Ansprache zur Beerdigung - Früher Tod nach längerem Leiden Matth. 24, 13 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wenn ich heute, wie ich das ja immer tue, nach der besonderen Botschaft dieses Abschieds frage, dann fällt mir ein: Wie früh er doch gehen mußte, unser Verstorbener...und - noch viel mehr - wie leidvoll seine letzte Lebenszeit doch gewesen ist, auch wenn er das, wie es halt seine persönliche Art war, nicht so nach außen hat dringen lassen. Und ich glaube, das geht uns jetzt allen im Kopf umher. Das beschäftigt nicht nur mich. Das macht gewiß auch die besondere Befangenheit von uns allen aus in dieser Stunde. Das geht uns nah: Warum schon und warum nach solch schwerer Krankheit und diesem harten und zuletzt doch vergeblichen Kampf. - Wir suchen eine Erklärung dafür. Wir wollen ja immer wissen...verstehen, sagen können: Darum war das so, aus diesem oder jenem Grund ist das so gekommen. Auch heute wollen wir begreifen. Wir suchen eine Antwort auf unsere Fragen. Ob wir sie finden? Liebe Trauergemeinde, ich glaube, wir müssen uns davor hüten, verstehen zu wollen, warum einer früh sterben muß ein anderer alt und lebenssatt. Und noch mehr müssen wir uns hüten, erklären zu wollen, warum ein Mensch leiden muß, ein anderer nicht. Wir wissen es nicht. Wir sollen es nicht wissen. Darum dürfen wir es auch nicht zu deuten versuchen. Den Grund kennt Gott allein. Aber - und das ist mir wichtig! - er kennt ihn auch! Es hat einen Sinn, warum Gott den einen schon früh ruft, einen anderen hochbetagt. Und es hat einen Sinn, wenn wir leiden müssen. Ich vertraue Gott, daß er nichts Sinnloses von uns, von dir und mir verlangt. Worin könnte der Sinn des Leidens lie- gen? Ich will, ich kann da nur aus meiner Erfahrung antworten: Ich habe schon Menschen von ihren Schmerzen, ihrer schweren Krankheit reden hören - ganz ohne Bitterkeit. Diese Menschen haben erlebt: Im tiefsten Leiden, wenn die Todesangst nach mir greift, bin ich nicht allein. Dann steht einer neben mir. Der hält mir die Hand. Hilft mir durchhalten. Der gläubige Mensch, der Jesus Christus zum Herrn hat, der weiß, wer dann nahe ist: Jesus ist ein für allemal der Freund und Helfer aller Menschen im Leid, in Schmerzen und Krankheit. Auch solche habe ich kennengelernt, die, obgleich ihnen jeder Tag, den sie erleben müssen, große Qual bereitet - doch so etwas wie Freude ausstrahlen. Alle um sie her können es kaum begreifen: Wenn auch der Körper, geplagt und gepeinigt ist, sie tragen ein Gesicht, dem man's nicht ansieht - und sie geben gar noch denen Kraft, die neben ihnen leben. Und schließlich: Wir alle haben gewiß schon Erfahrungen mit solchen machen dürfen, die ihr schweres Schicksal - ganz ausgesprochen - aus der Hand Gottes nehmen konnten. Vielleicht haben sie ihr Leid als Prüfung aufgefaßt. Vielleicht haben sie uns erzählt, wie sie alles, was sie erdulden müssen, nur näher zu Gott, an seinen Trost und Beistand gebracht hat. Das - und noch viel mehr - könnte Sinn des Leidens sein. Immer wird er persönlich erfahren. Nie kann einer über den anderen sagen: Darum und aus diesem Grund mußt du leiden. Aber ich selbst, ich für mich kann wohl so sprechen: Ich glaube, ich muß da hindurch, weil... Wir werden sehen, welchen Sinn wir erkennen, wenn für uns die Stunde da ist. Sinnlos aber ist das Leid nie und nimmer. Dafür steht Gott uns ein. Der Gott, der uns liebt und der uns - selbst mit hartem Geschick - noch etwas sagen will. Er sagt es aber jedem für sich. - H. S., das wissen wir alle, hat eine schwere, sehr schwere letzte Lebenszeit gehabt. Uns allen hier, die wir davon wußten, hat das die Fragen aufgegeben: Warum, warum überhaupt und warum er? Wir sollten jetzt aufgeben, so zu fragen. Wir werden es nicht lösen können. Wir sollen auch nicht so fragen. H. S. selbst - so glaube ich fest - hat auf die eigenen Fragen auf irgendeine Weise Antwort bekommen. Vielleicht wurde er gestärkt, als die Schmerzen zuletzt kaum noch zu ertragen waren - So könnten wir uns auch erklären, warum er so geduldig war, warum er nie geklagt hat, bis an sei- nen letzten Tag. Vielleicht auch hat er die Nähe unseres Herrn spüren dürfen, der keinen allein läßt, der wie er leiden muß. So hätte auch die Zeit der Krankheit und der fortschreitenden Schwäche für den Verstorbenen selbst eine tiefe Bedeutung gehabt. Vielleicht auch gab es einen anderen Sinn - den nur H. S. selbst kannte - der ihm im Leid aufging und ihm tragen und ertragen half, was ihm auferlegt war. Sinnlos aber waren seine Schmerzen und seine Krankheit nicht. Da dürfen wir sicher sein. Da dürfen wir Gott vertrauen. Für uns, seine Angehörigen und Freunde, bleibt es schwer zu begreifen, was wir mit dem Verstorbenen - aus der Nähe oder mehr aus der Ferne erlebt haben. Je- dem von uns fällt das schwer. Denn jeder von uns versetzt sich ja unwillkürlich in die Lage dessen, um den wir heute trauern und wir fragen uns gewiß: Wie hätte uns das Leiden des H. S. angetrof- fen? Wie hätten wir das bestanden? Solche Gedanken lösen Ängste aus. Wir möchten so nicht den- ken, nicht einmal heute. Aber es wäre vielleicht gut, sich auch einmal solche Fragen zu stellen! Denn wer weiß, was Gott noch für ihn bereithält? Was hilft uns, das einmal nicht zu verdrängen, dem ein- mal nicht auszuweichen? Denn wer weiß, wann wir das brauchen können: Auf das Leid eingestellt sein, um dann nicht verzweifeln zu müssen. Mir hilft bei solchen Gedanken ein Wort Jesu aus dem Matthäusevangelium. Es ist der Trauvers des Verstorbenen gewesen, der ihm und seiner Frau einmal mit auf den gemeinsamen Lebensweg gege- ben wurde: "Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig." Beharren sollen wir! Das Leben ist kein leichter Weg im Sonnenschein. Es gibt etwas zu bestehen. Für den einen weniger, den ande- ren mehr. Es gibt etwas auszuhalten. Und wenn das für uns dran ist, dann denken wir daran: "Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig." Diese Zeit zwischen Geburt und Tod ist nicht das Ganze. Es kann, selbst wenn wir dieses Leben in Glück und Freude verbringen, immer nur ein schwacher Abglanz von dem sein, was uns - wenn wir an Jesus Christus glauben - erwartet. Jesus nennt es Seligkeit. Wir sagen oft: Ewiges Leben, Nähe Gottes, Himmelreich dazu. Und das ist jetzt keine Vertröstung auf's Jenseits für alle, die es hier schlecht haben. Das soll auch beileibe für uns an- dere kein Freibrief sein, untätig zu sein gegenüber denen, die in unserer Nähe leiden müssen. So als könnten wir uns ja sagen: "Muß er oder sie hier auch viel Schweres, viel Leid und Krankheit beste- hen, so wird er oder sie ja doch selig!" Nein, so nicht! Als Christen haben wir vielmehr die Aufgabe, uns jedem Leid entgegenzustellen, zu helfen, wo Menschen von Krankheit gequält werden, zu lin- dern, wo unsere Nächsten in Not und Schmerzen sind. Wo wir das getan haben, wird dann aber vie- les übrig bleiben, was uns fragen läßt: Warum? Wo wir - bei Einsatz aller Kräfte - nicht mehr beiste- hen können, dann - dann erst - dürfen wir diesen Trost in Anspruch nehmen für uns selbst und ihn den Leidenden auch weitersagen: "Wer beharret bis ans Ende, der wird selig." Dieser Vers und was er sagt wird uns das Leid nicht ersparen, aber er wird uns helfen, darüber hinaus zu kommen, nicht daran hängen zu bleiben: Wenn ich weiß, mein Schicksal, meine Krankheit, mein Siechtum - alles das wird einmal zu Ende sein, wird nicht ewig dauern, dann kann mich das stärken, im Leiden nicht die Hand Gottes loszulassen, der mir die Herrlichkeit seines Reiches verspricht. So wird der Trost, den ich als Christ im Glauben an Gott erhalten kann, vollkommen: Jesus selbst - der Freund aller Leidenden - wird mich in Krankheit und Schmerzen nicht allein lassen. Er wird dann neben mir stehen und mir Kraft geben. Ich werde, wenn ich leiden muß, von Gott eine Antwort er- halten, warum. Er wird diese Antwort nur mir selbst geben, aber er wird es tun! Und dann: Ich darf mir wenn die Angst und Qual am größten ist, vor Augen stellen: Das ist nicht das letzte, was Gott für mich bereithält. Einmal wird alle Qual, alle Schmerzen, alles Leid vergehen und einer Herrlichkeit weichen, für die wir Menschen keine Worte haben. Für H. S., der die Bitterkeit menschlichen Leids in ganzer Tiefe kennengelernt hat, bitten wir, daß er nun auch die Seligkeit sehen darf, von der dieses Wort spricht: "Wer beharret bis ans Ende, der wird selig."