Ansprache zur Beerdigung - Tod einer sehr alten, frommen Frau 5. Mose 31,8 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Der Mensch, von dem wir heute Abschied nehmen müssen, war hochbetagt. E. S. ist 89 Jahre alt geworden. Ein langes Leben, ein "schönes Alter", pflegen wir zu sagen. Trotzdem, all die Menschen, die ihre Zeit, ihre Freude und auch ihre schweren Stunden in den letzten Jahrzehnten geteilt haben, sind doch voll Trauer, denn sie haben viel verloren: Die Mutter und Schwiegermutter, die Groß- und Urgroßmutter, die Kameradin, die Nachbarin... E. S. ist für immer von uns gegangen. Wir sind traurig, wenn wir an sie denken; es schmerzt, wenn uns nun klar wird: Alles, was uns mit ihr verband, ist jetzt Vergangenheit... Liebe Angehörige, darf ich nun zuerst sie einmal ganz besonders ansprechen? Ihrer Verstorbenen und ihnen selbst, die jetzt so traurig sind, möchte ich ein Wort aus dem 5. Mosebuch widmen, ein Wort, mit dem die Verstorbene sehr vertraut war und mit dem sie gerade in letzer Zeit viel umging und aus dem sie viel Trost geschöpft hat, wie sie mir erzählt haben. Vielleicht kann es sie jetzt auch ein wenig trösten: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlassen; fürchte dich nicht und sei unverzagt. Ich spreche also zunächst zu ihnen, die der Verstorbenen ganz nahe standen und mit ihr besonders verbunden waren. Für sie ist dieser endgültige Abschied von E. S. ja besonders hart. Denn er ist das Ende ihrer Geschichte mit diesem Menschen, das Ende einer gemeinsamen Zeit, in der sie und die Verstorbene ihren Platz hatten und ihre Beziehung miteinander. Wenn einer stirbt, dann verläßt er diesen Platz in der gemeinsamen Geschichte, und je näher wir ihm waren, desto stärker spüren wir die Lücke und desto bedrängender wird auch immer die Frage: Wohin ist dieser Mensch jetzt ge- gangen, was erwartet ihn nach dem Tod... Ob hier nicht dieses Wort Gottes helfen kann: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlassen... Gewiß, wir sollen bei einem Abschied von einem Menschen weder richten noch rühmen. In einem letzten Sinn weiß nur Gott allein das Herz eines Menschen zu lesen und zu wägen. Aber wir haben an unserer Verstorbenen doch gesehen und gespürt, daß sie die Beziehung zum "Herrn", von dem hier die Rede ist, gesucht und allem nach, was wir Menschen voneinander wissen können, auch ge- funden hat. Sie lebte mit ihm. Sie betete zu ihm. Er war wichtig in ihrem Leben und Alltag. Sein Wort ließ sie sich sagen und von ihm die Welt deuten. Und ihre Antwort war, daß sie sich, wie sie es verstanden hat, danach richtete. So können wir also sagen, daß in ihrem Leben hier gegolten hat, was dieses Wort sagt: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlassen... Nun geht es in einem Leben ja um nicht mehr - allerdings auch nicht weniger - als dies: Daß einer diesen Herrn Jesus Christus findet und ihm sein Leben anvertraut. Um es mit diesem Wort zu sagen: Daß er ihn auch mit sich sein läßt, ihn zum Begleiter und als Führer auf allen Lebenswegen wählt, auf ihn hört und alle Entscheidungen des Lebens vor seinem Wort und Willen prüft. Solche Men- schen, die so zu leben versuchen, erfahren, was dieses Wort meint: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlassen... Und solche Menschen können schließlich am Ende ganz getrost und tapfer hinübergehen in Gottes ewige Welt. Der Herr, der sie hier nicht verlassen hat, wird sie in Ewigkeit nicht loslassen! Darum erleben solche Menschen auch die Wahrheit des zweiten Teils dieses Verses: ...fürchte dich nicht und sei unverzagt. Liebe Angehörige, wenn wir also fragen, was erwartet un- sere Verstorbene nach dem Tod, dann wollen auch wir uns dieses Wort zu Herzen nehmen und glauben, daß es jetzt für E. S. ewig wahr wird: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlas- sen... Aber noch etwas könnte ihnen, liebe Angehörige, jetzt helfen, über diesen schweren Abschied hin- wegzukommen: Es wird sicher gut sein, wenn sie von nun an nicht nur Tag für Tag an den Verlust denken, sondern an das, was in ihrer Beziehung zu E. S. gut und schön war und wenn sie dieses Gute und Schöne aufzubewahren und weiterzutragen versuchen. Es ist ja doch nicht selbstverständ- lich, wenn Menschen einander etwas zu verdanken haben und sagen können: Sie hat mir geholfen. Sie hat einen anderen Menschen aus mir gemacht. Sie hat immer an mich gedacht. Sie war fröhlich, man konnte mit ihr über alles sprechen. Daß sie die Verstorbene so gekannt haben und daß sie sol- che Erfahrungen mit ihr machen konnten, das sollten sie in Dankbarkeit festzuhalten versuchen. Das wird ihnen gewiß helfen, sie nun loszulassen. Aber ich glaube, liebe Trauergemeinde, daß auch die unter uns, die der Verstorbenen nicht so nahe- standen und sie vielleicht lange nicht mehr gesehen hatten, heute etwas zu bewältigen haben: Den Gedanken nämlich, den jeder Tod, wenn er uns naherückt, in uns wachruft: Daß wir alle sterben müssen! Und das richtet immer wieder eine deutliche und wohl manchmal auch unangenehme Frage an uns und unser Leben, an seinen Sinn und die Art, wie wir es eingerichtet haben und verbringen... Ich habe mich heute gefragt, warum sollte das verkehrt sein, wenn ich jetzt, beim Anlaß dieses Ab- schieds davon spreche, was die Antwort für uns Christen ist, wenn uns diese Gedanken und Fragen nahekommen? Das will uns ja nicht beschweren oder gar ängstigen. Im Gegenteil. Hier liegt die größte Freude für uns und alle Menschen verborgen. Hier ist der feste Grund für ein Leben, in dem man getrost seine Wege geht, seine Schritte setzt und ohne Angst alt werden und selbst an den letz- ten Abschied denken kann. Unsere Antwort, die wir geben, wenn uns jemand fragt, was Sinn und Mitte, Halt und Ziel unseres Lebens ist, heißt Jesus Christus. In ihm, so glauben wir, hat Gott selbst zu uns gesprochen; in seiner Art und seinem Leben in dieser Welt, hat uns Gott selbst ein Beispiel gegeben, wie auch wir gut, richtig und sinnvoll leben sollen. Wenn wir uns darum bemühen, werden wir sehr schnell und viel- leicht schmerzhaft spüren, daß wir vor ihm und seinem Vorbild versagen. Dann müssen wir nicht verzweifeln. Gerade darum hat Gott ja seinen Sohn in die Welt gesandt. Darin liegt der tiefste Grund dafür, warum dieser Jesus Christus den unteren Weg ans Kreuz gehen, leiden und sterben mußte. Für uns hat er das getan. Durch sein Opfer macht er unsere Schuld, unser Versagen gut. Jetzt kön- nen wir Mut fassen. Jetzt kennen wir den Weg! Jetzt wissen wir das Ziel! Jetzt können wir voran- schreiten ohne Angst, ganz getrost und geführt. Wohlgemerkt: Wir gehen nicht aus eigener Kraft! Aus uns selbst haben wir nichts. Unsere Hände sind leer. Es gibt kein Verdienst, nichts was irgend- eines Lohnes wert wäre. Aber wir sind geliebt durch Jesus Christus. Wir sind recht und von allem befreit, was uns von Gott getrennt hat. Der Glaube macht, daß wir mit Gott in Ordnung kommen, indem wir sagen: Aus mir selbst bin ich nichts und keiner Gnade wert. Durch Christus bin ich alles! Durch ihn bin ich Gott recht. Durch ihn habe ich Zukunft über den Tod hinaus gewonnen. Liebe Trauergemeinde, ich finde, was das für einen Menschen, ja, vielleicht für uns bedeuten kann, ist ganz wunderbar zusammengefaßt in diesem Wort, das heute als Widmung über diesem Abschied steht: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlassen; fürchte dich nicht und sei unverzagt. Vielleicht fragen wir ja jetzt, wie das so ganz praktisch werden kann in unserem Leben? Und das ist eigentlich die Frage nach dem Glauben und wie man ihn gewinnt. Auch da will und kann ich ant- worten: Das Gebet ist ein Schlüssel, der uns den Glauben aufschließen kann. Ich bin ganz sicher, daß Gott alle unsere Gebete hört, auch die vielleicht noch ganz zaghaften, unsicheren, die mit Worten sozusa- gen tasten und noch gar nicht recht wissen, was sie sagen und fragen sollen. - Aber gehört werden diese Gebete! Ganz gewiß! Und wenn wir nicht ablassen zu beten, dann werden wir es spüren: Gott ist bei uns, trägt uns, hilft uns... Und auf einmal ist bei uns ein Vertrauen da... Und Gottes Wort ist ein Weg, den Glauben zu finden. In der Heiligen Schrift spricht er selbst uns an, deutet uns das Leben, sagt uns, worauf es ankommt und wie lieb er uns hat. Aber auch hier gilt: Wir dürfen nicht zu rasch aufgeben. Der erste und der zweite Vers, den wir in unsrer Bibel lesen, wird vielleicht noch nicht zu uns reden. Aber irgendwann werden wir es wissen: Da bin ich gemeint, das ist genau meine Frage, mein Leben, meine Sache, um die es hier geht. Und schließlich ist auch die Gemeinde, die Gemeinschaft mit anderen Christen eine große Hilfe, wenn wir den Glauben suchen. Die anderen zeigen uns Wege auf. Sie geben Zeugnis, wie das bei ih- nen war. Sie können ein klärendes Wort sagen, wenn wir etwas nicht verstehen. Sie ermutigen uns, stützen uns und spornen uns vielleicht auch einmal an, nicht nachzulassen im Suchen und Hoffen... Liebe Trauergemeinde, es wäre ganz gewiß im Sinne unserer Verstorbenen, wenn wir von heute mitnehmen, uns vielleicht neu um unseren Glauben zu mühen und wahrzunehmen, wo wir heute als Christen stehen, was uns trägt und hält oder was uns vielleicht fehlt. Ich wünsche uns allen von Her- zen, daß auch wir zu einem Glauben finden, der solche Worte nachsprechen kann: Der Herr wird mit dir sein und dich nicht verlassen; fürchte dich nicht und sei unverzagt.