Ansprache zur Beerdigung - Tod nach längerem Leiden Mk. 10,52 Wir wollen heute unserer Verstorbenen und uns allen dieses Wort widmen: "Jesus spricht: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!" Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Ich darf das sicher einmal von einem Menschen erzählen, ohne gleich zu persönlich zu werden. Und ich sage es, weil es für unsere Verstorbene selbst sehr wichtig war und auch für die Angehörigen, und ich will davon sprechen, weil ich in der letzten Zeit sehr viel über Fragen nachdenken mußte, die damit zusammenhängen. Und jetzt, nachdem K. S. uns für immer verlassen hat, sind diese Gedanken noch einmal stärker geworden bei mir. Als ich sie zuletzt im Krankenhaus besucht habe, da wußte sie wohl schon, wohin ihr Weg führen würde. Ganz deutlich: Sie wußte, daß sie nun bald sterben muß. Aber sie war sehr gefaßt. Wir haben über manches gesprochen, was hier jetzt nicht erwähnt werden soll. Aber dann, als ich mich von ihr verabschiedet habe und wir beide gespürt haben, daß es für immer sein würde, da eben hat sie es ge- sagt, was mir seitdem nicht mehr aus dem Sinn geht: "Herr Pfarrer, ich weiß ja, daß immer einer bei mir ist!" Liebe Gemeinde, das mag für sie jetzt etwas unscheinbar wirken. Was daran soll einem Gedanken machen. Das ist doch einfach nur schön und gut, wenn einer so sprechen kann! - Gewiß ist es schön und gut! Und ich habe mich auch sehr darüber gefreut, und es ist mir von daher auch viel leichter gefallen, diesen lieben Menschen da im Krankenhaus zurückzulassen, wohl wissend, wir werden uns nicht wiedersehen! Entscheidend aber ist doch dabei, daß einer oder eine eben nicht nur so spricht! Wir sagen ja viele "fromme" oder gewichtige Worte, wenn ein Leben lang ist. Z.B. solche: "Wenn du mich brauchst, werde ich für dich dasein!" - Aber dann müssen die Menschen, die das gehört ha- ben, erfahren, daß sie in ihren schweren Zeiten nicht besucht werden und niemand für sie da ist von denen, die es doch versprochen haben. Oder es sagt jemand zu den Leuten von einer Sekte an der Haustür: "Ich glaube an den Herrgott und bleibe bei dem, was ich gelernt habe!" Aber wenn man sein Leben etwas genauer prüft, dann sieht man nichts, rein gar nichts davon. Der "Herrgott" spielt gar keine Rolle. Und was er "gelernt hat", das ist längst vergessen und abgehakt, sei es der Kirch- gang, seien es die guten Vorsätze aus der Konfirmandenzeit oder sei es ein Verhalten, in dem Gottes Gebote und die Liebe zum Nächsten geachtet werden. Und schließlich wird ja sicher auch von uns häufig gesagt - und manchmal nicht nur so dahingeplappert: "Gott sei Dank!" Vielleicht wenn einer bei einem Unfall nur knapp gesund und mit dem Leben davonkam. Aber wie kurz reicht das oft mit diesem "Gott sei Dank"! Manchmal wohl nicht bis zum nächsten Abendgebet. Und meistens nicht bis zum kommenden Sonntag vor den Altar dessen, dem man doch - mit dem Mund - danken wollte! "Herr Pfarrer, ich weiß ja, daß immer einer bei mir ist!" Nein, das war kein unscheinbares Wort! Denn ich konnte es sehen und spüren, so war es bei K. S. Hier drinnen - nicht nur auf der Zunge! Und seitdem beschäftigt mich dieser Gedanke: Warum war das bei ihr so und warum ist es bei ande- ren eben nicht so, sondern nur so dahingesagt. Anders gefragt: Wie kommt es, daß einer glauben kann und auch entsprechend denkt und lebt und ein anderer kommt nie hinaus über das Bekenntnis mit den Lippen! Und noch einmal anders: Wie kommen bei uns Reden und Denken und Leben zu- sammen, daß es stimmt mit uns und wir nicht innerlich zerrissen sind und eben nicht eins mit uns und darum unwahrhaftig? Ich denke dabei nicht an jene, die es ausdrücklich sagen: "Ich glaube nicht an Gott!" Das habe ich in meinem Leben oft und gerade jetzt vor Tagen wieder gehört. Und ich kann das nicht verurteilen. Ich weiß ja, daß es das gibt: Der Glaube ist ein Geschenk! Eine Gabe von Gott. Ich weiß auch nicht, warum, aber Gott gibt manchen Menschen den Glauben nicht - vielleicht muß es auch heißen: Noch nicht? Ich, wir alle, müssen das akzeptieren. Aber ich denke an jene, die es doch sagen, daß sie glauben. Und mich beschäftigt, warum ihr Glaube nicht weiter kommt als ins Wort und auf die Zun- ge. Liebe Gemeinde, sie werden sich nun denken, daß ich von diesen Fragen nicht angefangen hätte, wenn ich jetzt nicht auch ein Wort dazu sagen wollte, das uns weiterführt und vielleicht eine Ant- wort geben kann. Wir müssen sicher zugestehen, daß diese Zeit heute viel - wie ich finde - viel zu viel Zerstreuung und Ablenkung bietet. Es gerät etwa durch den Wohlstand, den wir genießen dürfen, das Wissen immer mehr in Vergessenheit, daß es uns einmal schlechter ging, wir aber damals mehr empfunden haben, daß wir zuletzt nur von Gottes Güte leben. Bei den jungen Leuten ist das vielleicht noch verständ- lich, aber auch manche, die nicht ihr ganzes Leben schon von Luxus umgeben sind, scheinen sich nicht mehr an ärmere Zeiten zu erinnern. (Ich persönlich fühle das z.B. in jedem Jahr am Ernte- dankfest deutlicher, wenn ich mich fragen muß: Ob wirklich alle, die an diesem Tag überhaupt noch einen Grund zum Gottesdienst und zum Danken sehen, zu echter, gelebter Dankbarkeit, zum Opfer und zum Teilen finden?) Dann die Medien und vorneweg das Fernsehen - wie hat das doch unser Leben verändert! Wie aus- gefüllt von Klang, Information und Bildern und dadurch gerade entleert von wesentlichen und wich- tigen Dingen und Gedanken sind doch heute viele Stunden unserer Tage. Früher einmal waren das die Zeiten des Tages, die wir für das Gespräch hatten, für den Besuch im Nachbarhaus, auch für die Lektüre der Heiligen Schrift, für Andacht, für Besinnung und Spiel und die Pflege der Gemeinschaft in der Familie und unter den Nachbarn. Das waren manchmal - weil die Menschen ja auch noch viel härter arbeiten mußten - nur ein paar Minuten vor dem Zubettgehen. Aber der Sinn, der in diesen erfüllten Minuten gelegen hat, hätte wohl die Leere ganzer Abende dieser Zeit aufgewogen! Aber wir wollen uns jetzt wirklich auch weiter-führen lassen: Wenn wir also zu denen gehören, die das doch sagen können: "Ich glaube an Gott!", wenn wir überdies auch da mitgehen, daß es wirklich übereinstimmen muß, was ein Mensch sagt und wie er sich im Leben verhält - dann kommen sie jetzt gewiß auch noch diesen Schritt mit mir: Daß wir neu begreifen müssen, wie groß und wunderbar es doch ist, daß Gott uns den Glauben geschenkt hat - und wäre er nur so klein wie ein Senfkorn. Wir haben diese Gabe empfangen! Wir sind so begnadet! Was Gott - aus Gründen, die wir nicht wissen - anderen verweigert hat, das hat er uns gegeben! Werden wir dankbar dafür! Preisen wir Gott dar- über, täglich! Und bleiben wir mit unserem Dank - um Gottes Willen - nicht beim Wort allein, bei dem, was unsere Lippen doch so leicht und schnell sagen können! Werden wir wahrhaftig dankbar, denn der Schatz des Glaubens ist unermeßlich wertvoll! Ich bin sicher, nur von daher können wir eins mit uns sein oder werden. Nur, wenn ich weiß, wel- chen Reichtum ich am Glauben habe, werde ich ihn auch pflegen, ihm die Zeit und die Aufmerksam- keit einräumen, die ihm doch zustehen. Und - das versteht sich auch von selbst - nur daher kann der Glaube dann auch wirksam werden. Und - wahrlich nicht zuletzt! - kann der Glaube nur so auch Kraft für mich selbst kriegen, mir den Trost schenken, den ich vielleicht einmal brauche oder soviel Mut machen, daß ich durch schwere Krankheits- und Leidenstage komme. K. S. letzte Worte an mich waren: "Herr Pfarrer, ich weiß ja, daß immer einer bei mir ist!" Und daß sie vor dem Sterben so ruhig und gefaßt war, das hat mir gezeigt, daß bei ihr Reden und Leben eins waren. So - nur so - kann ausgesprochener, mit den Lippen bezeugter Glaube wirklich helfen! Nur so kann der Trost dann auch da sein, wenn wir ihn brauchen. Nur wenn Wort und Herz überein- stimmen, wird der Glaube zur Mitte und zur Kraft eines Lebens. Jetzt, liebe Gemeinde, verstehen sie sicher auch, warum ich ihr und uns dieses Wort widmen wollte: "Jesus spricht: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!" Wenn für uns die schweren Tage kommen, wenn wir die dunklen Lebenstäler durchschreiten müs- sen, wenn wir schließlich gar an die letzte Tür, die sich für uns in dieser Welt öffnet, herantreten müssen, dann muß das eins sein bei uns: Das Wort "ich glaube" - und das Herz, das sich allein auf Gott verläßt. Ich meine überdies, daß wir gerade auch in guten Tagen, im Danken der Hände und der Taten, lernen können, Reden und Leben wieder in Einklang zu bringen. Da ist es doch leicht, nicht nur zu sagen, was an Glauben in uns ist! Das Üben in guten Zeiten wird uns für die schweren vorbereiten, daß dann stimmt, was dieser Vers sagt: "Jesus spricht: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!" Und ich möchte hinzufügen: Nichts anderes kann uns dann helfen. AMEN