Ansprache zur Beerdigung - Tod einer frommen Frau, die mit Gesangbuch u. Bibel gelebt hat Ps. 23 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Nach der kurzen Lebensbeschreibung, die wir eben gehört haben, wissen wir schon einiges von E. L.. Und doch hatte ich heute - wie sonst selten - den Eindruck, wenn wir diese Lebensdaten kennen, haben wir im Grunde noch keine Ahnung davon, wer und wie dieser Mensch war. Denn sicher nicht nur ich, sondern viele in unserer Kirchengemeinde, denken, wenn sie jetzt ihren Namen hören und sich an diese Frau erinnern, an ganz andere Dinge als an ihren Geburtsort, die Stellen, wo sie gearbeitet hat oder ihr Sterbedatum. Ich weiß, daß viele von ihnen bei einer Beerdigung das Wort Gottes hören wollen. Das soll auch nicht zu kurz kommen. Ich glaube aber, wir werden unserer Verstorbenen nicht gerecht, wenn wir nicht auch ein paar persönliche Worte über sie sagen - nicht um sie zu loben oder ihre Verdienste hervorzuheben, son- dern einfach weil gerade sie etwas anderes ausgemacht hat, als die Daten und Jahreszahlen ihres Lebens. Ich z.B. muß heute denken, daß nun wieder ein Platz in unserer Kirche leer bleiben wird. Sie war eine wirklich treue Kirchgängerin. Wenn sie am Sonntag fehlte, dann konnte ich ziemlich sicher sein, daß sie krank war und nicht hatte kommen können. Selbst Schnee und Eis konnten sie nicht abhalten, sich zu ih- rem Gottesdienst aufzumachen. Sie hatte sich für solche Witterungsverhältnisse wahrhaftig besonderes Schuhwerk zugelegt! Ihre Treue zum Kirchgang ging so weit, daß sie sich sogar bei mir vorher abmelde- te, wenn sie einmal am Sonntag auswärts einen Besuch machen wollte. - Sie hat das nicht getan, um sich bei mir in ein gutes Licht zu setzen, sondern einfach deshalb, weil sie ihre Kirche und ihren Gottesdienst liebte und er ihr viel bedeutete. Die Frauen aus unserem Frauenkreis vermissen jetzt mit E. L. eine Frau, die seit Jahrzehnten immer dabei war. Genau wie im Gottesdienst konnte man sich auch hier auf sie verlassen. Immer war sie in den Frau- enstunden des Winters und die Gemeinschaft der Frauen war ihr wichtig, wichtiger allemal als das schöns- te Fernsehprogramm am Donnerstagabend. Und schließlich der Seniorenkreis... Auch dort konnte man auf sie zählen. Wenn ihr Platz nicht besetzt war, dann hieß es in der Kaffeepause ganz sicher an den Tischen: "Ist die ... krank?" So müssen wir also über alle bloßen Daten ihres Lebens hinaus mindestens dies wissen: Sie war von gro- ßer Treue beseelt und sie war in dieser Treue überaus verläßlich. - Und das führt uns zum Wort Gottes, das wir jetzt bedenken wollen: Denn wenn sie treu sein konnte, dann kam das von daher, daß sie in ihrem Leben immer wieder die große Treue Gottes erfahren hat. Und da müssen wir jetzt noch eines wissen von ihr: Sie hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu den Lie- dern der Kirche und zu ihrem Gesangbuch. Wenn sie Geburtstag gehabt hatte und wir ihr im Frauenkreis ein Lied singen wollten, dann konnten wir das schon aufschlagen, ohne, daß sie den Liedwunsch ausspre- chen mußte. Wir haben dieses Lied vorhin auch gesungen: Ach bleib mit deiner Gnade... Das war ihr Konfirmandenlied gewesen und sie hing sehr an diesen Versen! Und gerade der letzte Vers führt uns ja auch zu ihrem Lebensthema: Ach bleib mit deiner Treue, bei uns, mein Herr und Gott; Beständigkeit ver- leihe, hilf uns aus aller Not! Wie sie mit dem Gesangbuch lebte, so daß es 1995 wirklich Zeit wurde, daß es ein neues gab, denn ihr al- tes Gesangbuch war derart zerlesen vom täglichen Gebrauch, so lebte sie auch mit einem Psalm aus dem Psalter, dem Liederbuch Israels. Noch bevor ich ihn nenne, wissen jetzt sicher alle, welchen Psalm ich meine. Wenn ich am Sonntag diese Verse als Eingangspsalm des Gottesdienstes gelesen habe, dann be- wegten sich E. L.s Lippen wie von selbst mit: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln...." Und bei der Goldenen Hochzeit der Lewandowskis vor 10 Jahren habe ich auch über diese Worte gesprochen. Und wenn wir jetzt einmal vom Gedanken der "Treue" her diesen Psalm hören, dann wird es uns aufge- hen: Auch in diesem schönsten aller Psalmen geht es im Grunde um die Treue - des guten Hirten zu uns und von uns, seiner Herde, zu ihm. Aber hören wir jetzt von daher auf diese wunderschönen Worte: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße um seines Namens wil- len. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Ste- cken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Ich denke, kein Herz kann sich da verschließen: Es sind einfach wunderbare Worte! Sie erheben uns, sie erfreuen uns, sie trösten uns - je nach dem, was wir gerade brauchen. Und sie sprechen eben von der gro- ßen Treue des guten Hirten zu den Seinen. Daß er sie recht führt, ernährt, beschützt, bewahrt und niemals verläßt. Und für unsere Verstorbene waren das nicht nur Worte. Sie hat das als die sicherste, verläßlichste Wirk- lichkeit erfahren. Und darum wollte sie mit ihrem Leben, mit ihrem Reden und Handeln auch verläßlich sein und treu. Liebe Gemeinde, an dieser Stelle wollen wir jetzt unsere Gedanken auf uns selbst lenken. Denn ist das nicht wirklich schön und könnte es nicht unser Leben erfüllen und froh machen, wenn auch wir uns von der Treue des guten Hirten beschützen, führen und anstecken ließen? Da werden manche jetzt denken: Aber ich habe von dieser Treue Gottes noch nie oder doch erst sehr we- nig gespürt! Mir fehlen die guten Erfahrungen, die E. L. in ihrem Leben anscheinend hat machen dürfen. Ich möchte dazu sagen, daß es sicher nicht daran liegt, daß unsere Verstorbene halt ein so glückliches, leichtes Leben gehabt hat. Im Gegenteil! Sie mußte schon von Kindheit an hart arbeiten und leidvolle, dunkle Jahre blieben ihr nicht erspart! Nein, ich glaube, es liegt alles daran, wie wir zu diesem guten Hir- ten stehen, wie wir mit ihm leben und ihn auch für uns sorgen lassen und uns ihm anvertrauen. Und mit unseren Ansprüchen hat es sicher auch zu tun. So kann man ewig nörglerisch alle Gaben und Geschenke Gottes empfangen. Dann wird man eben nicht sagen können: Er weidet mich auf einer grünen Aue..., sondern vielleicht: Das ist mir alles zu wenig! Ich will dies und das erreichen, ich will ganz nach oben, ich will mehr haben als der Nachbar... So verläßt man den Hirten und die Herde. Nur - diese Erfahrung kommt leider meistens zu spät - glücklich wird man so nicht, nur einsam, sehr einsam. Und manche spre- chen, wenn böse Zeit hereinbricht, eben nicht so: Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, sondern sie fangen mit dem Lamentieren an, vergleichen sich mit den anderen, denen es vermeintlich besser geht, um dann dem Hirten abzusagen und ihn gar zu leugnen. Auch so begibt man sich fort von ihm und den Seinen. Menschen, wie unsere Verstorbene einer war, gehen davon aus: Dieser Herr, unser Gott, ist und bleibt, was auch immer geschieht, mein guter Hirte! Er meint es gut mit mir, darauf ist Verlaß. Er hat mein bes- tes im Sinn. Er wird immer für mich sorgen. Was auch geschieht, es kann mir nicht schaden. Mein Glück, mein Heil ist schon vollbracht! Das ist das erste. Und von daher erleben solche Menschen dann alles, was ihr Schicksal für sie bereit hält: Bringt es gute Jahre, dann sind sie dankbar. Kommen schwere Zeiten, dann können sie darin bestehen, denn sie wissen es: Nichts und niemand kann sie von ihrem guten Hirten trennen und er führt sie auch durch alles Dunkel und alles Leid hindurch. Und im Unglück wissen sie doch: Einmal wird sich alles wen- den! Einmal weicht alle Krankheit, alle Not und alle Sorge dem herrlichen Tag Gottes, der keine Tränen, keinen Kummer und keinen Tod mehr kennt. Liebe Gemeinde, noch einmal: Nicht jede und nicht jeder kann solche Gedanken an diesen guten Worten festmachen. Nicht alle können wir das glauben, daß diese Worte mehr sind als ihr schöner Klang und die guten Bilder ihrer Sprache: Der Herr ist mein Hirte... E. L. hat uns mit ihrem Leben gezeigt, daß es geht: Man kann aus und mit diesen schönen Worten wirk- lich leben. Man kann diesem guten Hirten wirklich vertrauen. Und man kann aus der in diesem Psalm ver- sprochenen Treue auch wirklich selbst treu sein und ein Leben lang - auf lichten Höhen, aber auch in dunklen Tälern - treu bleiben. Darum müssen wir uns jetzt um unsere Verstorbene keine Sorgen machen. Wir dürfen sie seelenruhig und voll Vertrauen auf ewig dem guten Hirten in die Hände legen. Er wird an ihr wahr machen, was ihr Psalm am Ende sagt: Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Wir wollen jetzt noch im Lied vom guten Hirten singen: Der Herr ist mein getreuer Hirt...