Niersteiner Schonkaffee Es schlägt ihm immer gut zu Buche, macht der Herr Pfarrer Hausbesuche und auch der lieben Pfarrerin ist’s für die Arbeit ein Gewinn: Man lernt die Leute besser kennen, die sich Gemeindeglieder nennen. Man blickt ins Leben tief hinein, sieht Sonnenschein und Sorgenstein und kann auch manchmal einen heben*. Kann Trost und Rat und Hilfe geben im Hören erst und dann im Wort. Bald kennt man jedes „Schaf“ im Ort und weiß ihr Schicksal, wie sie heißen, die schwarzen Schafe und die weißen ... So bringt sie viel, die Tradition des Hausbesuchs der Amtsperson! - Wir woll’n, das Thema auszuweiten, nun eine Pfarrerin begleiten, wenn diese morgens kurz nach acht schon erste Hausbesuche macht, ach ja, Frau Weber ist ihr Name! Sie klingelt eben bei der Dame, die, wie sie weiß, für lange Zeit in einem Krankenhaus - recht weit von ihrem Pfarrort - krank gelegen. Doch, hört man, wäre, welch ein Segen, die Dame wieder fast gesund. Ein „Leberleiden“ war der Grund, so hat die Pfarrerin erfahren. Schon öffnet mit zerzausten Haaren im Morgenmantel eine Frau, so um die Siebzig, schon ganz grau, die rechte Wange rot vom Liegen; sie wirkt, wie grad dem Bett entstiegen, die Augen sind noch unbebrillt, sie scheint erfreut und lächelt mild. Jetzt öffnet sie den Mund zu fragen, da hört man schon Frau Weber sagen: „Grüß Gott, Frau Meier, mein Gesicht, so denk’ ich, kennen sie noch nicht! Es sind inzwischen knapp vier Wochen seit meine Zeit hier angebrochen, bin Pfarrerin im Dienst des Herrn, ich heiße Weber, würde gern mit ihnen reden ... eine Weile ... Passt ihnen das? Sind sie in Eile?“ „Nein, nein“, so sagt Frau Meier nun, „ich habe Zeit und nichts zu tun und freu’mich, dass sie mich besuchen. Auch hab’ ich noch ein wenig Kuchen, denn gestern war mein Wiegenfest! Doch weil sich’s besser plaudern lässt, gibt’s Kaffee noch, so ein, zwei Tassen! Auch könnt’ es gar nicht besser passen, ich brühe eben welchen auf!“ So sitzen beide kurz darauf in Guste Meiers kleiner Küche. Vom Kaffee schweben Wohlgerüche verheißungsvoll im ganzen Raum. Es dauert fünf Minuten kaum, schon ist - wie soll man’s auch vermeiden? - das Thema des Gesprächs der beiden Frau Meiers langer Aufenthalt im Krankenhaus - acht Wochen bald! Voll Mitgefühl meint jetzt Frau Weber: „Das ist nicht einfach mit der Leber!“ Worauf nun prompt Frau Meier spricht: „Die Niere war’s, die Leber nicht! Die Linke war gefüllt mit Steinen, mit großen dicken und mit kleinen, Gesamtgewicht zwei Zehntel Pfund! Die Steine waren auch der Grund für Koliken und starke Schmerzen!“ Man sieht’s, Frau Weber geht zu Herzen, wie sehr das Leid Frau Meier plagt. Doch hör’n wir jetzt, wie diese sagt: „Ich geh’ ins Zimmer rasch hinüber und hole uns zwei Tässchen rüber!“ Kaum ein Minütchen dauert’s dann, da rückt sie mit den Tassen an, wobei uns leichter scheint die eine, die andere ist ... voller Steine! Die leere stellt sie vor sich hin, die volle vor die Pfarrerin. Dann, schwupps!, nach kurzer Überlegung, gibt’s eine kleine Handbewegung, die Tasse kippt, mit einem Wisch ergießt sich alles auf den Tisch und liegt nun da mit gelbem Schimmer. Frau Weber graust’s, doch wird’s noch schlimmer, denn fragend setzt Frau Meier an: „Ob sich Frau Pfarrer denken kann, was das denn wohl für Steine wären?“ - „Ich weiß, sie müssen nichts erklären!“, so wispert diese leise jetzt. Zwar ist sie nun schon sehr entsetzt, doch folgt dem ersten Schock ein zweiter: Frau Meier holt, sie lächelt heiter, das Kaffeetöpfchen jetzt vom Herd, um dann - von Skrupeln unbeschwert - Frau Webers Tasse einzuschenken! (Na, welche wohl? Man kann sich’s denken!) - Wir aber kommen jetzt zum Schluss, weil dies Gedicht hier enden muss. Noch eines allerdings ist wichtig: Es war ein Schock, so viel ist richtig, den hat die Pfarrerin gefühlt. Doch auch wenn Tassen ungespült, wird der Geschmack sich bald verlieren. Die Hitze tötet Keime, Viren und auch der Schock sagt bald ade! (Es war ja schließlich Schonkaffee!) Manfred Günther * Einen Sorgenstein natürlich!!! Was haben Sie denn gedacht? Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 85