Ansprache zur Beerdigung - Tod einer sehr alten, frommen Frau 1. Tim. 4,7 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Warum drumherumreden? Ich habe K. G. seit 20 Jahren gut gekannt. Für mich ist ihr Leben auf seine Weise vorbildlich gewesen! Und warum nicht auch das klar aussprechen: Ich hätte heute schon gern - vor so vielen Menschen, die gekommen sind, um von ihr Abschied zu nehmen - über ihr Leben gepre- digt. Ich hätte uns allen gern nahegelegt, es dieser Frau doch ein wenig gleichzutun, ihre Maßstäbe auch in unserem Leben zu verwirklichen, was ihr wichtig war zu betrachten und zu bedenken und sich an ihrem Wesen und ihrer Lebensart ein Beispiel zu nehmen... Aber ich spüre spätestens jetzt, wie schwer das werden muß, ja, daß dieses Vorhaben eigentlich fast aussichtslos ist. Denken wir doch nur an die Zeit, als K. G. nach Groß-Eichen kam: Da war der Witwer K. G., dem die Frau so früh gestorben war, da waren drei kleine Kinder, da war eine Haus- und Landwirtschaft, da waren Lebensumstände, mit denen einer allein völlig überfordert war... Mit anderen Worten: Da war ein so gewaltiger Berg von Arbeit, da mußte eine weiß Gott früh aufstehen und sich spät nieder- legen, um das auch nur einigermaßen zu schaffen. Sie wollte aber auch noch dem Mann eine gute Frau sein und den Kindern eine liebevolle Mutter... Und genau über diese Zeit hat unsere Verstorbene spä- ter immer mit leuchtenden Augen gesprochen. Und nicht so, daß sie sich gerühmt hätte, daß sie diese Aufgabe übernommen hat. Nein, wie war sie ihrem Mann dankbar, daß der sie zu sich geholt hatte! Wieviel Dank empfand sie gegenüber Gott, der ihr dieses Leben beschieden und es für sie so "glück- lich" gefügt hatte! Und da frage ich jetzt: Wer würde denn heute eine vergleichbare Aufgabe überhaupt nur antreten? Wer würde das denn nicht weit, weit von sich weisen? Wer würde nicht einen solchen Antrag, ja, schon den Gedanken daran kopfschüttelnd verwerfen? Nun mag manchem und mancher von uns dieses Beispiel auch arg krass vorkommen: Das kann ja nur unseren Widerstand wecken, wir möchten doch auch leben und etwas erleben, wir wollen Freude ha- ben, Glück empfinden und nicht nur schaffen und schuften und uns krummlegen... Schauen wir in eine spätere Lebenszeit von K. G. Seit ihr Mann vor 12 Jahren gestorben ist, hat sie - wie schon davor - ihr sehr stilles, bescheidenes Leben geführt. Die "Freude" dieses Lebens war es, mit einigen Nachbarinnen, die bald täglich bei ihr zu Gast waren, zu stricken, Gedankenaustausch und gute Gemeinschaft zu pflegen. Das "Glück" dieser Jahre waren die Tage des kurzen Sommers, an de- nen man sich draußen auf die Bank vor dem Haus setzen konnte und mit denen, die vorbeigingen ein Wort wechselte. Besondere Höhepunkte dieses Lebens waren die Geburtstage, an denen einmal alle aus der Familie bei ihr zusammen kamen, vielleicht auch die Hausabendmahlsfeiern, die wir in der Pas- sions- und Adventszeit immer bei ihr gehalten haben und das Singen der Jungscharkinder bei ihr kurz vor Weihnachten. Und sonst? Sonst nichts, liebe Trauergemeinde, nichts jedenfalls, was wir als wirkli- che Glücksmomente und echte Freudenstunden betrachten könnten. K. G. allerdings war damit nicht unzufrieden, vielmehr war das ihr Leben, auch in dem Sinn, daß ihr dieses Leben rund, schön, sinnvoll und erfüllt gewesen ist. - Und hier frage ich noch einmal: Wer von uns wäre denn damit zufrieden? Wem schiene das nicht zu wenig, ein zu kleines Leben, zu eng, zu farblos...ja, für manche wohl kaum zu ertragen! Wir sind doch gewohnt, das Leben auszuschöpfen. Wir haben ein-, zweimal Urlaub im Jahr. Wir fah- ren hierhin und dorthin, gönnen uns etwas, leisten uns dies und das...und wenn es geht, noch jenes. Liebe Gemeinde, ich will das jetzt nicht abwerten damit. Ich will nur feststellen, wie ganz und gar an- ders K. G. gelebt hat als die meisten von uns. Und ich will fragen, sie und mich, wie kommt es, daß sie nicht mehr vom Leben wollte? Wie ist das möglich, glücklich zu sein, wenn doch fast alles, was uns erstrebens- und lebenswert erscheint, fehlt? Und - gewiß! - will ich uns dann auch fragen, wie das kommt, daß wir, in einem Leben in dem nichts fehlt, was es bunt und voll macht, oft doch gar nicht zufrieden, gar nicht glücklich und vor allem weder mit Gott noch mit uns selbst im Reinen sind. Ich glaube, das Bibelwort, das K. G. uns für diese Abschiedsstunde bestimmt und von dem sie ge- wünscht hat, daß wir's jetzt betrachten, hilft uns zu einer Antwort. So heißt der Vers, den sie in ihrer alten, zerlesenen Bibel für uns und diese Stunde angestrichen hat: Ich habe den guten Kampf ge- kämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben gehalten. Ich denke, daß uns schon dieser erste Gedanke eigentlich nicht gefällt, ja, im Innersten widerstrebt: Ich habe den guten Kampf gekämpft... Ist das Leben denn ein Kampf? Auch noch ein guter? Spre- chen wir nicht allenfalls davon, daß es auch einmal zu kämpfen gibt, wenn wir uns an Zeiten des Krie- ges erinnern oder des Aufbaus danach? Aber das waren doch, wenn wir sie überhaupt erlebt haben, nur kurze Jahre. Doch nicht das ganze Leben! Andererseits: Für K. G. mag das ja mehr als für andere zugetroffen haben. Ihr Leben war nicht leicht. Schon als junge Frau hatte sie zu kämpfen. Und dann ihr Beginn hier in Groß-Eichen... Doch: Ihr billigen wir das zu, wenn sie vom Kampf des Lebens spricht mit diesem Wort... Und doch, glaube ich, es ist anders gemeint. Verstehen wir's doch einmal so: Ich habe den guten Kampf gekämpft... Ich habe das Leben nicht als eine Spielwiese begriffen, auf der wir uns dem Spaß und der Kurzweil hingeben, sondern zuallererst als ein Ackerfeld, auf dem es auch hart zu arbeiten gilt. Immer wieder, ja, täglich muß um die rechte Richtung dieses Lebens, um das gute Verhalten, um die beste, die richtige Entscheidung gekämpft und gerungen werden. Und - vor allem - steht dieses Leben unter dem Anspruch Gottes! Gott hat uns das Leben nicht geschenkt, damit wir nur Spaß haben oder nur leichte, frohe Tage. K. G. hätte vielleicht gesagt: Gott hat mir für mein Leben zuerst Aufgaben gegeben, die ich erfüllen soll - und mit seiner Hilfe auch erfüllen kann. Alles andere ist zweitrangig, kommt lange danach und kann nur unbedeutende Zutat sein. So betrachtet merken wir jetzt schon, wie das abweicht von unserer Sicht und unseren Erwartungen an das Leben. Wer geht denn ernsthaft und in erster Linie davon aus, daß er einen Auftrag hat, den er erfüllen soll? Wer fragt nach den Aufgaben, die Gott ihm in seinen Jahren vor die Füße gelegt hat? Und wem könnte das gar mehr bedeuten, als die Farbe, die Zerstreuung und die Freude eines Lebens? Ich habe den guten Kampf gekämpft... ich habe den Lauf vollendet... Ich höre das ein wenig so, als wenn einer von einem großen Sieg spricht! Ich habe den Lauf vollendet! Es war nicht leicht. Es gab immer wieder Zeiten, Wochen, Tage und Stunden, in denen ich ganz unten war, da glaubte ich, du hast dich doch übernommen, du bist ja gar nicht so stark, wie du gedacht hast, es geht nicht mehr, da kommst du nicht hindurch... Aber dennoch: Ich habe den Lauf vollendet! Es ging doch weiter! Ich ha- be mich abends niedergelegt und war der Verzweiflung nah, habe geweint und gefleht, habe dann Gott um Hilfe gebeten, und ich bin morgens erwacht und wußte, was zu tun ist, bekam die Kraft, die ich brauchte und kam hindurch... Ich habe den Lauf vollendet! Ich konnte treu sein durch Gottes Kraft, bei den Menschen und den Aufgaben, die ich übernommen hatte. Ich konnte erfüllen, was Gott als seinen Auftrag über mein Leben geschrieben hat. Wie anders ist doch auch das als die Ziele, die wir für unser Leben angeben würden. Wir wünschten uns wohl, wenn wir Gott dafür überhaupt bemühen, daß er uns an den Zeiten der Schwäche und der Verzweiflung vorbeiführt - gewiß nicht zuerst mitten hindurch! Wir wünschten uns, daß wir verschont bleiben von den Wochen und Tagen, da wir ganz auf Gott und seine Kraft und Hilfe geworfen sind. Ich habe den guten Kampf gekämpft... ich habe den Lauf vollendet...ich habe den Glauben ge- halten. Liebe Trauergemeinde, dieses letzte ist - da bin ich ganz sicher! - für K. G. das allerwichtigste gewesen - an diesem Vers, aber auch an ihrem Leben: Ich habe den Glauben gehalten! Vielleicht hätte sie uns dazu gesagt: Du kannst den Lebenskampf gar nicht anders bestehen, als wenn du den Glauben hast. Du wirst den Lauf nicht vollenden, wenn dich der Glaube nicht auf dem Weg stärkt und hält. Und wenn wir sie nun gefragt hätten, wie sie das denn gemacht hat, dann hätte sie uns vielleicht so geantwortet: Du mußt Gott zu dir sprechen lassen, dafür hat er uns die Heilige Schrift gegeben. (Ihrer Bibel sah man an, daß sie in Gebrauch war!) Du mußt im Gebet mit ihm den Kontakt halten. (Sie be- tete jeden Tag ihres Lebens!) Du mußt zum Tisch des Herrn gehen, um dich dort immer wieder stär- ken zu lassen. (Vor einem Vierteljahr hatten wir unsere letzte Abendmahlsfeier in ihrem Haus.) Viel- leicht hätte sie uns noch den Gottesdienst genannt und die rege Gemeinschaft mit den Mitchristen in der Gemeinde... Alles jedenfalls, was sie wohl gesagt hätte, wären Empfehlungen gewesen, die für uns und unsere Zeit - wenn wir ehrlich sind - weniger wichtig, ja, gewiß nicht lebensnotwendig erscheinen. Für sie allerdings waren es die entscheidenden Dinge des Lebens, die Mitte, der Halt, die Aussicht, die Hoffnung, die Kraft, die Freude... Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben gehal- ten. Liebe Trauergemeinde, nun habe ich doch über ihr Leben gepredigt. Ich habe es getan, nicht um sie, K. G., herauszustreichen oder zu loben, sondern einfach, weil es so war bei ihr. Ich habe es am Anfang ja gleich gesagt: Ich glaube, daß es schwer werden muß, ihr Leben für uns als Vorbild zum Nacheifern zu erklären und uns nahe zu bringen, daß dieses Leben nachahmenswert sein soll. Vielleicht aber ist jetzt doch der eine oder die andere aufmerksam geworden. Und vielleicht geht diese Frage von heute mit dem einen oder der anderen: Wie ist es möglich, glücklich zu sein in einem so kleinen, engen Leben, in dem so viel, was uns erstrebens- und lebenswert erscheint, fehlt? Diese Frage werden gewiß besonders die von uns von heute mitnehmen, die schon einmal oder schon oft daran irre geworden sind, was diese Zeit uns als den Sinn und das Ziel des Lebens vor Augen stellt und verkau- fen will: Immer stark sein, immer obenauf, alles mitnehmen, konsumieren, sich alles gönnen, leisten... Vielleicht nehmen diese Menschen doch auch die Antwort mit, die das Leben von K. G. gegeben hat. Die Antwort, die im Vers der Widmung für diesen Abschied von ihr selbst so zusammengefaßt ist: Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben gehal- ten.