Ansprache zur Beerdigung - Tod einer sehr alten Frau Ps. 31,6 Liebe Angehörige! Sie wollten mir überlassen, unserer Verstorbenen ein Wort zum Abschied zu widmen. Als sie mir dann von ihrer letzten schweren Zeit erzählt haben, habe ich gewußt, worüber ich jetzt gern sprechen möchte. Dieses Wort soll es sein - aus Psalm 31. Ich finde, es paßt wunderbar...zu ihr und dem besonderen Abschied von ihr: In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott. Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Ja, dieser Vers hat mit mir gesprochen, gerade vor dem Hintergrund der letzten Zeit von E. L.. Erlösung - danach hat sie sich gesehnt, gewiß schon seit einigen Monaten, als sie die Arbeiten, die sie immer für die Hausgemeinschaft getan hat, eine nach der anderen aufgeben mußte und krank und schließlich bettlägerig geworden ist. Wer von uns kann sich das so ganz ausmalen, was das heißt: Nach einem so langen Leben, das doch zum guten Teil in Arbeit für die Menschen aufgegangen ist, von einem Tag auf den anderen auf- hören müssen. Auf einmal Leiden, das immer schlimmer wird, tägliche Beeinträchtigungen, die einen immer mehr lähmen, auf einmal ganz auf andere angewiesen sein, pflegebedürftig, wo man immer selbständig war, auf einmal ganz abhängig von anderen, so gern diese Menschen ja auch für einen da sind. Wahrhaftig: Erlö- sung - das hat sie sich gewünscht. Endlich den geplagten, von Beschwerden belasteten Leib verlassen dür- fen. Das Leben, das zuletzt nicht mehr schön war, hinter sich haben. Ja, darum denke ich mir, das hat unsere Verstorbene auch selbst insgeheim getan, sich dieses Wort vorge- sagt, diesen Gedanken gedacht, wieder und wieder: In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott. - Denn sie, die ja auch so viele Jahre mit ihrem Mann in und für die Kirche Gottes tätig war, wußte, daß uns mehr erwartet, als der Tod. Sie hoffte auf die Welt ohne Tränen, das Land ohne Leid, die Zukunft, die nicht mehr endet. Für E. L. ist das jetzt wahr geworden. Sie dürfen wir nun seelenruhig ihrer Hoffnung und der Verheißung überlassen, an die sie geglaubt hat. Gott wird sie nicht enttäuschen. Aber dieser Vers hat wohl auch uns etwas zu sagen; und dies wäre keine rechte, christliche Beerdigung und ich kein rechter Seelsorger, würde hier nicht auch davon gesprochen: ...du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott. Das meint nicht nur die "persönliche" Erlösung des Menschen, um den wir heute trauern. Wir Christen haben das allerdings oft nicht mehr so in unseren Gedanken: Aber Jesus Christus wird für alle Welt wiederkommen. Dann ist das Ende aller Welt da, die Erlösung aller Menschen, auch die jener Men- schen, die bis dahin noch in dieser Welt am Leben sind. Ja, davon redet dieser Vers auch. Wie gesagt, so ganz bewußt ist uns dieses Kommen des Herrn nicht mehr, auch wenn wir's im Glaubensbekenntnis jeden Sonntag bekräftigen: "...aufgefahren in den Himmel, von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten". Aber auf dieses Gericht will ich heute nicht hinaus. Darüber haben wir am Totensonntag gehört. Wir sind ja schon wieder im Advent, das heißt: Wir warten auf Jesu Ankunft.... Und da will ich fragen: Wie stark rech- nen wir eigentlich noch mit Christi Wiederkunft, mit seinem Kommen in Herrlichkeit? Ist uns das tägliche Gewißheit? Denken wir wenigstens hie und da noch daran? Haben wir das je begriffen, ja, überhaupt schon einmal ganz ernst genommen: Der Herr, nach dem wir doch heißen, wird einmal erscheinen, dann ist meine und die Geschichte der Welt und aller Menschen zuende! Ja, es ist ja noch anders, noch drängender, noch näher, als wir glauben: Du hast mich erlöst..., heißt es hier. Und wirklich: Seit Karfreitag und Ostern sind die Zeichen unseres Herrn schon am Horizont! Sein Licht leuchtet sozusagen schon über unserem Leben hier und heute! Ja, es wird vielleicht nicht mehr lange dauern, bis er selbst endgültig kommt und mit ihm der letzte Tag. Das bekennen wir Christen. Darauf war- ten wir - nach unserem Glauben. Wem das ein schrecklicher Gedanke ist, der überprüfe sein Leben! Wen diese Aussicht auf das letzte Kommen Jesu nicht mit Freude erfüllt, der denke neu über seinen Glauben nach. Erlösung kann doch nur heißen: Keine Welt mehr, die doch an so vielen Stellen dunkel ist und voller Bosheit, kein Tod mehr, kein Leid, keine Krankheit, kein Hunger, keine bittere Armut, kein Elend, kein Krieg, kein Schmerz - nur noch Freude, Nähe Gottes, Frieden, Daheim-sein und das: ohne Ende! Wer tauschte dafür nicht alles ein, was er hier hat? Wer wäre dafür denn nicht bereit, jede Stunde, sofort, noch in diesem Augenblick? Fürchten muß diese Zukunft nur der, dem diese Welt allzusehr Heimat geworden ist. Wer um Güter kreist, der wird dann verlieren, denn alles Gut wird zu Staub zerfallen. Wer nur in dem besteht, was er hat und was ihm gehört, der wird dann mit leeren Händen dastehen. Denn nichts davon wird den jüngsten Tag überdauern. Wer nur immer an sich und das Seine dachte, hat dann nichts vorzuweisen. Wir wissen es doch: Nur die Taten für die "geringsten Brüder und Schwestern" werden dann zählen. Aber für Menschen, die noch glauben und noch hoffen wird dann das Eigentliche beginnen, der ganz ande- re Zustand, eine Welt ohne Leid, ewig... Wir können nur stammeln, wenn wir uns diese Hoffnung ausmalen wollen. Wir wissen nicht, wie es genau sein wird. Aber es wird herrlich sein - unserem Herrn angemessen. Darum können wir uns nur darauf freuen, ohne die mindeste Furcht, ja, wenn wir das glauben können, werden wir seinen Tag herbeisehnen! Zu solchen Leuten, Menschen in sehnsüchtiger Erwartung spricht dieses Wort auch: ...du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Und Schrecken bedeutet uns das nun wirklich nicht! Aber buchstabieren wir dieses Wort noch ganz praktisch hinein in unser Leben: Die Angehörigen von E. L. - die jetzt Abschied nehmen mußten, dürfen wissen: Sie ist jetzt erlöst! Ihr werdet wieder ohne Tränen an eure Verstorbene denken können. Die Last der letzten Zeit wird von eurer Brust genommen. Froh und be- freit werdet ihr wieder zum eigenen Leben zurückfinden. Sie ist jetzt erlöst! Und all die vielen unter uns, die so müde sind von den Rätseln ihrer Tage und so gebeutelt von den Schlä- gen des Schicksals: Ihr seid schon erlöst! Wenn diese Erlösung auch noch nicht ganz sichtbar ist, in unse- rem Glauben ist sie schon da: Ihr werdet einmal Antwort auf alle eure Fragen bekommen und aller Sinn wird euch aufgehen. Nichts war umsonst, was euch widerfahren ist. Einmal wird sich zeigen: Es sollte so sein, es stand ein höherer Plan dahinter. Ihr seid schon erlöst! Und all die Leidenden, deren Gesundheit angegriffen ist, all die Schwachen und Armen, die Enttäuschten und Resignierten: Ihr seid erlöst! Es kommt ein Tag des Herrn! Alles Leid wird der Freude weichen. Kran- kes wird wiederhergestellt. Schwäche offenbart sich als Stärke. Armen wird Gottes Reich gehören. Ent- täuschte haben zu lachen. Resignierte kriegen neue Kraft. Und wir anderen alle: Wir sind schon erlöst! Es klingt wie ein Märchen. Und immer - seit 2000 Jahren - sind ja auch die Spötter da, wenn Christen von dieser Hoffnung reden. "Das ist nur ein schöner Traum", sagen sie. "Vertröstung aufs Jenseits..." - "Ihr jagt nur einem frommen Wunsch nach", wollen sie uns einre- den. Aber es ist die feste Verheißung des Herrn: "Ich komme bald!" Und es sind seine Worte gewesen: "Zeit aber und Stunde weiß keiner, nicht einmal der Sohn, die weiß nur der Vater!" Darum bleiben wir in der fe- sten Gewißheit: Der Herr wird wiederkommen! Lassen wir uns von Spott und Besserwisserei diese Hoff- nung nicht nehmen! Wessen Wort gilt uns denn mehr: das der Zweifler und Spötter - oder Jesu Wort, das Wort unseres Herrn? Und vor allem: Leben wir bis dahin jeden Tag so, wie es wartenden Menschen zukommt: Nicht im ängstli- chen Starren auf alles, was wir gegenwärtig haben und besitzen. Nicht im Klammern an den Kram dieser Welt. Nicht im Kreisen um unsere Person und unseren Wohlstand. Diese Dinge sind der Aufmerksamkeit nicht wert, die wir ihnen oft geben. Alles das wird dann keinen Bestand haben. Wer nach vorn schaut, wer den Kopf über das Leben hier hinaushebt, der erkennt, was zu tun ist, was wirklich wichtig ist, was er für andere leisten kann, was die Mitmenschen brauchen. Wir sind schon erlöst! Und unsere Erlösung wird sich einmal endgültig durchsetzen. So werden wir frei von den Lasten und Versuchungen dieser Welt und von uns selbst! So lang es auch noch dauern mag, wir werden die Hoffnung nicht aufgeben! Wir werden immer bereit sein, in jeder Stunde - für das Kommen des Herrn. Es ist sein festes Versprechen: Ich komme bald! Unsere Ver- storbene, die lange Wochen leidend war, darf jetzt schon ein Stück dieser Erlösung haben. Ihre Schmerzen, ihre Krankheit, ihre Schwäche hat sie hinter sich. Wir sind traurig - aber wir dürfen auch dankbar sein. In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott. Vergessen wir nie: Diese Weltzeit wird ein Ende haben. Christus wird wiederkommen. Das ist so gewiß, wie uns heute die Leiden und Nöte unseres Lebens drücken! Aber wir sind schon erlöst! Es wird gut sein, wenn uns der Herr bereit findet, wann auch immer die Erlösung ganz Wirklichkeit wird.