witwe und allein war dennoch nach Kräften ihren Trauvers wahr gemacht: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen. Sie ist treu bei dem geblieben, was sie einmal versprochen hat. Und das obgleich alles so ganz anders kam, als sie damals gehofft hatte. Liebe Trauergemeinde, warum ich nun unter so vielen Fragen und Gedanken gerade diesen ausge- wählt habe, um bei diesem Abschied darüber zu sprechen? Weil ich glaube, ja weil ich mit Gewißheit das sagen kann: B. R. ist auch in einem Leben, das sehr schwere Zeiten und schreckliche Verluste hatte, nicht unglücklich gewesen. Es muß also auch in ei- nem harten, grausamen Geschick die Möglichkeit liegen, seinen Frieden mit Gott, seine Aufgaben im Leben und seinen Glauben und seine Hoffnung zu finden. Und ich will und ich muß das heute einmal aussprechen, weil ich denke, wir erwarten gerade heute zu selbstverständlich ein gutes, äußerlich reiches und gesundes Leben. Und wir meinen zu leicht, wenn es dann nicht eintrifft, unser Leben wä- re verfehlt, nicht erfüllt, nicht lohnend und nicht wertvoll. Und schließlich ist sicher auch das wahr: Wir geben dann rasch unseren Glauben auf, werfen unser Vertrauen in Gott weg und wenden uns ab von ihm - oft für lange, manchmal für immer. B. R. hat uns gezeigt, daß auch in einem schweren Schicksal Gottes Segen, seine Verheißung und seine Aufträge liegen. Sie hat uns vorgelebt, daß man aus Gottes Wort, durch den Gottesdienst, das Gebet und in seiner täglich erneuerten Kraft leben, wirken und selbst viel Segen verschenken kann. So ist es sicher nicht von ungefähr gewesen, wenn sie vor Tagen leicht und ohne Leiden und Wehren hinübergegangen ist in Gottes neue Welt, an die sie glaubte, buchstäblich mit dem Losungsbüchlein in der Hand. Was ihr und ihrem Mann einmal vor diesem Altar als Trauvers mitgegeben wurde, ist an ihr und durch sie wahr geworden vor unseren Augen. Lassen wir uns jetzt von ihr diesen letzten Dienst tun, daß wir unser Leben und Geschick überdenken, unsere Aufgaben, die Gott uns in dieser Welt, unse- ren Beziehungen und unserer Familie gegeben hat, erkennen und nach unseren Kräften beherzigen, wovon B. R.s Leben ein Zeugnis gegeben hat: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN die- nen.