Wahlzeit (Gedanken vor dem Urnengang) Nur keine Angst! Ich will mich zügeln, zur Wahl Parteien abzubügeln, so dass ich in bewegter Zeit, ganz kurz vor einem Volksentscheid, bei denen, die zum Wählen gehen, versuchte, noch etwas zu drehen. Kein Wort dazu aus meinem Mund! Ihr fragt warum? - Aus diesem Grund: Ich würde, falls ich Einfluss nähme, ja selber so, dass ich mich schäme, denn eins ist lang schon für mich klar: Nicht meine Sicht allein ist wahr! So stört mich auch, wenn viele denken: Es soll im Staate jener lenken, der meine Interessen schützt und mir und meiner Sache nützt! Kein Mensch im Land ist doch alleine! Das, was ich möchte oder meine und will, dass man’s politisch tut, ist selten für das Ganze gut. Jedoch - was niemand wohl bestreitet - ist dieser Maßstab weit verbreitet, der alles an sich selber misst und überm „Ich“ das „Wir“ vergisst. Wir schau’n nach „unten“ oder „oben“, man ist in Eigensinn verwoben, wobei - ich werde jetzt konkret - es „oben“ noch am schlimmsten steht. Doch dafür will ich aus dem Leben ein praxisnahes Beispiel geben: Wir denken uns, ein Wirtschaftsmann im Aufsichtsrat, der sonst nichts kann, als dass er dort mit ernster Miene und mittels Sitzfleisch Geld verdiene, wird angefragt, was für ihn zählt und wen er bei den Wahlen wählt? Gewiss doch wird er jene nennen, die sich wie er zu dem bekennen, was Konjunktur und Kurs belebt und so die Dividende hebt. Und falls wir ihn um Rat befragen, dann wird er uns als Antwort sagen, dass auch für uns das beste sei, wir wählten die von der Partei, die lange schon mit Kompetenzen für wirtschaftliches Wachstum glänzen. Nur eines tut er sicher nicht, dass nämlich er für jene spricht, die sich - auf Tradition gegründet - des Volkes Unterschicht verbündet: dem Arbeitnehmer, dessen Kraft das Fundament der Wirtschaft schafft und mit dem Kopf und mit den Händen erst Aufschwung und die Dividenden der Aktionäre möglich macht. An diesen wird zuletzt gedacht, denn dessen Wohlfahrt ist nicht wichtig und was er leistet, gilt als nichtig, ist darum vor und nach der Wahl, dem Manne „oben“ piepegal! - Wir wechseln auf die andre Seite, zur Lohnarbeit und ich bestreite, dass dort ein andres Denken gilt. Ich male hierzu jetzt ein Bild von einem Ehepaar, schon älter ... Die Rente reicht, denn die Gehälter der beiden waren einst nicht schlecht. Sie arm zu nennen, wär’ nicht recht, doch würde „reich“ wohl auch nicht passen. Wenn wir sie jetzt erzählen lassen, dann hör’n wir von der früh’ren Zeit, von zähem Fleiß und Pünktlichkeit, und dass sie während vierzig Jahren stets bei der selben Firma waren und pflichtbewusst und unverwandt sich ihren schönen Rentenstand, an dem man sich von Herzen freue, verdient mit Pflichtgefühl und Treue. - Was hier wohl sie, was er wohl sagt, wenn man sie nach Parteien fragt und wen davon sie selbst wohl wählen? - Wird er von Mindestlohn erzählen und armen Menschen in „Hartz IV“? Und hör’n wir später wohl von ihr, sie wolle Bildungsnotstand dämpfen und gegen Kinderarmut kämpfen? Und ob die beiden wohl versteh’n, wie arg das ist, zur Arge* geh’n, um dort sich dann zu sehr geringen (oft Hunger-)Löhnen zu verdingen, vor Augen Altersarmut bloß, im Herzen müd’ und hoffnungslos. - So wird wohl auch das Wählen beider, nur eig’ner Wohlfahrt dienen, leider und folgt der eig’nen engen Sicht und sieht das große Ganze nicht. - Ich bin am Schluss mit meinem Dichten. Ich wollte heut’ die Blicke richten, auf das, was nicht nur uns allein zu Wohlstand dient und Glücklich-Sein. Will stets ich selbst nur profitieren, dann kann der Staat nicht funktionieren! Gemeinschaftsgeist als Ideal steht drum bei jeder Wahl zur Wahl und ob wir Wähler auch dem Leben der andren unsre Stimme geben. Man prüfe seine Wahlpartei, ob sie dem Ganzen dienlich sei! Manfred Günther * Arge = „Jobcenter“, früher Arbeitsagentur Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 94