Ansprache zur Beerdigung - Tod einer alten, frommen Frau Phil. 4,13 Wir wollen uns einstimmen lassen in diese Ansprache vom Konfirmationsspruch unserer Verstorbe- nen: Alles vermag ich durch den, der mich mächtig macht, Christus. Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Gewiß ist ihr Schmerz heute noch frisch. Sicher brauchen sie längere Zeit, über den Tod von M. F. hinwegzukommen. Und es ist nur natürlich, daß sie sich gewünscht hätten, es wäre ihr noch ein we- nig Leben geschenkt gewesen, eine kleine Zeit wenigstens. Sie ist ja nur ein paar Wochen vor ihrem 90. Geburtstag gestorben. Dennoch: Ich möchte ihnen heute schon zumuten, auch mit anderen Augen auf dieses Leben und Sterben zu sehen. Und ich würde sie gern dazu führen, M. F. jetzt ganz getrost und voll Hoffnung loszulassen. Und schließlich möchte ich sie - in all dem Dunkel, in dem sie jetzt sind - doch zum Glauben einladen, daß unsere Verstorbene jetzt nicht ins Nichts gefallen ist, sondern in Gottes Hän- de. Und ich bin sicher, das kann gelingen. Denn das ganze Leben der Verstorbenen und alle Ge- schenke ihres Lebens sprechen davon, daß unser aller Leben keine Irrfahrt ohne Ziel ist, sondern ei- ne Heimkehr. Und das auch, wo uns Böses und Schweres unterwegs nicht erspart bleiben. Meine Gedanken dazu gehen von der Wahrheit aus, die uns gerade vor Wochen - an Ostern - wieder gepredigt wurde und vielleicht neu aufgegangen ist: Das Leben hat nicht nur diese eine, für uns sichtbare, Seite. Hinter der dunklen Grenze des Todes liegt ein neues Land, beginnt eine neue Welt ohne Leid und Schrecken - und ohne Zeit. Nicht mehr und nicht weniger will uns die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi sagen. Nun weiß ich, daß es nicht allen Menschen, auch nicht allen Christen, gegeben ist, das zu glauben. Aber uns einen Augenblick denkend darauf einlassen, das können wir alle. Die Welt, die wir wahrnehmen, die Jahre, die wir in ihr haben, sind also sozusagen nur die sichtbare Vorderseite des Lebens. Nur ein Teil von ihm und nur der allergeringste. Als Christen nun gehen wir davon aus, daß die kurze Spanne Zeit, die wir hier haben, herkommt aus Gott und - um Christi willen - wieder hinführt zu ihm - über die Todesgrenze hinweg. Das Leben ist so ein Kreis: Ein Ausgehen und ein Heimkehren zu seinem Ursprung. Dieser mehr oder weniger große Lebenskreis eines Menschen ist aber eingebettet in etwas viel Größeres: In Gottes Ewigkeit, die durch Jesus Christus unsere Ewigkeit ist. Allerdings "wissen" wir das nicht, weil es uns in diesem Teil des Lebens verborgen ist von Gott, aber wir dürfen im Glauben "gewiß" sein. Was könnte uns diese Wahrheit, die doch so viel Trost in sich hat, nun gewisser und deutlicher ma- chen, als Erfahrungen, die uns geschenkt wurden? Erfahrungen an uns selbst, an anderen Menschen und eben auch und gerade mit einer Frau wie M. F.. Lassen wir jetzt das Leben selbst zu uns sprechen. Nehmen wir die Botschaft der Jahre in uns auf und nehmen wir wahr, wie sehr die Botschaft - jedes Lebens - über die Jahre in dieser Welt hinaus- weist! Ein Mensch wird geboren. Er betritt die für uns sichtbare Seite der Ewigkeit. Aber die fürsorglichen Hände Gottes, aus denen er herkommt, entlassen ihn nicht in die Fremde, in die Einsamkeit. Da sind auch gleich Menschenhände, die uns auffangen: Die Mutter, der Vater, vielleicht Geschwister... Vom ersten Tag an ist auch der Teil des Lebens in dieser Welt begleitet, behütet und getragen. So darf ein Kind von denen, die vor ihm waren, umsorgt aufwachsen, ein eigener Mensch werden. Und wenn das in einer Umgebung geschieht, in der Gott eine Rolle spielt und mit seiner Macht und Liebe gerechnet wird, dann kann es ein frohes und hoffnungsvolles Leben werden. Wohlgemerkt: Nicht unbedingt ein glückliches! Und nicht immer ein schönes Leben. Aber eines mit Hoffnung! Und auch Schläge, die uns das Geschick austeilt, haben darin ihren Platz und ihren Sinn. Da mag - wie es etwa bei unserer Verstorbenen gewesen ist - der Mann schon nach kaum 11jähriger Ehe gehen müssen. Da muß uns aber nicht der Glaube ausgehen und nicht die Zuversicht. Denn da ist eben dann dieses Wissen: Der Mensch, den ich liebhatte, ist nur vorausgegangen. Er ist - für mein Empfinden zwar viel zu früh - aber doch heim-gegangen. Er hat den Lauf, den ich noch vor mir habe, vollendet. Er ist schon dort, wo ich einmal sein werde: Auf der anderen Seite des Lebens. Wir werden uns wiederse- hen. - So kann das der Glaube sehen. Und ich gehe soweit: Man kann sich - nach anfänglichem Schmerz und großer Trauer - damit auch abfinden und es ohne Bitterkeit annehmen: Der Mensch, den ich liebhatte, ist ja nun daheim, schon Zuhause dort, wo ich ihm nach meiner Frist in dieser Welt begegnen werde und wir für ewig beieinander sind. Und ganz gewiß wird man so einem Leben, auch immer abspüren können, ob es von seinem Her- kommen und seinem Ziel weiß. Und auch da sprechen die Jahre von M. F. sehr deutlich: Das kann ein sehr bescheidenes, genügsames Leben sein. Wenn ich doch weiß, daß eine Ewigkeit auf mich wartet - was soll ich denn dann in diesen wenigen Jahre alles an mich raffen und in meine Zeit hin- einpacken, was nur an Zerstreuung, Besitz und Wünschen hineingeht? Die in ihrem Glauben auf die ewige Welt zuleben und sich manchmal dorthin sehnen, das sind sicher die stilleren Menschen, die mehr zurückgezogen von den Augen der Öffentlichkeit wirken. Liebe und Fürsorge, mütterliche Wärme, Treue und Verläßlichkeit brauchen ja doch nicht die Anerkennung der Menge. Wenn sie nur die erreichen, mit denen mich Gott für meinen Lebenskreis verbunden hat und an die mich sein Auf- trag in dieser Zeit weist. ER sieht allemal, was an Güte und Zuneigung von mir ausgeht. Und das ist genug. Und schließlich rundet sich das Leben, schließt sich der Kreis. Und es ist sicher ein großer Segen, wenn das so sein darf, wie bei unserer Verstorbenen: Eben nicht vor der Zeit, sondern nach einem vollen und erfüllten Leben. Eben nicht jäh und ohne daß wir uns bereiten konnten, sondern erwartet, ersehnt und in Gedanken, Vorstellungen und Träumen vorweggenommen. Da sprechen die alten Menschen, die sich anschicken hinüberzugehen, wieder von der Mutter oder dem Vater, die doch schon so lange vorausgingen. Da erstehen im Geist dieser Menschen Bilder der Kindheit und der schönsten Jahre des Lebens. Und da wird dann vom Heimkommen gesprochen, vom Eintritt in das Zuhause...und gemeint ist nicht diese irdische Wohnung, die ja bald abgelegt wird, wie ein zerschlis- senes Kleid. Gemeint ist der ewige Hintergrund dessen, was wir sehen und in dieser Welt durchwan- dern. Und schließlich ist die Stunde da. Der sterbende Mensch überschreitet die Schwelle in die Welt, in die wir nicht folgen können - noch nicht. Aber wir sehen dann auf den zerfließenden Zügen den Glanz der Ewigkeit. Und manchmal bleibt noch lang ein Lächeln zurück, das wir nicht verstehen können. Wir sagen dann vielleicht mit unseren Worten, die ja nicht annähernd an diese großen Dinge heranreichen: "Sie ist friedlich hinüber gegangen." Und das durften wir auch bei M. F. sagen. Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Was könnte wesentlicher sein für uns und unser Leben, als daß wir uns ohne Angst, in großem Ver- trauen und voller Hoffnung einfügen in Gottes großen Plan mit seiner Welt und seinen Menschen? Im Glauben an Jesus Christus, der den Tod für uns überwandt, sind wir hineingenommen in die Ewigkeit, die in Gott ihren Anfang hat und ihr Ende, die von ihm ausgeht und zu ihm heimkehrt. Auch unser kleiner Lebenskreis ruht in seinen Händen. M. F. muß das gewußt haben. Mit ihrem stillen, bescheidenen Leben hat sie uns ein Beispiel dafür gegeben, wieviel Kraft, Hoffnung und Ge- borgenheit in diesem Glauben liegt. So ist auch ihr Konfirmationsspruch wahr geworden in ihrem Leben: Alles vermag ich durch den, der mich mächtig macht, Christus. M. F. hat alles vermocht, alles jedenfalls, was uns wirklich nötig ist für ein Leben an und in den gu- ten Händen Gottes. Schenke uns Gott, daß auch wir den Lauf in dieser Welt führen und vollenden ohne Angst und in großer Zuversicht: Dieses Leben ist keine Irrfahrt ohne Ziel, sondern eine Heimkehr. Es kommt aus Gott und es mündet in ihm. Es ist eingebettet in die Ewigkeit. Auch M. F. ist uns nur vorausgegan- gen auf die andere Seite des Lebens. Wir dürfen getrost sein.