Aus dem dritten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "In Eichendorf bei Pfarrer Schein" 21. Folge »In Eichendorf bei Pfarrer Schein«; Wo mag dies Dorf gelegen sein? Ich denke mir, die Leser wollen jetzt wissen, wo sie suchen sollen, wenn Schein von diesem Orte spricht. Die Deutschlandkarte führt ihn nicht, nicht den zumindest, den wir meinen. (In Niederbayern gibt es einen, doch ist das nur dasselbe Wort, halt »Eichendorf«, doch nicht der Ort, wo Pfarrer Scheins Geschichten spielen.) Daneben werden wohl in vielen Gemeindenamen rings im Land auch »Eichen« oder »Eich« genannt, was dann auf -bühl und -hagen endet. Doch wie Ihr’s nun auch immer wendet, sucht hier und da, sucht kreuz und quer: Dies Dorf zu finden, wird Euch schwer, ja, aussichtslos ist Eure Suche! Und dennoch wird in diesem Buche Herr Pfarrer Schein mit Fleiß beschreiben, was Eichendorfer Christen treiben und was sie lassen oder tun. Man sieht, da ist die Frage nun, wo wohl die Eichendorfer leben? Wo kann es, bitte, »Dörfer« geben, die es nicht gibt, die keiner kennt und die uns keine Karte nennt? Laßt Euch von Schein zu diesen Fragen gereimt, im Vers, die Antwort sagen! »Pfarrer Schein gibt eine Ortsbestimmung« Zunächst einmal: Es ist nicht weit, ja, Ihr könnt bleiben, wo Ihr seid, müßt nicht einmal - wer kann das fassen? - den Stuhl, auf dem Ihr sitzt, verlassen, müßt nur, das ist der ganze Trick, die Augen drehen, Euren Blick, mit dem Ihr sucht, nach innen richten. (Das wollen alle Schein-Geschichten!) Denn dort, in Eurem Herzen, liegt auch »Eichendorf«, ganz eingeschmiegt in gelbe Felder, grüne Auen, ein Örtchen, reizend anzuschauen, solange man noch ferne weilt. Noch ist die Freude ungeteilt; wir atmen sie mit vollen Zügen! Schon für das Auge, welch’ Vergnügen, dies heile kleine Dorf zu seh’n: Gebäude, Ställe, Scheunen steh’n in Reih’ und Glied, die Giebel blinken. Die Dächer leuchten, Bäume winken dazwischen so, als grüßten sie. Wie warme Luft steigt Harmonie aus allen Türen, Fenstern, Steinen. Das ganze Dorf, so will es scheinen, ist heiter, ausgeglichen, froh, ja, selbst die Häuser strahlen so! Und schließlich, gute alte Sitte, die Kirche steht noch in der Mitte; so ist sie wohl des Dorfes Herz!? Man hat sie nicht wie anderwärts aus seinem Denken, seinem Leben, dem Dorf, Gemeinschaft, allem eben hinausgetrieben und verdrängt, ins Ghetto oder Aus gezwängt . So wirkt uns Eichendorf - von außen! Doch bleiben wir nicht länger draußen; geh’n wachen Sinnes weiter vor, durchschreiten schon des Ortes Tor und schauen alles jetzt von innen. Wie wirkt das anders - hier - von drinnen! Ja, ängstlich fast, mit zagem Gang geh’n wir die Straßen nun entlang: Von Harmonie und warmem Rühren ist nicht der kleinste Hauch zu spüren! Kein Werkzeug tönt, kein Lachen klingt, ja, nicht einmal ein Vogel singt! Die Häuser, wo wir Leben wähnen, sind leer, die Fenstermünder gähnen hinüber nur zum Nachbarhaus, und dort - da sieht’s genauso aus! Die Menschen muß man hier vermissen. Das »alte Dorf«, es gleicht Kulissen, die für das Auge aufgebaut. Was aus der Ferne wir geschaut, war Täuschung, Eichendorfs Fassade, ein Blendwerk bloß, nur Maskerade, - die Wirklichkeit, die war es nicht! Doch seh’n wir ihm ins Angesicht, dem Dorf (das wir im Innern haben!): Durch seine Mitte läuft ein Graben, darinnen fließt, man ahnt es schon, das Flüßchen namens »Tradition« - wie einst seit zweimal tausend Jahren. Die Ströme, die ihm Zufluß waren, sind allerdings schon lang versiegt: der »Bach der guten Sitte« liegt schon trocken ganze Ewigkeiten. Geradeso ging’s einem zweiten, dem Bache »Schöner alter Brauch«. Am andern Ufer kränkelt’s auch: Ein Rinnsal wurde aus den Flüssen, die reichlich Wasser führen müssen, in Eichendorf und allgemein - will unser Leben »christlich« sein: »Die Gottesfurcht«, »Die Nächstenliebe« . So fließt sie hin in trägem Triebe, die »Tradition« und nur gespeist von ihrer Quelle. Ganz verwaist sind ihre beiden Uferstriche. Was blieb ist nur das Äußerliche: Die Häuser, dicht am Fluß gebaut, das Fenster, das zum Kirchturm schaut, das Dach, zu bergen und zu schützen, die Bänke, dem Gespräch zu nützen, das Gotteshaus, das wartend steht und Wege hin, die keiner geht, die Höfe, die so leblos liegen, die Bäume, die im Wind sich wiegen, die Scheune, Schuppen und der Stall. Wo aber sind die Menschen all’, die Christen, die hier schmerzlich fehlen? Wo sind die Eichendorfer Seelen? Wir schreiten suchend weiter fort durch diesen stillen, toten Ort: In jedem Hof und Haus das gleiche! Wo ist das alte Dorf, das reiche, das volle Leben früh’rer Zeit, die Nachbarschaft, die Kirchlichkeit, die Brauchtums- und Gemeinschaftspflege? Wo sind die ausgetret’nen Wege von einem Haus ins andre Haus? Wir blicken suchend jetzt hinaus, um dort - wo mögen sie bloß stecken? - die Eichendorfer zu entdecken. Und wirklich: Drüben regt sich was! Ein Bungalow mit kurzem Gras und pflegeleichtem Grün im Garten, darinnen Zwerge aller Arten, ein Schweinetrog - ob das gefällt? - zum Kübel für Gesträuch entstellt, und mittendrin ein Mann beim Rechen des Rasens und beim Unkrautstechen. Ein zweiter, dritter schließt sich an, und drinnen jedesmal ein Mann, beschäftigt mit den gleichen Dingen. (Gibt’s wohl Gesetze, die sie zwingen, die gleichen Dinge gleich zu tun?) Wir gehen weiter, sehen nun, wo Eichendorfer heute wohnen; beschreiben - das ist zu betonen! - auch hier des eig’nen Herzens Stand: »Neu-Eichendorf« liegt heut’ am Rand des alten Ortes, ziemlich außen. Die Menschen selber zog’s nach draußen, denn schon das »Draußen« galt als schick! So haben sie im Augenblick das Haus, den Hof, die alten Gassen, Gemeinschaft, die sie barg, verlassen und manches, was sie einmal hielt. »Neu-Eichendorf« verargt und schielt, auch wird gemessen und verglichen: Ist jener Neubau jetzt gestrichen? Schafft dieser das mit Ratenkauf? Ragt Nachbars Schornstein höh’r hinauf, ist wohl sein Rasen kürzer, dichter, und - wie’s gebührt! - sein Auto schlichter? Und frönt er gar - man läßt nichts aus’ - wie früh’r dem Gang zum Gotteshaus, wie’s ehemals, vor Zeiten, Sitte? Das »neue Dorf« hat seine Mitte schon »geographisch« anderswo. Nicht »Kirche«, »Christentum« und so, vielmehr - um’s bildlich auszudrücken - die »Mitte« ist ein Höhenrücken: der »Wohlstand«, der den Ort durchzieht. Auch Bäche strömen durch’s Gebiet: Die Flüßchen »Selbst« und »Eigen« gießen ihr Wasser reichlich, ja, sie fließen an jedem Hause hier vorbei! Im Hintergrund sieht man die zwei besagten Flüßchen »Selbst« und »Eigen« in »Ich«, »Mich«, »Mein« und »Mir« verzweigen; wie schön: An Wasser fehlt es nicht! Jedoch - aus christlich-enger Sicht - fehlt’s hier an ziemlich allen Sachen, die so ein Leben sinnvoll machen, ja, wichtig, gut und wesentlich! Neu-Eichendorf meint meistens »Ich«, wo Eichendorfer »Wir« noch meinten. Wo einstmals Glaube, Liebe einten, eint heute nur der neue Sinn: Was bringt mir dies? Gibt das Gewinn und wofür kann mir jenes taugen? Die Kirche kam aus aller Augen, je mehr der Christ nach »draußen« trieb. Sie selbst - als bloßes Bauwerk - blieb und wartet still und ohne Klage auf Hochzeits-, Tauf-, Begräbnistage, denn dafür wird sie noch gebraucht. Ansonsten bleibt man abgetaucht und weit vom Kirchturm abgeschieden; sucht »draußen« Ruhe, Seelenfrieden und findet doch bei dieser Kur sich selbst - und stets sich selber nur! Das ist das Dorf, in dem die vielen Geschichten und Gedichte spielen: Das »Eichendorf« Herrn Pfarrer Scheins. Doch ist dies Dorf auch Deins und Deins und selbst als Städter wohnst Du drinnen! Herr Schein lädt ein, sich zu besinnen, in welchem Teil des Orts man wohnt und meint, daß sich die Umkehr lohnt, ja, findet, sie ist bitter nötig! Als Pfarrer macht sich Schein erbötig, ein Stück des Wegs vorauszugeh’n... Könnt Ihr das »alte Dorf« schon seh’n?: Die Eichendorfer Giebel blinken, die Dächer leuchten, Bäume winken dazwischen so, als grüßten sie. Wie warme Luft steigt Harmonie aus allen Türen, Fenstern, Steinen. Das ganze Dorf, so will es scheinen, ist heiter, ausgelassen, froh und alle Menschen strahlen so... Hier zählt Gemeinschaft, gute Sitte! Hier steht die Kirche in der Mitte! Die Häuser, dicht am Fluß gebaut, das Fenster, das zum Kirchturm schaut, das Dach, zu bergen und zu schützen, die Bänke, dem Gespräch zu nützen... Macht auf das Tor und tretet ein: in Eichendorf bei Pfarrer Schein!