Aus dem ersten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "Was so ein braver Pfarrersmann im Vogelsberg erleben kann" 2. Folge Das war in seiner ersten Zeit. Herr Schein war längst noch nicht soweit, daß er die neue Wirkungsstätte nebst ihrer Sprach verstanden hätte -. Fremd warn die Menschen, fremd war auch noch manche Sitte, mancher Brauch: Er wußte nichts vom Hochzeitskuchen und nichts vom Ostereier-Suchen, auch nicht, wer zur Walpurgisnacht den Gartentürchen Beine macht. Unkundig war er noch der Namen - kaum kannte er die Herrn und Damen, die im KV sehr oft mit Schwitzen in ellenlanger Sitzung sitzen - geschweige denn, daß er schon wußte, wie er die andern nennen mußte . . . was wunder auch, gabs doch dabei bei einigen der Namen drei: Zunächst der erste, der vom Haus, dafür ein Beispiel: Drehersch-Klaus, und dann der zweite, der war Spott, von Hosse-Karl bis Hottentott, (Hosse = Sinti/Roma) vom Tier, das aus dem Wald man kennt, bis zu: wie man nen Nachtisch nennt; (gemeint ist „Pudding") jedoch der dritte, den man schrieb, dem Pfarrer lang verborgen blieb, denn der blieb meistens ungenannt, (und war wohl oft auch unbekannt.) Kurzum in seinem ersten Jahr, als er noch der "nau Perner" war, (nau Perner = neuer Pfarrer) geschah es ihm, daß er erfuhr, ein Stück der dörflichen Natur, ein wahrer Kult an seinem Ort: "Ge-burts-tag" heißt dafür das Wort . . . Doch halt, daß jeder folgen kann, erzähl ich euch von vorne an: »Pfarrer Schein und die Geburtstage« An einem Nachmittag im Mai, so etwa gegen zehn vor drei, geht Pfarrer Schein zur Tür hinaus und pilgert zum Gemeindehaus, denn heute macht der Jugendkreis Geländespiel, wie jeder weiß! Und Schein ist fröhlich und beschwingt und hofft, daß ihm das Spiel gelingt, weil ers mit Einsatz und mit Mühe schon vorbereitet in der Frühe. Der Hahnenschrei war kaum verklungen, da ist er durch den Wald gesprungen, um dort auf Pfaden und auf Wegen rund Hundert Pfeile auszulegen, auch hat er einiges vergraben, daß sie nun was zu suchen haben, wenn er der Gruppen drei bis vier nun sendet in das Waldrevier . . . Jetzt steht er also unterm Baum am Treffpunkt vor dem Jugendraum und wartet, daß nun gleich in Mengen, die Jugendlichen ihn bedrängen . . . Da ist auch schon der Stundenschlag: Punkt fünfzehn Uhr am Nachmittag. Jedoch, wo sind die jungen Leute? Ist denn nicht Zeit und Freitag heute? Kein Schwanz zu sehn, der Pfarrer harrt und fragt sich, ob ein Spuk ihn narrt; es ist der Tag, es ist die Stunde, doch nichts bewegt sich in der Runde. Sind sie erkrankt? Sind sie ihm bös? Der arme Pfarrer wird nervös: War etwas andres abgesprochen? Ist eine Seuche ausgebrochen? Der Pfarrersmann umkreist die Linde, ob er nicht doch die Antwort finde - allein nichts tut und rührt sich hier; inzwischen ist es halber vier! Jetzt denkt er: "Laßt mich doch in Ruh. Noch fünf Minuten geb ich zu, beschließ den Jugendkreis sodann; ich bin nicht euer Hampelmann!" Und wenig später sieht man ihn erneut durch Feld und Wälder ziehn, dann gräbt er hier, hebt dort den Stein und sammelt alles wieder ein, was er dort unter Strauch und Blatt verbuddelt und verborgen hat. Zuhause endlich, fühlt er sich recht mies und ziemlich ärgerlich. Und unser Pfarrer hat noch immer von einer Antwort keinen Schimmer, warum die ganze junge Schar heut Mittag nicht zu sehen war. - Am nächsten Morgen kommt zutage die Lösung auf des Pfarrers Frage. Der Zeitungsbursch mit Spitznam "Laus" rückt mit der Wahrheit nun heraus: Ein junger Mann, man nennt ihn "Pete", hielt gestern eine Riesenfète aus Anlaß der Geburtstagsfeier. Dort war die Jugend, Hinz bis Meier! Die Frag die sich der Pfarrer stellt: Warum um alles in der Welt, hat niemand bei ihm angefragt und ihm mal kurz Bescheid gesagt?: "Am Freitag feiert 'Pete' Weiß, drum fehlen wir im Jugendkreis." Bei einem Hinweis dieser Art hätt sich Herr Schein viel Müh gespart. Doch lieber Leser, laß dir sagen, noch weitres hat sich zugetragen, daß Schein, der vielgeplagte Mann "Geburtstag" nicht mehr hören kann: Da kommt er mal zum Fraunverein und denkt, was ist die Schar so klein; bin ich zu früh, sind krank die Fraun, gibts heut im Fernsehn was zu schaun? I wo, gleich wird er aufgeklärt, (der Pfarrer fast der Haut entfährt!): Frau A. hat heut ihr Wiegenfest, wovon sie alle grüßen läßt! (Weil 'A' im Ort fast jeder heißt, ist heut der Frauenclub verwaist.) So ist man also nur zu siebt, wos sonst kaum Platz für alle gibt; und Schein denkt bei sich kummervoll, was er denn heute machen soll. Wie soll er zu der Sache kommen, die er zu klärn sich vorgenommen?: Termin, das Ziel und auch den Start der stets begehrten Kaffeefahrt . . . und kann das Buch, das alle lieben, er heute lesen - bloß vor Sieben? Als drittes Beispiel dieser Plage der Eichendorfer Namenstage, sei hier noch dieses angebracht, (des Pfarrers Maß hats vollgemacht!): Da tagt einst im Gemeindesaal der Bastel-Frauen große Zahl, um für ein Fest am End vom Jahr zu planen den Verkaufsbazar. Auch den Termin bespricht man jetzt und hat ihn grade festgesetzt. Doch schon erhebt sich Widerspruch: "Da hab das Haus ich voll Besuch!" so ruft ein Frauchen ganz verstört und guckt zum Pfarrer hochempört; der greift gequält sich an das Herz, es zieht vor Wut ihn deckenwärts, doch reißt er sich nochmal am Riemen, ihm scheint Beherrschung mehr zu ziemen; so macht er (mit nem Seufzer) drauf noch einmal den Kalender auf. Wie wärs mit diesem oder dem, ist jener etwa angenehm . . . ? So geht er nun ab Herbstanfang den Wochen Blatt um Blatt entlang, ob sich nicht fürs Gemeindefest ein schönes Datum finden läßt. Doch immer, wenn er eins genannt, wird er beschossen, zornentbrannt: "Da feiern wir bei Onkel Willi!" "Das geht nicht wegen Oma Milli!" "Seid ihr verrückt? Seid ihr bei Trost?" So ruft es hier und da erbost. "Am Siebzigsten von Opa Geier, erwägt ihr ne Gemeindefeier?" "Nein, auch die Woche drauf ist schlecht das wäre meinem Fritz nicht recht, der putzt bei Emmi - unsre Beste! - vom Vortag noch die Kuchenreste!" So wird nun Tag um Tag verneint. Der Pfarrer schlecht zu träumen meint; bis endlich - anders geht es nicht - er kräftig laut ein Machtwort spricht: "Auf neunten elften wirds gelegt!" Er staunt: kein Widerspruch sich regt. Er weiß nicht, daß zu dieser Frist sein eigener Geburtstag ist! In dieser Nacht träumt er im Schlummer; er träumt sich frei von seinem Kummer: Er sieht sich stehn am Kirchentor und hängt dort eine Tafel vor: "Kein Gottesdienst! Geht heim ihr Leut! Des Pfarrers Oma feiert heut!" Als nächstes Bild sieht sich Herr Schein um kurz vor acht im Fraunverein: "Ihr Fraun, ich muß gleich wieder gehn, ganz sicher werdet ihr verstehn, wenn ich heut hier nicht bleiben mag, mein Dackel hat heut Namenstag!" Als Schein erwacht am nächsten Morgen, sind halb vergangen seine Sorgen. Ganz kummerfrei ist er noch nicht, doch wächst in ihm die Zuversicht, daß einmal die Erkenntnis reift und jedermann im Dorf begreift, daß vieles nur gemeinsam geht und die Gemeinschaft höher steht, zumindest höher - ohne Frage! - als aller Menschen Namenstage. Ist besser nicht, als fortgeblieben, die Feier einmal zu verschieben?