Ansprache zur Beerdigung - Tod einer alten, frommen Frau Zum Lied: Von guten Mächten... Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Unsere Verstorbene hat sehr an ihren Enkeln und Urenkeln gehangen. Schon immer und seit dem Tod des Mannes noch intensiver hat sie den jungen und jüngsten Leuten in der Familie ihre Liebe geschenkt. Und sie hatte es gern mit ihnen zu tun. Sei es, daß sie den kleinen Urenkel im Kinderwa- gen spazierenfuhr oder daß sie einem Enkel ihren Rat in einer Lebensfrage anbot, wobei sie sich nie aufdrängte. Und einen Geburtstag der jungen Generation in der Familie hätte sie niemals vergessen. Ihr lag an den jungen Menschen und den Kindern. Und das auch über die Familie hinaus. Und - natürlich - wo Liebe ausgestreut wird, da kommt sie auch wieder zurück: Die Kinder hatten auch sie sehr lieb. Oft und gern gingen sie zu ihrer "Oma T.", bei der sie immer Zeit, Interesse für ih- re kleinen und größeren Sorgen fanden und soweit sie noch kleiner waren, die fürsorglichste Betreu- ung. Mir hat dieses herzliche Verhältnis von O.T. zu den Kindern Gedanken gegeben und Fragen gestellt, die ich jetzt vor unser aller Ohren und Herzen bringen möchte: Was mögen gerade die Kinder der Familie jetzt empfinden? Wie nehmen sie das auf, daß ein so lieber Mensch, eine für sie doch so wichtige Frau nicht mehr da ist. Wie können sie das begreifen, verarbeiten und drüber weg kommen: Meine Oma, die doch immer da war, zu der ich immer gehen konnte, die erzählt, vorgelesen, mit uns gespielt oder mich im Wagen gefahren hat, wird nie mehr da sein. Liebe Trauergemeinde, das ist nicht bloß so ein Schmerz, ich glaube, das ist eine Katastrophe für die Kleinen! Das können sie nicht wegstecken wie eine Beule vielleicht oder einen Schnitt in den Finger. Und das heilt auch nicht so schnell und die Mütter und Väter in der Familie wissen das gerade jetzt, wie sehr das die Kinder beschäftigt. Und wir alle, die wir Kinder haben und schon einmal mit ihnen von einem lieben Menschen Abschied nehmen mußten, kennen das auch: Die kleinen Gesichter, die eine einzige Frage sind. Die großen Augen, die vielleicht nicht weinen können. Die tiefe Erschütte- rung in den kleinen Seelen am Totenbett oder dann am Grab. Und wir alle wissen wohl überdies, wie sprachlos wir Große selbst doch sind, wie uns dann die Worte fehlen und wir gar nicht viel und schon gar nichts Tröstliches sagen können. Und sie, liebe Angehörige, und alle anderen, die wir heute um O.T. trauern, sind ja selbst untröstlich und wir wünschen uns sehnlich ein Wort, einen Ge- danken, der jetzt hilft, wirklich hilft. Liebe Trauergemeinde, ich meine, daß es uns Erwachsenen gar nicht viel anders geht als den Kin- dern. Angesichts des Todes versagen all unsere Versuche, etwas zu erklären. Wir probieren es mit: "Die Uhr war halt abgelaufen..." oder "es war doch aber ein schöner Tod" oder gar damit: "das 'Sterben ist nunmal ein ganz natürlicher Vorgang"... Und das mag alles ja auch stimmen. Aber trö- sten, wirklich helfen kann das nicht. Wir stehen wirklich vor dem Tod ratlos, erschüttert und er- schreckt...wie die Kinder. Und selbst wo wir Christen sind und etwas von der Auferstehung und von Gottes Ewigkeit wissen, geht es uns so. Was liegt also näher, als daß ich heute ganz einfach über das Leben, das Sterben und Gottes Verhei- ßung spreche. Ohne theologische Höhen, ohne Versuche den Verstand zu erreichen, denn der kann es nicht fassen, vielmehr bildhaft und schlicht, zu Herzen gehend und kindlich. Und das fällt mir nicht schwer, denn auch mein Kopf ist zu klein, den Tod mit ihm zu "begreifen". Liebe Trauergemeinde, gehen wir also diesem Leben entlang, das da vor Tagen zuende ging. Zeich- nen wir es nach mit einfachen Strichen und so, wie wir es auch unseren Kindern mit ein wenig ande- ren Worten weitersagen könnten: Wir Christen wissen, daß dieser Mensch, O.T., als sie vor 81 Jahren den Eheleuten P. geschenkt worden ist, nicht aus einem blinden Geschick herkam. Wir wissen, daß Gott sie schon im Mutterleib geformt hat, daß er ihr seinen Atem eingehaucht und ihr seinen Geist gegeben hat. Ihr Leben kam von Gott her. Gott hat sie gemacht, gewollt und von ihrem ersten Atemzug an geliebt, getragen und bewahrt. Keinen Augenblick hat Gott sie seitdem in ihrem Leben alleingelassen. Jeder Moment war bewacht von seinen Augen. Nie hat ihr etwas geschehen können, was Gott nicht gewußt und zuge- lassen hätte. Und schon bald hat sich ihr dieser Gott ja auch persönlich vorgestellt. Vielleicht als die Mutter am Abend mit ihr gebetet hat: Müde bin ich, geh zur Ruh... Oder: Ich bin klein, mein Herz ist rein... Ja, vielleicht hat damals in einem kleinen Mädchen zuerst dieser große, eigentlich unfaßbare Gedanke Gestalt angenommen: Um mich kleines Menschenkind kümmert sich der große Gott, der Schöpfer der Welt und aller Dinge! Und vielleicht ist damals auch zuerst dieses Staunen in einem kleinen Mädchen gewesen, das Staunen, zu dem wir alle kommen werden, wenn wir uns kleine Menschen betrachten und dann die Liebe und Fürsorge und Treue des Schöpfers. Oder es war als die Eltern ihre Kleine mitgenommen haben in den ersten Gottesdienst. Und sie hier in diesem Gotteshaus gespürt hat mit ihrem Herzen und ihrem Gefühl: Wieviel Segen und feierliche Ruhe doch ausgeht von den Kerzen auf dem Altar und den Liedern, die wir hier singen und wieviel Geborgenheit uns hier umgibt und wieviel Trost dann auf den Zügen ihrer Eltern lag, als sie nach Hause gingen... Ganz bestimmt aber hat sich ihr dieser Gott dann in der Konfirmandenzeit bekannt gemacht: Damals ist wohl auch zuerst das Fühlen und Empfinden zu einem Wissen und Erkennen geworden: Dieser Gott, der schon immer um mich ist, der mir im Gebet und der Stille der Kirche schon manchmal zum Greifen nah war, dieser Gott ist in Jesus Christus ein Mensch geworden. Und in dieser Zeit wird O.T. auch das Einzige verstanden haben, was wir Menschen wirklich mit dem Kopf verstehen müssen: Dieser Jesus Christus ist Gottes Wort an mich. Wenn ich ihn sehe und höre, sehe und höre ich Gott. Und vielleicht hat sich damals schon zu dem großen Staunen über Gottes Fürsorge seinen Menschenkindern gegenüber, das noch viel größere Staunen gesellt: Daß dieser Gott selbst in Jesus ans Kreuz gegangen ist für unsere Schuld, um uns mit sich zu versöhnen und uns seine überwältigende Liebe zu zeigen. Liebe Trauergemeinde, wir wollen hier jetzt nicht schön reden - wir müssen es auch gar nicht. Wir wollen einfach auch das sagen, was wir an unserer Verstorbenen sehen und ihrem Leben ablesen konnten: Sie hat das offenbar damals begriffen, und es hat sie durch ihre Jahre getragen und beglei- tet. Sie konnte ihr Vertrauen in diesen Gott setzen, der Vater Jesu Christi ist und im Glauben und Hoffen auch unser aller Vater. So konnte sie Gutes und Schönes, aber auch Schweres, auch Leid und Schmerz aus seinen Händen nehmen. Lernen mußte sie, wie wir alle es lernen müssen, die wir an diesen Gott glauben, daß er nicht all unsere Wünsche erfüllt und unser Planen und Denken oft genug durchkreuzt. Aber erfahren hat sie, wie wir alle es erfahren können und viele von uns schon erfahren haben, daß selbst das schwerste Geschick noch den Keim und oft schon den ersten Anfang zum Guten enthält und manchmal zu ungeahntem Segen. Aus diesem Glauben, diesem Vertrauen zu einem Gott, den sie gewiß nicht immer verstanden hat, an dem sie aber auch und gerade in dunklen Lebenszeiten festgehalten hat, ist bei O.T. schließlich in ih- ren reiferen Jahren die Zuversicht gewachsen, daß unser Leben keine Irrfahrt ohne Ziel, sondern eine Heimkehr ist. Und gerade in diesen letzten Lebensjahren hat sie selbst auch immer wieder und immer mehr ein gutes Wort auf den Lippen gehabt und sich gern vorgesagt. Und dieses Wort von Dietrich Bonhoeffer ist uns wohl allen bekannt. Manche und manchen von uns wird es schon ruhig gemacht haben und gefaßt, wenn uns das Leben arg gebeutelt hat und wir uns in ihm zu unserem Gott und seiner Geborgenheit flüchten konnten. Und dieses Wort faßt nun wirklich wunderbar zusammen, was uns im Leben und Sterben tragen kann und was für uns für eine ewige Zukunft verheißen ist: Von guten Mächten... Was sagen wir den Kindern, wenn sie uns fragen, was denn nun mit Oma Tilie ist? Wie finden wir selbst Trost angesichts der Trauer um unsere Verstorbene und vor den Gedanken an den eigenen Abschied, die sich ja heute auch nicht verdrängen lassen. Vielleicht sagen wir den Kindern und uns selbst: Für O.T. ist jetzt der "Tag" dieses Lebens zuende gegangen und der "neue, ewige Tag" ange- brochen. Ihr Glaube an Jesus Christus, ihr Vertrauen zu Gott, unserem Vater ist jetzt wie eine Hand, an der sie aus dieser in eine ewige Welt hinübergeht. Und so wie ihr ist uns das allen versprochen. Unsere Zuversicht ist uns die Tür, die sich auftut, wenn Gottes Wille hier unser Leben beschließt. Und wir wollen - wie unsere Verstorbene das konnte - unser Vertrauen auf Gott setzen, das in die- sem Wort so schönen Ausdruck gefunden hat: Von guten Mächten... Lassen Sie uns jetzt noch das Lied singen, dessen Kehrvers diese schönen Worte sind. Von guten Mächten, wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.