Der Trachtenknopf Ein großer Tag in Schlechtenwegen* (ein Dorf, im Vogelsberg gelegen)! Der Kindergarten, neu gebaut, wird Gottes Segen anvertraut mit Gottesdienst und einer Feier. Der Landrat kam, Herr Dr. Meier*, im Trachtenjanker, wie gewöhnt. Den Weihe-Festtag aber krönt der Mann an seiner rechten Seite, (mit Ehefrau - wohl schon die zweite?) vom Wahlkreis Friedrich-Wilhelm Schrag*; er ist im deutschen Bundestag! Die Baugewerks-Vertreter kamen, auch was im Dorf hat Rang und Namen, nebst all den andern, groß und klein, erschienen heut’ zum Stelldichein: Zum ersten, um sich seh’n zu lassen, zum zweiten, dass sie nichts verpassen, zum dritten freilich sicher auch, weil’s doch ein guter alter Brauch, ein Menschenwerk, bevor’s mit Leben erfüllt wird, erst zu übergeben mit Segen, Reden und Büffet ... Auch sorgt das Festtagskommitee - das wissen alle Eingeweihten! - gewöhnlich für Gelegenheiten, dass Prominenz und Jedermann noch einmal kräftig spenden kann. (Auf dass die Gäste sich nicht weigern und um die Spendenlust zu steigern, ist stets die Presse auch dabei! Wem wäre das wohl einerlei, danach im Tageblatt zu lesen, er wäre wohl auch „da gewesen“ und hätte „dies und das“ gesagt ... doch „wenn man nach der Spende fragt“, von der „war leider nichts zu sehen“!) - Wir geh’n hinein jetzt ins Geschehen: Den Gottesdienst, der gleich beginnt, hält in der Kirche Pfarrer Lind*, ein Mann des salbungsvollen Wortes, der langgediente Hirt des Ortes. Und wirklich: Es ist sagenhaft, wie Pfarrer Lind es wieder schafft, die Festgemeinde anzuhalten, nach drei Minuten ... abzuschalten! Was Dr. Meier dazu nutzt, dass er sich laut die Nase putzt, dann prüft er noch mit einer raschen Bewegung seine Janker-Taschen: Ja, oben links steckt noch der Scheck vom Landratsamt für guten Zweck im nagelneuen Kindergarten! (Doch der muss noch bis später warten!) Jetzt tastet rechts des Landrats Hand und spürt den kleinen Widerstand: Jawohl, dort kann man beim Berühren das Manuskript der Rede spüren, die Meier später halten will. Jetzt wird es in der Kirche still: Zur Weihe will der Pfarrer beten. Das tut er auch. Dann aber treten die Kindergartenkinder vor und singen süß im Kinderchor. Danach beginnt ein Kind zu stammeln: „Wir, liebe Gäste ... kommen ... sammeln, wobei ... ein jeder ... spenden soll!“ Der Pfarrer lächelt würdevoll. Man sieht die Kinder sich verteilen und sammelnd durch die Reihen eilen. Auch zu Herrn Landrat kommt ein Kind, der stöhnt, erbleicht und sucht geschwind, in allen sieben Jankertaschen, ein kleines Geldstück zu erhaschen. Jedoch von Münzen keine Spur! Da bleibt Herrn Meier eines nur: Er fühlt nach seinen Trachtenknöpfen (so gold’ne mit Franz-Josef-Köpfen!) und reißt mit einem scharfen Ruck jetzt einen ab, der nur als Schmuck am rechten Ärmel sich befindet ... das heißt: befand, denn er verschwindet jetzt in Klein-Evchens Sammelsack. Das Evchen aber ist auf Zack, hat Meiers Stöhnen wohl vernommen und seine „Spende“ mitbekommen! - Dann endlich ist die Kirche aus, man geht ins neue Kinderhaus, wo endlich man bei Bier und Schnitten, Thüringer Bratwurst, Senf und Fritten, auch auf Herrn Landrats Rede hört (was schließlich nicht beim Kauen stört!). Und Meier glänzt mit starken Sätzen: „Es gibt an Kindergartenplätzen noch lange nicht genug im Land! Drum ist mit Geld und Sachverstand die Arbeit eben erst begonnen. Sich im Erreichten jetzt zu sonnen, ist, wie ich meine, nicht am Platz ...“ Hier unterbricht er seinen Satz: Er ist am Pult nicht mehr alleine, denn neben ihm steht jetzt die Kleine, (das Evchen!) greift zum Mikrophon und ruft es in die Menge schon: „Herr Landrat, schau, was ich gefunden!“ Dann - aus Sekunden werden Stunden! - zeigt sie dem Saal den Trachtenknopf mit goldenem Franz-Josef-Kopf. „Der war in meinem Sammelsäckchen und fehlt an deinem Trachtenjäckchen!“ - Das Ende ist nun rasch erzählt: Herr Meier floh von Scham gequält ... - Im Tageblatt war dann zu lesen: Herr Landrat sei „beim Fest gewesen“, doch hätte „Knöpfe nur verteilt“ und wäre „hastig dann enteilt“. Ein Bild von Evchen ist daneben, die grad dabei, den Knopf zu heben, auch sieht man klar im Hintergrund, Herrn Meier mit verzog’nem Mund. Darunter stand: „Jetzt ist am Tage, dass Landrat Meier, ohne Frage, für seine Arbeit als Engelt, nur einen Hungerlohn erhält!“ Manfred Günther * Orte und Namen sind reimfähig verändert! Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 86