Formulare, Formulare ... Es ist nicht leicht in diesen Zeiten, sein bisschen Leben zu bestreiten! Das heißt: Es ginge wohl ganz gut, gäb’s nicht die Formulare-Flut! Das fängt schon an, hast du vor Stunden ein neues Menschenkind entbunden und denkst: ein Kind, oh welch ein Glück!, da pfeift die Schwester dich zurück: „Dies Kind ist niedlich, zugegeben, doch eigentlich noch nicht am Leben! Denn dazu fehlt ihm, das ist klar, vom Standesamt das Formular!“ So also noch vorm ersten Stillen, tust du dem Standesamt den Willen, indem du, falls du diesen kennst, den „Vater“ deines Kindes nennst. Dann kommt ein Feld „Geschlecht“ betitelt, da schreibst du rein, was schnell ermittelt, halt, halt!, nicht ob du ad’lig bist!, nein, ob dein Kind ein Mädchen ist, sonst bleibt ja nur die andre Sorte! „Geburt“ und „Wohnung“ meint die Orte, an denen du entbunden hast und wo du lebst. (Doch wenn’s nicht passt, dann kommt hier auch ein „Ja“ in Frage!) Der „Stand“ meint deine Lebenslage: halt ledig, Ehe, Witwenschaft ... Nach sieben Seiten flieht die Kraft, du möchtest endlich nur noch eines: Zu deinem Baby, um dein Kleines zu stillen an der Mutterbrust und nach dem Formulare-Frust zu hätscheln, herzen und zu küssen, doch wirst du das vertagen müssen! Die Oberschwester wartet schon mit etwas Dokumentation: „Warum man als Entbindungsstätte dies Krankenhaus erkoren hätte? Wieviel man schon von Babys weiß? Verdauung? Blutdruck? Morgenschweiß? Gibt’s Schmerzen? Wo? Was sind die Gründe? Und ob noch Kinderwunsch bestünde?“ So geht es weiter, stundenlang und ganz allmählich wird dir bang und Ängste, die in Bann dich schlagen, verdichten sich zu diesen Fragen: „War die Geburt wohl gar nicht wahr? Wo ist der Mensch, den ich gebar?“ - Und diesen Fragen kann’s gelingen, die Dinge auf den Punkt zu bringen, zu einer Antwort, die befreit: Wo ist der Mensch in unsrer Zeit? Gilt von der Wiege bis zur Bahre die Herrschaft nicht der Formulare? Und weiß der Greis nicht wie das Kind, dass Fragebögen Götzen sind, viel mächtiger als Menschenwesen? Als Gleichnis ist daran zu lesen, dass unsre Zeit in Land und Stadt das rechte Maß verloren hat: Als erstes fragt man nach Papieren! Wir schreiben, zählen, registrieren, wo einer wohnt und was er macht, wieviel an Steuern er erbracht, wo rein genetisch seine Schwächen und gibt es elternseits Gebrechen? Und ist am Ende schließlich Ruh’, dann fragen wir uns doch, wozu und was die Ziele der Erhebung? Steht hinter ihr wohl die Bestrebung, nach Glück, mehr Wohlstand und Gewinn an Lebensqualität und Sinn? Gilt’s Positives zu erreichen und sucht man deshalb nach den Zeichen, wo in der Welt es nicht so läuft, indem man Daten, Fakten häuft zu Besserung und gutem Zwecke? - Mir scheint, der Mensch bleibt auf der Strecke! Die Flut der Formulare steigt, derweil, was menschlich ist, sich neigt! Denn Menschen kriegt man nicht zu fassen, sodass sie auf Papiere passen! Selbst wenn der letzte Fakt genannt, bleibt unser Wesen unbekannt: Zum Beispiel: Wer beschreibt das Denken? Und wenn sich Menschen Liebe schenken, wer weiß den Grund und schreibt ihn auf? Die Brüche auch im Lebenslauf, sein Leid, der Kummer, seine Sorgen ... Den Formularen bleibt’s verborgen! - So gilt als Fazit hier zum Schluss, dass man den Fluten wehren muss aus Formularen, Protokollen ... Beziehung ist’s, was Menschen wollen, persönlichen Kontakt und Zeit ... Das Wort dafür ist Menschlichkeit. Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 84