Ansprache zur Beerdigung - Kirchenvorsteher - Früher Tod nach schwerem Leiden Joh. 14,19 und Äußerung des Sterbenden: "Herr Pfarrer, es geht aufwärts!" Liebe Frau Z., liebe U., liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Es ist schrecklich, was geschehen ist. Erschreckend und beängstigend. Daß es so etwas gibt! Ein Mensch, der doch immer ganz gesund war, wird krank und verfällt in kaum einem Jahr. Was erst so harmlos aussah, lähmt diesen so rührigen und immer - auch für seine Mitmenschen - tätigen Mann bald völlig, entpuppt sich erst vor Monaten als Krankheit zum Tode, nimmt ihm alle Kraft, zehrt ihn auf in nur ein paar Wochen. Zuletzt hatte er nur noch ein paar Tage zu Hause. Kaum war - für viele von uns - noch Gelegenheit ihn zu besuchen und Abschied zu nehmen. Da hat uns die Nachricht er- reicht. Keiner, der nicht bestürzt gewesen wäre, als er davon hörte. Niemand, der nicht verstummt ist oder dem nicht ein Wort entfuhr wie: "Ich kann es nicht glauben!" oder "es ist unfaßbar!" Und wir können es ja auch nicht fassen: Er war doch erst 56! Weiß Gott, kein Alter zum Sterben. Und dieser Mensch wird uns auch so fehlen: Zuerst in der Familie - wer soll ihn denn da ersetzen. Und dann in der Gemeinschaft unseres Dorfes - überall war er doch engagiert, bemüht, mitzutun, zu arbeiten, zu helfen... Und nicht zuletzt wird er uns in der Kirchengemeinde fehlen: Er war der Vor- sitzende unseres Kirchenvorstands, und er hat dieses Amt wahrhaftig ausgefüllt. Schon wenn wir an den Aufbau unserer Kirche vor Jahren denken... Sehr viel Zeit und Einsatz hat er dafür geopfert! Und auch ich persönlich verliere in ihm den selbständigen Mitarbeiter in der Gemeinde, der mir sehr viel Arbeit abgenommen hat und bei dem ich immer wußte, er ist absolut verläßlich! Weil er uns jetzt so fehlt, versuchen wir seit Tagen, jeder auf seine Weise, irgendeinen Sinn in die- sem furchtbaren Geschehen zu entdecken. Wir wollen eine Antwort finden auf die quälenden Fragen: "Warum? Warum so früh? Warum er?" Und wenn wir Christen sein wollen, wird es nicht leichter. Dann heißt es vielleicht: "Warum, Gott?" - "Warum hast du ihn so sterben lassen?" - "Warum müssen die Frau, die Tochter, die Schwester jetzt so früh allein sein, ohne Mann, ohne Va- ter, ohne den Bruder..." - "Konnte er nicht ein rundes, vor allem ein längeres Leben haben?" Nein, wir haben noch keine Antwort gefunden. Unsere Versuche, einen Sinn zu entdecken, sind fehl- geschlagen. Ein Satz etwa wie: "Gott wollte ihm Schlimmeres ersparen...", bleibt uns im Hals stecken und hört sich nur noch töricht an. Was hätte denn noch schlimmer sein können? Für ihn? Für seine Lieben? Oder das - was man mit einiger Frömmigkeit ja vielleicht ganz ernsthaft meinen kann: "Er war zwar erst 56, aber seine Aufgabe, die ihm Gott in dieser Welt gestellt hat, war erfüllt." Wir spüren es, auch das gibt keinen Trost. Auch darin liegt kein Sinn. - Und wir sehnen uns doch so nach Sinn! Wir möchten begreifen können, möchten eine Erklärung haben, fordern Antwort... Denn was wir nicht begreifen können, bleibt ja dunkel und erschreckend. Das Unerklärte flößt uns ja weiter kalte Angst ein. Und wir möchten doch gern wieder frei werden von diesen trüben Gedanken. Wir möchten doch auch wieder in unseren Gebeten vertrauensvoll zu Gott kommen können. Liebe Trauergemeinde! Mit diesen Fragen, Gefühlen und Ängsten, mit unserer ganzen Bestürzung über diesen Tod sitzen wir jetzt hier in der Kirche. Und ich glaube, ja, ich spüre es förmlich, daß wir nun aber doch ein Wort hören wollen, das uns endlich weiterhilft, heraushilft aus diesem Er- schrecken, unsere Fragen aufnimmt und uns wenigstens eine Ahnung von Sinn schenkt. Und viel- leicht haben wir das ja gerade von dieser Ansprache erwartet... Und ich weiß doch um mein Unver- mögen! Ich kann es nicht! Ich weiß auch nicht, warum wir heute schon seinen Tod beklagen müssen. Auch ich quäle mich mit diesen Gedanken und finde keine Erklärung. Und auch mir hat das sehr wehgetan: Wie für die meisten von uns war R. Z. auch für mich ein sehr wichtiger Mensch, aufrich- tig, geradlinig, ohne falsche Eitelkeit und immer hilfsbereit... Und das eben macht auch für mich die Frage nach dem Warum nicht leichter. - Nachdem das nun einmal heraus ist, will ich aber auch sagen, welche Überlegungen bei mir durch dieses so frühe Sterben ausgelöst worden ist. Denn, kön- nen wir auch nichts erklären, so stößt doch dieses Geschehen unser Denken an! Bei mir hat es das auf diese Weise getan: Ich sage mir heute: Wie rasch das doch gehen kann mit dem Abschied von dieser Welt...und nicht nur bei irgend jemand anderem, nein, bei mir! Ich bin keine 10 Jahre jünger. Wieviele von uns sind in etwa in seinem Alter und wie viele längst darüber? Außerdem: Kann man nun wirklich sagen, was ihn angegriffen hat, tritt erst jenseits von 50 oder 55 auf? Wir wissen genau, daß unser Leben nicht gegen den Tod zu versichern ist - das gilt, so alt oder so jung wir auch sein mögen. Was ich also sehe und vor diesem Tod schmerzlich erkennen muß, ist dies: Auch ich bin in einem Leben, dessen Länge ich nicht weiß und dessen Ende ich nicht kenne. Ich muß, ich müßte also bereit sein, wenn es für mich Abschiednehmen heißt. Bereit sein, auch Gott mein Leben und meine Taten vorzulegen und zu verantworten. - Bin ich das? Und noch ein zweites wird in meinen Gedanken angestoßen: Ich stehe ja auch in Beziehungen zu vielen anderen Menschen. Und nicht immer sind es geklärte, nicht immer gute Beziehungen. Wenn nun der Tod bei anderen so rasch - wie wir es bei R. Z. erlebt haben - seinen Strich zieht!? Wird dann noch Zeit sein, das Wort auszusprechen, das doch schon so lange hätte ausgesprochen werden müssen? Werde ich noch Gelegenheit haben, zu bereinigen, zu vergeben oder Vergebung zu emp- fangen? - Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wenn wir nun auch keinen Sinn in diesem schrecklichen Geschick erkennen können, heißt das sicher nicht, das kein Sinn darin läge. Ich bin gewiß: Gott weiß den Sinn. Überdies kann ja wohl auch das sinn-voll sein, daß wir ins Nachdenken geraten und wahrnehmen, wie ungesichert und gefährdet un- ser Leben doch ist, ja und wie groß das Geschenk, es noch leben zu dürfen. Es könnte wohl gut sein, wenn wir auch bei uns wieder einmal schauen, wie wir denn zum Abschied stehen und wie sehr uns ein so frühes Sterben persönlich bewegt und erschüttert. Und schließlich ist sicher auch das ein wertvoller Anstoß, den wir von heute mitnehmen könnten, daß wir unsere Beziehungen zu anderen Menschen überprüfen und dort endlich die doch schon so lange nötigen Worte sagen und die klären- den Taten endlich tun. Liebe Trauergemeinde, bleibt nun auch so vieles dunkel, was den Sinn und das Warum angeht, so bleibt es doch auch eine Tatsache, daß wir Trost finden wollen, besonders in dieser Stunde, hier in der Kirche. Und diesen Trost gibt es ja auch - Gott sei Dank! Ich möchte dazu von etwas erzählen, das habe ich in den letzten Tagen am Sterbebett von R. Z. mit ihm erlebt, ja, von ihm gehört. Es war nur ein Satz, aber er hat mich sehr bewegt und beschäftigt, ja, er beschäftigt mich bis heute! Das war kurz nachdem R. Z. aus dem Krankenhaus - wie wir heute wissen - zum Sterben nach Hause entlassen worden war: Er lag da in seinem Bett, ziemlich elend, sehr schwach, und ich hätte keine Erfahrung mit totkranken Menschen haben müssen, um zu sehen: Er wird bald sterben. "Wie geht es ihnen", habe ich ihn gefragt. "Herr Pfarrer, es geht aufwärts", war seine Antwort. Und diese Antwort sprach doch so ganz offensichtlich dem Hohn, was ich sah. So dachte ich zuerst. Liebe Trauergemeinde, heute denke ich, R. Z. hat das eigentlich anders gemeint, als ich es erst ver- standen habe. Nein, er hat sich gar nicht über seinen Zustand getäuscht. Er meinte nicht, daß er nun auf dem Weg der Genesung wäre. Er meinte nicht, daß er bald wieder aufstehen, gehen und seine Arbeit verrichten könnte. Er meinte nicht, daß er das Leben noch einmal genießen, daß ihm Gott noch Jahre oder gar Jahrzehnte schenken würde. "Herr Pfarrer, es geht aufwärts!" Ich glaube fest, er meinte das in diesem anderen Sinn, so wie wir das meinen, wenn wir singen: "Nun aufwärts froh den Blick gewandt", oder wenn wir sagen: "Alles Gute kommt von oben", oder schließlich, wenn wir von der Ewigkeit sprechen: von "Jerusalem dort droben" oder vom "Himmel". "Herr Pfarrer, es geht aufwärts!" Liebe Trauergemeinde, mich hat das aufmerksam gemacht auf eine Tatsache, die wir leicht - beson- ders in solchen schweren Stunden des Abschieds - vergessen! Es gibt ein Leben nach dem Tod! Je- sus Christus ist auferstanden, auferweckt worden von seinem, von unserem himmlischen Vater. Die- ses Leben - ob es nun 70, 80 oder nur 56 Jahre mißt, hat seitdem nicht am kalten Tod seine Grenze. Was wir heute begraben, das sind nur sterbliche Reste eines Menschen. Er selbst, um den wir trau- ern, ist schon woanders - um Jesus Christi willen! - "Herr Pfarrer, es geht aufwärts!" Und ich will mich trauen in unsere Traurigkeit und unseren Schmerz hinein auch noch das zu sagen: Das Leben in Gottes neuer Welt, auf das wir Christen zugehen, ist allemal besser, schöner auch als es noch das gesundeste, längste Leben hier sein kann. Einer der drüben ist, einer der diese Welt überstanden hat, eingetauscht hat mit Gottes Herrlichkeit, der wird sich nicht mehr zurücksehnen nach dem, was er hier hatte. "Herr Pfarrer, es geht aufwärts!" Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, wenn es nur das wäre, was wir von heute mitnehmen? Wenn uns über dem Abschied von R. Z. nur dieser eine Gedanke neu oder vielleicht zum ersten Mal aufginge: Daß wir ja heute nicht nur das Ende eines Lebens betrauern, sondern auch den Anfang eines ewigen Lebens feiern, nach unserem Glauben. Wenn es nur das wäre, was uns R. Z. als sein Vermächtnis zurückließe? Wäre das so wenig? Und könnte uns das nicht trösten? Darum will ich es jetzt für uns alle sagen, jedem und jeder von uns zusagen: Wir haben es an Ostern gefeiert. Unser Herr ist auferstanden. Er sagt uns: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Wenn wir das glauben, dann gilt es in einem ewigen Sinn für uns: Es geht aufwärts! Für R. Z. war die Zeit nach Gottes Willen schon gekommen. Wir dürfen ihn ganz getrost in Gottes gute Hände geben und wollen uns um ihn nicht mehr sorgen. Unser eigenes Leben wollen wir so ein- richten, daß wir jederzeit bereit sind für Gottes Ruf. Und wir wollen nicht vergessen, was uns - um Christi willen - verheißen ist: "Liebe Leute, es geht aufwärts!"