Plädoyer für eine geschriebene Predigt Immer wieder ertönt die Forderung, Predigten müssten frei gesprochen werden, um nicht über den Hörer hinwegzugehen. Dahinter steckt sicher der berechtigte Wunsch, Predigten für die Hörer verständlich und den Prediger menschennäher zu machen. Dennoch sehe ich darin einen bedenklichen Weg zum richtigen Ziel. Ich plädiere weiterhin für geschriebene Predigten. Und zwar aus folgenden Gründen: 1. Nur eine gründliche Textarbeit überzeugt auch mit ihrer Textauslegung Natürlich gehört zu jeder Predigterarbeitung, ob schriftlich oder mündlich, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem biblischen Text. Nur wenn der Predigttext in seiner Geschichte und seinem Anspruch ernst genommen wurde, kann auch die Aktualisierung überzeugen. Si- cher wird dies auch ein frei sprechender Prediger vorher tun. Aber wieviel kann und will er nachher in freier Rede davon aufnehmen? Entfällt dann nicht vieles, was ihm gedanklich schon wichtig war, weil es beim freien Anreden für den Hörer als zu mühsam erscheint? 2. Die Tiefe des Glaubens braucht auch einen Reichtum an Sprache Geschriebene Sprache ist tatsächlich eine andere als die Umgangssprache. Wenn wir frei re- den, passen wir uns der Redeweise der Hörer oder Gesprächsteilnehmer an. Das bringt zwar eine größere Übereinstimmung, ist aber letztlich eine Verarmung an Sprache, denn der Wort- schatz ist dann wesentlich begrenzter und der Satzbau einfacher. Das wirkt zwar auf Anhieb lebensnaher, aber für den Preis, dass auch tiefere Einsichten platt wirken und die Gewöhn- lichkeit der Sprache nicht hängen bleibt. Eine schöne reiche Sprache erzählt auch von einem schönen und reichen Glauben. Auch Gedichte sind keine freie Rede; aber sie können, gerade weil sie sprachlich ganz anders sind, im Gedächtnis haften bleiben und reizen stärker zum Nachsinnen. 3. Das Kriterium der Hörernähe kann eine Falle für die Botschaft sein Das Evangelium ist kein leichtes Brot. Diesem im Predigtschreiben nachzuspüren ist immer wieder eine große Herausforderung. Wenn nun das Ziel der freien Rede die Hörernähe ist, gerate ich viel schneller in Versuchung, es allzu passend, verständlich, fassbar zu machen. Da fallen nicht nur schwierige Ausdrücke, sondern auch schwierige Inhalte fort, weil sie dem Hörer zu fremd sein könnten. 4. Die freie Rede ist eine Herausforderung an Konzentration und Disziplin Wer kein großes Talent zur freien Rede hat, gerät leicht ins Stocken (Äh...) oder in Gedanken- sprünge. Wer es gelernt hat, dem fällt so viel ein, dass er leicht vor lauter Ideen den Faden verliert. Die freie Rede ist eine Herausforderung an die Konzentration, um das Ganze wirklich nachvollziehbar aufzubauen und sich nicht in den eigenen Gedankenschleifen zu verirren; und es ist zugleich eine Herausforderung an die Disziplin, um sich zu beschränken. Kann aber unter diesem Anspruch wirklich Hörernähe erreicht werden? Geradezu beunruhigend ist für den Hörer ein freier Prediger, der ständig konzentriert auf die Empore schaut. 5. Blickkontakt - mit Gesicht und Herz Wer gut lesen kann und vom Text seiner Predigt überzeugt ist, kann immer wieder die Hörer anschauen. Aber entscheidend ist nicht, ob der Prediger sieht, wenn ein Hörer einschläft, son- dern ob er begriffen hat, was in den Menschen vorgeht und ob sie sich verstanden fühlen mit der Beschreibung des Menschseins und Christseins in der Welt. Pfarrerin Felizitas Muntanjohl