Ansprache zur Beerdigung - Tod einer frommen Frau, die mit Gottes Wort gelebt hat Kol. 3, 16 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Sie, liebe Frau S., haben es mir ausdrücklich freigestellt, über welches Bibelwort ich heute sprechen möch- te. Unsere Verstorbene hat nichts hinterlassen, was mich da jetzt binden würde. Ihren Taufvers, ihren Kon- firmationsspruch wissen wir nicht mehr. Wir könnten auch nicht sagen, welcher Bibelvers ihr vielleicht be- sonders lieb war. Aber nicht darum, weil sie mit den Versen der Bibel nicht vertraut gewesen wäre. Im Ge- genteil. Sie hat mit den Geschichten der Bibel gelebt und daher waren ihr viele Worte der Bibel bekannt und für sie wichtig. Ich habe immer wieder, wenn ich sie besucht habe, gestaunt, wie vertraut sie mit der Heiligen Schrift, besonders mit dem Neuen Testament, also mit den Geschichten um unseren Herrn Jesus Christus war! Schon in früheren, gesundheitlich besseren Zeiten, hat sie gern und oft in der Heiligen Schrift gelesen. Der Neukirchener Kalender und das Gebet begleitete jeden Tag im Leben von M. L. Keinen Geburtstag gab es, an dem man nicht das "Lobe den Herren" oder "Befiehl du deine Wege" anstimmte. Am Heiligen Abend - nach der Christvesper - wurden unterm Weihnachtsbaum auch Zuhause noch Lieder gesungen. In den letzten Jahren, als ihr Augenlicht immer mehr abnahm, haben sie ihr dann Kassetten zum Hören besorgt, biblische Ansprachen auf Band, aber auch religiöse Lieder und Chorgesänge aus dem älteren Liedgut unse- res Gesangbuchs und aus unserer Zeit. Von Anfang an gehörte M. L. auch zu denen, die sonntäglich unse- ren Gottesdienst auf Kassette gebracht bekommen haben, und sie haben mir erzählt, wie gern sie den im- mer gehört, ja, wie sie darauf gewartet hat, denn in besseren Tagen war sie regelmäßige Kirchgängerin. So darf man heute gewiß sagen: In diesem Leben war Gottes Wort wichtig! Diese Frau, M. L., hat wirklich mit der Bibel und dem gesungenen und gesprochenen Gotteswort gelebt. - Und jetzt kommt das, was mich wirklich erstaunt und auch sehr erfreut hat. Das einzige Wort nämlich, von dem wir wissen, daß wir es mit ihrem Leben verbinden können, ihr Trauvers, heißt so: Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Lie- dern singt Gott dankbar in euren Herzen. Paßt das nicht wunderbar? Ich habe das wirklich noch nie so erfahren, daß in einem Leben ein Spruch der Bibel, der einem Menschen bei Taufe, Konfirmation oder Trauung gewidmet worden ist, so deutlich erfüllt wurde wie hier. Das ist doch gerade so, als hätte M. L. sich dieses Wort zum Lebensmotto gewählt. Ja, es scheint uns heute, als wäre es ihr besonderes Bemühen gewesen, das wahr zu machen: Auf Gottes Wort zu hören und ihm Lieder zu singen... Aber es war doch nicht so! Es war kein Bemühen bei ihr. Sie hat das gern getan und wie selbstverständlich. Wenn es ihr Wille gewesen wäre, nur ihren Trauspruch zu erfüllen, dann hätte sie gewiß für diesen Anlaß heute hinterlassen, daß wir diesen Trauspruch als Widmung für die- sen Abschied wählen. Ihr aber war das innerstes Bedürfnis: Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Gern und ganz selbstverständlich hat also diese Frau Gottes Wort in sich aufgenommen und Gott dankbar gesungen... Darum denke ich, es wäre in ihrem Sinn und gut und passend bei diesem Abschied, wenn ich nun an uns alle diese Empfehlung weitergebe: Tut das doch auch! Nehmt doch wieder auf, was sich wie ein roter Faden durch das Leben vieler Menschen früherer, leider inzwischen fast vergangener Zeiten gezogen hat: Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen... Ich weiß schon, nicht nur die Jüngeren unter uns haben da ihre Schwierigkeiten. Dem Gedanken, in der Bi- bel zu lesen, den Tag mit einem Losungswort oder dem Blatt aus dem Neukirchener Kalender zu beginnen, haftet so etwas Altväterliches an. Das ist einfach nicht mehr modern, nicht zeitgemäß...und das gleich im doppelten Sinn. Das scheint uns nicht in diese Zeit zu passen und ja, "Zeit", die haben wir dafür - gerade am Morgen - doch auch nicht mehr. Meinen wir. Nun ist sicher richtig, daß etwa die Verstorbene für das Wort Gottes wirklich mehr Zeit hatte. Besonders in ihren letzten Jahren. Aber die Alten und auch viele Menschen in unseren Tagen hatten und haben durchaus auch zu tun. Trotzdem war und ist bei vielen Christen Zeit da: Für die Losung, für das Kalenderblatt, für eine Weile der Stille, für das Gebet... Und wenn wir sie fragten, dann würden sie gewiß sagen: Das ist kein Verlust! Was wir etwa morgens dieser stillen Zeit gewidmet haben, ist uns doch nicht verloren! Es ist vielmehr ein Gewinn! Wir gehen gesammelt und mit dem Wissen an unser Tagwerk, daß Gott bei uns ist. Über Tag kommt uns vielleicht immer wieder einmal ein gutes Wort vom Morgen in den Sinn. Vielleicht dieses: "Siehe, ich bin mit dir, spricht dein Gott!" Oder auch jenes: "Sei getrost, fürchte dich nicht!" Kann man sich das nicht gut vorstellen, daß solche Worte helfen? - Ja, weil wir doch immer denken, wir hätten für die Stille und Besinnung über einem Gotteswort gerade am Morgen keine Zeit, will ich das ein- mal so sagen: Wenn am Arbeitsplatz, in Büro, Werkhalle oder wo sonst wir tätig sind, über Tag die Ge- danken nach dem Sinn kommen, wenn wir müde werden und uns so ausgepumpt fühlen, wenn wir Angst haben vor der Zukunft und meinen, wir schaffen es nicht mehr...wenn dann solch ein Wort vor unserem In- neren aufsteigt und groß wird: "Siehe, ich bin mit dir, spricht dein Gott!", war das dann am Morgen ein Zeitverlust, wenn wir uns dieses Wort für den Tag eingeprägt haben? Verlieren nicht die anderen, denen jetzt kein gutes Wort hilft, viel mehr Kraft, Nerven und eben auch Zeit, wenn sie jetzt nichts und niemand aus den trüben Gedanken, aus ihrer Furcht, Müdigkeit und bösen Erwartungen herausholt? Und der Predigt und dem Gottesdienst der Gemeinde, wo das Wort Gottes für unsere Tage laut wird, hängt ja für viele - nicht nur junge Menschen - heute auch der Makel an, sie wären nicht modern, könnten für das Leben in dieser Zeit und dieser Welt nichts geben, nichts helfen... Aber auch da gibt es die anderen. Die sagen: Ohne meinen Gottesdienst am Sonntag könnte ich die folgende Woche gar nicht bestehen! Si- cher nicht immer, aber doch immer wieder einmal begleitet diese Menschen ein Predigtwort die ganze Wo- che, gibt ihnen Anregung zum Nachdenken, gibt ihnen Stärke und Ermutigung für ihren Alltag. Diesen Menschen kann man nicht erzählen, die Stunde am Sonntag wäre doch eigentlich nur Zeitverschwendung und für das Ausschlafen besser genutzt. Diese Menschen nämlich sind gerade durch diese Stunde am Sonntag mit Quellen der Kraft und des Trostes verbunden, die ihnen von keinem Schlaf und keinem im Grunde müßigen Ausruhen aufgewogen werden kann. ...mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Nein, es geht hier nicht darum, daß wir nun dem Gesangverein oder dem Singkreis unserer Gemeinde beitreten. Da gäbe es dann ja auch wirkliche Hinderungsgründe, diesem Wort zu folgen. Wenn einer, eine doch nicht sin- gen kann... - Das Singen in unseren Herzen ist gemeint! Dieses Singen muß keine Melodie haben. Mir fie- len dabei einige Menschen aus unserer Gemeinde ein, die immer wieder sagen: Singen kann ich es ja nicht mehr, aber dieses oder jenes Lied ist mir so lieb, so wichtig! Vielleicht wünschen sich diese Menschen im Seniorenkreis oder Frauenabend dann ein Lied zu ihrem Geburtstag, das sie selbst längst nicht mehr mit ih- rer Stimme begleiten können, das sie aber gar zu gern hören und eben in ihrem Herzen mitsingen. Und mir fallen da auch solche Lieder ein, die immer wieder gewünscht werden: "Was Gott tut, das ist wohlgetan" und "Bis hierher hat mich Gott gebracht, dank seiner großen Güte". Und ich finde, hier ist genau das er- füllt, was dieser Vers meint: ...mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Liebe Gemeinde, das sind sehr zerbrechliche Gedanken, die ich hier sage. Mit einem Wisch kann man sie beiseite tun, kann sagen: Das ist nichts für mich, das paßt vielleicht für alte Leute, für Menschen, die nicht so im Leben stehen, nicht mehr so viel zu arbeiten haben und deren Tag unausgefüllt ist und bei denen sich die Stunden zäh und ohne rechte Arbeit dahinziehen... Es könnte aber sein, daß wir mit diesem Wisch leichtfertig etwas sehr Wertvolles zerstören, eine Hilfe, eine Kraft, die unser Leben sehr bereichern würde, wenn wir das überhaupt oder wieder mehr übten: Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Was wir heute sagen können, ohne die mindeste Übertreibung, ist dies: Bei M. L. ist dieses Wort wahr ge- wesen. Sie hat das ganz selbstverständlich so gehalten und die wunderbare, hilfreiche Wirkung in ihrem Leben erfahren. Vielen von uns wäre so ein Tag, wie sie ihn zuletzt hatte, sehr lang geworden. Ja, wir kön- nen uns das kaum vorstellen, wie man ohne zu sehen, ohne noch gehen zu können, doch so zufrieden und erfüllt leben kann. Sie war eben in den Geschichten der Bibel Zuhause. Sie hat - auch wo sie ihn nicht mehr besuchen konnte - den Gottesdienst ihrer Gemeinde in ihrer Stube mitgefeiert. Und das hat sie erfreut und bereichert, wo es doch anders nicht mehr sein konnte. Ich könnte mir denken, das unsere Verstorbene selbst uns die Empfehlung, die in ihrem Grabvers liegt, heute gern mitgegeben hätte. Da sie es ja nun nicht mehr kann, will ich es tun, noch einmal und ganz ein- dringlich, denn ich weiß, wie viel Segen darin liegt: Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und ich will noch ganz konkret und praktisch ein Wort hinzufügen, weil sich diese Empfehlung doch so gut mit der Zeit im Jahr trifft, in der wir gerade sind: In ein paar Tagen fängt nicht nur das neue Jahr an, sondern auch wieder das neue Losungsbüchlein für 1999 mit seinen wunderbaren Bibelworten für jeden Tag... Und auch der Neukirchener Kalender z.B. ist noch ganz voll und jung und hat uns für jeden Tag et- was zu sagen, mitzugeben, zum Beherzigen. Warum nicht einmal das neue Jahr auch in dieser Hinsicht neu beginnen? Warum nicht wieder oder zum er- sten Mal aufnehmen, was sich wie ein roter Faden durch das Leben vieler Menschen früherer, leider inzwi- schen fast vergangener Zeiten und auch das Leben von M. L. gezogen hat: Laßt das Wort Christi reich- lich unter euch wohnen... Es wäre ganz gewiß nicht zu unserem Schaden! Und wir würden damit auch das Andenken gerade dieses Menschen ehren, um den wir heute trauern. ...mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Wir wollen jetzt mit unseren Stimmen Gott ein Psalmlied singen: Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt...