Verführung Nun wird gewiss ein jeder raten: Was will der Dichter heut’ verbraten, bei einer solchen Überschrift? Doch seid getrost: Das Thema trifft nichts Schlüpfriges und „Sexuelles“, und nichts Verbotenes und Schnelles so zwischen Mann und Frau der Art, die gern mit Ehebruch sich paart. Kein Stöhnen aus der Besenkammer, das meist noch außer Katzenjammer viel Scham und Ärgernis gebiert und oft die Scheidung produziert. Es geht um andere Verführung, die ohne Blicke und Berührung zunächst auf unsre Nase zielt, mit Duft das Riechorgan umspielt, um ohne Beigeschmack des Bösen in uns Gelüste auszulösen nach guter Speise, gutem Trank ... - Nun kann es sein, ein Mensch ist krank und darf darum nicht alles essen, beziehungsweise, er muss messen, wieviel er isst, von dem und dem. Das ist gewiss nicht angenehm! Doch etwas andres, denk’ ich immer, das ist dagegen noch viel schlimmer: Wenn einer viel und gerne aß und sich (auch sichtbar!) überfraß und merkt, dass sich beim Gürtelbinden die Enden nicht zusammenfinden, soviel er sie mit ganzer Kraft auch um den Bauch zusammenrafft und wenn der dann vom Fett gezwungen, sich endlich, endlich durchgerungen, zu meiden Zucker, Butter, Salz, die Bratenkruste und das Schmalz, um abzubau’n Gewicht und Völle, dann ist schon das die reinste Hölle. Doch wenn sich dem noch zugesellt, dass süßer Duft uns überfällt, dann ist’s als Terror zu verbuchen, als Anschlag, um uns zu versuchen ... und ich, ich habe das erlebt! Und wenn ihr fünf Minuten gebt, erzähle ich hier die Geschichte, in der ich euch davon berichte, wie auf dem Markt der nahen Stadt* Versuchung mich befallen hat und wie sie endlich mich verführte: So gegen Zwölf war’s und ich spürte Verlangen, bohrend, unverhüllt, nach etwas, das den Magen füllt. Doch hatte ich mir streng geschworen, nicht nachzugeben diesem Bohren, denn lang schon hatte ich erkannt, dass um den Bauch der Gürtel spannt und überm Wanst sich rieb die Schnalle. Beschlossen war in jedem Falle, dass heute Speise ich vermied. So also trat ich ins Gebiet des Marktes ohne Ess-Gedanken ... jedoch wie schnell kam ich ins Wanken! Was lag da alles in der Luft: Von Bratwurst zog ein warmer Duft entlang die menschenbunten Gassen. Gewillt, mich nicht verführ’n zu lassen, erinnerte ich intensiv mein morgendliches Stimmungstief beim Wieg-Ergebnis auf der Waage. Schnell war ich wieder Herr der Lage, doch leider, leider nicht sehr lang! Ein Angriff aus dem Seitengang: das Fettaroma heißer Fritten! Nur fort, nur fort mit raschen Schritten! Allein, es hatte keinen Wert, denn meine Richtung war verkehrt, ich kam vom Regen in die Traufe: Es war die reinste Feuertaufe, die meine Schwachheit überfiel: Ein überreiches Düftespiel das meine Nase jetzt umwehte: Aromen einer Fleischpastete, von Fisch mit Chips ein zarter Hauch, dazu gegrillter Schweinebauch, und Haspel, Hähnchen, Frikadellen bestürmten in gepulsten Wellen mir Nase, Gaumen, Zunge, Mund sowie den inn’ren Schweinehund ... und der (nicht ich!) hat dann entschieden: Ein Steak mit Pilzen brachte Frieden dem Schweinehund und der Begier. Am nächsten Stand dann kauft’ ich mir ein Marktstück noch, gemacht aus Leder ... Ihr ahnt nicht was? Es kennt ein jeder ... es wächst mit unserm Bauchumfang ... Ein neuer Gürtel - überlang! Manfred Günther * Vor einem Jahr beim Grünberger Gallusmarkt! Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 79