Ansprache zur Beerdigung - Tod einer alten, frommen Frau 1. Mos. 24,56 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wer wie wir den Tod eines sehr alten Menschen beklagt, möchte wohl am liebsten stumm bleiben. Was soll man denn auch sagen? - Sollen wir von unserem Schmerz reden? Daß es uns weh tut, sie jetzt herzugeben, auch wenn - ja vielleicht gerade - weil sie so alt gewesen ist!? Sollen wir darüber sprechen, wie sehr sie uns jetzt fehlt? Sie, M. S., die doch immer bei uns war. Wird man uns nicht antworten oder doch mindestens so denken: Seid doch froh, daß ihr sie so lange haben durftet!? Sollen wir gar von dem erzählen, was noch hätte sein sollen, nach unserem Wünschen und Wollen, was sie gewiß noch so gern erlebt hätte, worauf sie sich - und wir mit ihr - noch freute: Ihren 90. Geburtstag in nur ein paar Wochen? Ach, es nützt ja jetzt keinem mehr. Es hat nicht sollen sein. Oder sollen wir hier vielleicht mutmaßen, was diesen Menschen nun im Tod erwartet und wie es wohl sein wird? - Wer dürfte von Dingen reden oder Vermutungen darüber anstellen, die allein Got- tes Sache sind? - Wovon sollen wir also sprechen? Liebe Trauergemeinde, laßt uns von Hoffnung reden, von unserer christlichen Hoffnung! Dazu sind wir zuallererst berufen. Gerade als Christen und besonders angesichts des Todes. Wenn wir von Hoffnung sprechen, machen wir niemals etwas falsch, denn die Menschen dieser Zeit brauchen nichts nötiger als das: Hoffnung, eine Zuversicht im Leben, einen Halt und einen Trost, gerade wenn wir darüber ins Nachdenken geraten, was denn einmal wird, wenn wir selbst gehen müssen... Und diesen Gedanken können wir uns ja heute nicht verschließen. Und so wollen wir M. S. und uns jetzt ein Wort der Hoffnung widmen. Die Verstorbene selbst hat es sich schon vor Jahren für diese Stunde ausgewählt. Es ist ein Wort, in dem die Gewißheit zum Ausdruck kommt, daß der Tod kein Ende, sondern nur eine Schwelle ist, hinter der es mit uns und der Liebe Gottes zu uns weitergeht. So steht es im l. Mosebuch im 24. Kapitel: Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Laßt mich, daß ich zu meinem Herrn ziehe. Ich finde, das ist eine wunderbare Umschreibung unserer christlichen Hoffnung, wenn wir auf den Tod blicken: ...daß wir zu unserem Herrn ziehen! Wir dürfen es auch anders ausdrücken und uns mit anderen Bildern ausmalen, aber es bleibt doch allemal dasselbe: Der Tod ist kein Schlußstrich unter einem Leben. Der Tod ist nur ein Übergang. Er ängstigt uns, ja!, weil wir ja nicht wissen, was kommt. Aber hinter dem Tod ist Zukunft! Es wird mit uns weitergehen. Es ist ein Herr drüben auf der anderen Seite, der erwartet uns. Der ist das Ziel unserer Reise. Ja, der hat uns - wie er uns fest verspricht - drüben schon eine Wohnung bereitet. Gewiß: Wir übergeben unsere Toten der Erde. Auch heute wird das nachher so sein. Aber was wir da begraben sind sterbliche Reste, und die können wir getrost dem Tod überlassen. Der Mensch aber ist mehr! Die Bibel sagt: Er ist eine lebendige Seele. Er ist geliebt und wichtig - für uns Menschen schon und noch viel mehr bei Gott! Aber wir wollen das ganz konkret für M. S. sagen. Dann kann es auch trösten: Ja, wir müssen unse- re Verstorbene heute hergeben. Wir müssen Abschied nehmen. Ihre Stimme wird zu Hause nie mehr erklingen. Der Platz, an dem sie immer gesessen hat, bleibt jetzt leer. Aber: Den Platz in unserem Herzen wird sie immer einnehmen! In unseren Gedanken bleibt sie uns nah. Und in unserem Inneren werden wir sogar ihre Stimme immer hören können. Aus unserer Liebe wird sie niemals entlassen. Wievielmehr gilt das für Gott, den Vater aller Menschen! Mußte M. S. jetzt auch aus diesem Leben gehen, Gottes Liebe wird sie in Ewigkeit nicht fallenlassen. Nein, der Tod wird sie und einmal uns nicht aufhalten...daß wir zu unserem Herrn ziehen! Liebe Trauergemeinde, woher wissen wir das eigentlich? - Wir wissen es nicht, aber wir sind gewiß. Warum? Weil uns einer vorausgegangen ist. Der ist auch gestorben, wie wir sterben - nur viel schrecklicher. Menschen haben ihn getötet. Und er ist auch begraben worden wie wir, der Macht des Todes überantwortet - wie alle Menschen. Dieser eine aber ist nicht im Tod geblieben. Gott hat ihn auferweckt am dritten Tag, wie er auch uns einst auferwecken wird. Er lebt, wie wir einst leben sol- len. Der Tod hat ihn hergeben müssen, wie er uns einst herausgeben muß. An ihm haben wir es ge- sehen: Gottes Macht hat am Tod keine Grenze. Nichts, gar nichts kann uns hindern...daß wir zu un- serem Herrn ziehen. Woher kommt aber diese Gewißheit? Aus dem Glauben. Und woher kommt dieser Glaube? Ein Glaube, der sich durch nichts und niemanden irre machen läßt, der sich beharrlich gegen alle Strö- mungen der Zeit und das Geschwätz der Leute behauptet? Woher kommt dieser Glaube, der in Ge- duld und Zuversicht aushält, mag er auch Not und Leid, Krankheit und Schmerzen und Verzweif- lung und schließlich den Tod erfahren...und dennoch läßt er die Hoffnung nicht los - und auch nicht die Hand Gottes? - Woher kommt solcher Glaube? Vielleicht hätten wir die Frau fragen müssen, von der wir heute Abschied nehmen: Woher kam dein Glaube? Denn sie hat in den Jahren ihres Lebens viel Leid und viele Schmerzen erfahren müssen. Was sie uns wohl geantwortet hätte? - Weil ich schon mit diesem Glauben groß geworden bin von Kindheit an? Weil der Mensch doch einen Glauben braucht? Oder ob sie vielleicht nur von ihren Erfahrungen gesprochen hätte: Ich habe in meinen Lebensjahren auch viel Schlimmes durchgemacht, aber ich habe erlebt: Wenn du dich selbst schon aufgegeben hast - einer hält dich und trägt dich - durch das Leid und das Dunkel hindurch. Manchmal habe ich ge- meint: Es geht nicht mehr, aber ich habe erfahren: Du läßt dich selbst los und bekommst Kraft von oben her. Oft war mir so bange vor dem nächsten Tag, vor dem Alleinsein damals, als mein Mann nicht mehr aus dem Krieg kam, vor all den anderen Lasten und dem Kummer des Lebens..., aber mir wurde immer wieder die Erfahrung geschenkt: Wenn du selbst am Ende bist, nichts anderes mehr tun kannst als vertrauen, dann weist sich ein Weg! Ob das ihre Worte gewesen wären? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, daß sie ein Mensch war, der wirklich viel Schweres durchleben mußte und viel Leid hat tragen müssen. Und wir wissen, daß sie dennoch immer von einer großen Zuversicht beseelt war und sich an diesem Wort festhalten konnte, das sie sich selbst und uns allen für diese Stunde gewidmet hat: Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Laßt mich, daß ich zu meinem Herrn ziehe. Wirklich: Das kann schon Hoffnung machen, daß es solche Menschen gibt: Geplagt und geprüft durch frühen Abschied, durch Leiden und Kummer - und doch halten sie fest an der Gewißheit und am Glauben: Einmal werde ich zu meinem Herrn ziehen! Von Krankheit und den Lasten des Alters beschwert, lassen sie doch die Hoffnung nicht fahren: Trotz allem Leid waltet die Gnade Gottes in meinem Leben und sie wird sich am Ende meiner Reise ganz durchsetzen. In einem Leben schwerster Erfahrungen reift in solchen Menschen dennoch das unerschütterliche Wissen: Es gibt Sinn - auch im Leiden. Es gibt Gnade - auch in einem schweren Leben. Es wartet ein Ziel - am Ende meiner und jeder Reise durch die Zeit in dieser Welt. Es gibt solchen Glauben. Es gibt Menschen, die solchen Glauben haben und durchhalten können. Das kann auch uns Hoffnung schenken. Doch: Ihr, von der wir heute Abschied nehmen müssen, traue ich zu, daß sie bis zuletzt auch in allen leidvollen Erfahrungen ihres verlöschenden Lebens dieses Wort aus tiefster Überzeugung hätte spre- chen können: Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Laßt mich, daß ich zu meinem Herrn ziehe. Halten wir von heute fest: Auch über unserer Lebensreise waltet die Gnade Gottes - auch wenn es manchmal nicht so aussieht. Auch uns wird zuletzt keiner aufhalten können, daß wir zu unserem Herrn ziehen. Es gibt Hoffnung! Diese Hoffnung ist stärker als der Tod.