Ansprache zur Beerdigung - Längeres Leiden eines 60jährigen Offb. 14,13 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Was geht da nicht alles vor in den Köpfen und Herzen von Menschen, die so früh und auf diese Wei- se Abschied nehmen müssen! Die vielen Fragen: Warum mußte es geschehen? Warum schon? Was wird nun aus ihm, um den wir trauern? Wie geht's nun mit uns weiter? Und die Ängste: Haben wir auch nichts versäumt an ihm, wozu es jetzt zu spät ist? Hätten wir ihm nicht noch dieses und jenes sagen, ihm noch für dies und das danken sollen? Wie wird das sein - leben, ohne ihn? Und schon die vielen - gutgemeinten! - Worte, die sie in diesen Tagen gesagt bekommen haben. Wie tut das doch auch weh, wenn man ständig wieder hört: "Herzliches Beileid!", "mein Mitgefühl", "wie schlimm ist das doch"... Jedes Mal, mit jedem dieser Worte wird es einem neu und schmerzlich bewußt: Er ist wirklich nicht mehr bei uns. Wir haben ihn verloren. Wir müssen jetzt ohne ihn auskommen. Er ist uns - für dieses Leben - entrückt, genommen. Kein Weg führt mehr von uns zu ihm und von ihm zu uns. Mit alledem muß man fertigwerden... Fertig-werden...kann man das überhaupt? Jetzt schon, heute, wo alle Wunden noch so frisch sind, wo es uns noch gar nicht so ganz deutlich geworden ist, da wir doch alles um uns herum wahrnehmen wie durch einen Schleier... Fertig-werden...ob wir das je können? Nein, wenn wir hier nur einmal Atem holen könnten in der furchtbaren Anspannung der letzten Tage, wenn wir hier nur einen Moment der Stille fänden, in dem, was uns, seit es geschah, umtreibt, nicht schlafen läßt, die Ruhe nimmt... Fertig-werden können wir damit wohl lange nicht, vielleicht nie... Aber ein Augenblick der Besinnung könnte jetzt diese Stunde in der Kirche sein, eine Zeit der Ruhe, das Angebot eines hilfreichen Wortes, vielleicht ein ganz klein wenig Trost im Hinhö- ren auf einen guten Vers der Heiligen Schrift... Ich würde ihnen das hier gern schenken. Sie selbst, liebe Angehörige, haben mir überlassen, für diese Stunde ein Wort aus der Bibel auszusu- chen. Ich habe eins aus der Offenbarung des Johannes gewählt: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach. Wie gesagt, Sie selbst, die unserem Verstorbenen am nächsten standen, haben es mir übertragen, das Wort für diesen Anlaß zu finden. Ich denke, mich hat bei meiner Wahl dieses Wortes geleitet, wie ganz und gar anders hier doch der Tod empfunden wird, als Sie ihn jetzt wohl empfinden und seine grausame Macht fühlen: Selig die Toten...?! Und es hat mich sicher bestimmt, daß ich Sie so gern dahin führen würde, daß sie das nachsprechen kön- nen: Selig die Toten... Denn darin läge für sie Trost und Heilung von all den schrecklichen Bildern und den schlimmen Erfahrungen der letzten Zeit. Sie müssen den Heimgang ihres Mannes beklagen, ihres Sohnes und Vaters, Großvaters, Freundes, Ihres guten Nachbarn... Es war ein furchtbarer Schlag für Sie, am letzten Tag des vergangenen Jah- res, auch wenn sie schon so lange damit rechnen mußten: H. B. ist gestorben, den sie noch so ge- braucht hätten, der noch mitten drin stand im Leben, gerade 60 Jahre alt... Sie können und können es nicht begreifen - und da heißt es: Selig die Toten... ? Wir spüren jetzt sicher alle diese Spannung zwischen diesem Wort und dem, was sie erlebt haben, erleben mußten. Auf der anderen Seite: Viel- leicht ist das gerade die Atempause, die Ihnen dieses Wort gönnen möchte. Vielleicht liegt hierin auch die Hilfe und der Trost dieses Verses und - vielleicht - ist dieses Wort gerade deshalb die rechte Widmung für diese Stunde: Selig die Toten, die in dem Herrn sterben... Sterben hat ja gar nicht nur dieses eine, schreckliche Gesicht! Es ist ja gar nicht nur der Schlußstrich unter alle unsere Beziehungen zu einem Menschen, ist ja gar nicht nur diese furchtbare Wahrheit des Endes aller gu- ten Verbindungen zu einem Angehörigen, ist ja gar nicht nur Anlaß zum Weinen, zu Trauer und Schmerz... Sterben ist ja auch Anfang!: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an... Da hat ja doch auch ein Mensch all die Mühe und Plage seines Erdenlebens hinter sich ge- bracht! Da ist ja auch ein Mensch der Krankheit, die ihm viel Leid und Beschwerde auferlegt hat, für immer entgangen! Da ist ein Mensch - vielleicht früh und vor der Zeit, wie wir denken - den Weg geführt worden, den wir alle früher oder später gehen müssen: Nämlich hinüber in eine andere, aber doch auch bessere Welt. Das müssen wir auch sehen! Und das dürfen wir auch sehen und - glauben! Denn das sagt dieses Wort doch auch: Selig sind die Toten...von nun an! Von dem Tag an, an dem Jesus Christus mit seinem Sterben am Kreuz Herr über den Tod wurde. Von da an, daß er auf- erstand und allen seinen Leuten auch das ewige Leben verdient hat. Selig sind die Toten...von da an: Jetzt wird keiner mehr im Tod bleiben, der an ihn glaubt, der ihm die Macht über Hölle und Tod zu- traut. Jetzt wird es weiter gehen mit uns - ewig! Das mögen ja irgendwie fremde Gedanken sein - so kurz nach Weihnachten. Aber lösen wir uns nun langsam wieder vom Krippenkind - Jesus ist nicht gekommen, um für uns das süße Jesulein zu wer- den, dem die Engel singen und dessen Betrachtung uns die Tränen der Rührung in die Augen treibt. Er ist für einen Lebensweg des Leidens und Sterbens in diese Welt geboren. Als ein Opfer für die Schuld der Menschen. Sein Weg führt von der Krippe zum Kreuz, vom Holz eines Futtertrogs ans Holz des Galgens. Erst sein Tod macht, daß wir davon sprechen können: Selig sind die Toten...von nun an! Er hat uns freigekauft - für ein Leben nach diesem irdischen! "Sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach", so endet der Vers unserer Widmung. Und vielleicht liegt im rechten Hinhören auf diese Gedanken der stärkste Trost: Unser Verstorbener darf jetzt ausruhen von allem, was er in seinen 60 Jahren erlebt hat, durchlitten hat und an Kummer und Schwerem durchmachen mußte. Gewiß: Auch das Schöne, das Frohe, das Glück dieses Lebens ist an sein Ende gelangt, aber ein neues, ewiges Sein bei Gott ist unsere Hoffnung, ohne Leid, ohne Krankheit und Tod, nur Freude, nur Glück und Fülle... Und auch das ist tröstlich: Die Werke folgen ihnen nach... Nichts von alledem, was ihr lieber Verstorbener gewesen ist, was er an Gutem für seine Familie getan hat, was er anderen an Liebe und Hilfe gegeben hat, nichts davon ist jetzt verloren oder vergessen. Es ist vielmehr aufbewahrt und behalten. Es steht in dem Augenblick, da ihr Ver- storbener vor Gott treten wird, wie wir alle einmal vor ihn hintreten müssen, es steht dann neben ihm, wird für ihn sprechen und für ihn bitten. Keine Tat der Freundlichkeit, kein gutes Wort für die Mitmenschen, keine einzige Geste des Trostes oder des Beistands wird dann fehlen. Unsere Werke folgen uns nach! Wir lassen nichts von dem hier zurück, was uns ausgemacht hat. Was in dieser Welt zurückbleibt sind nur Erinnerungen und gutes Gedenken im Kopf und den Herzen der Men- schen, die uns liebten. Nur Erinnerungen, sagte ich. Aber ich denke, das ist doch schon sehr viel, wenn ein Mensch, der nun ganz und gar mit allem was ihn ausmachte auf die andere Seite des Le- bens gegangen ist, bei uns nur gute Gedanken, dankbare Erinnerung hinterläßt! Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach. Liebe Angehörige, ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie den Trost in diesem Wort erkennen: Keiner, der zu Jesus Christus gehört, geht im Tod ver- loren. Sterben bedeutet nicht nur den Schluß, sondern den Beginn eines Lebens. Tod ist auch Aus- ruhen-dürfen von der Beschwerde, von Leid und Krankheit. Und schließlich: Bei Gott ist alles be- halten und aufbewahrt, was ein Mensch in seinem Erdenleben getan hat. Und noch eins: Auch sie, die jetzt so niedergeschlagen und traurig sind, bleiben in der Fürsorge Gottes und unter seinen gnä- digen Augen - auch wenn ihnen das heute noch zu glauben schwerfällt. Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach. Vielleicht können diese Gedanken uns allen ein wenig Trost sein - vielleicht auch eine Anregung, vor der wir unser Verhältnis zu Gott, zu Tod und Leben überprüfen und neu ausrichten!