Freuden des Alters Wer sonst mir lesend treu gewesen, wird denken, hier nicht recht zu lesen! Ein Schock ist’s wohl und gar nicht klein: Was soll des „Alters Freude“ sein? Ist nicht vielmehr das Älterwerden des Menschen größte Last auf Erden? Ja, graust’s davor nicht jedermann, sodass er, wenn er’s steuern kann, sich lieber eilt, bald abzutreten, bevor das Leiden - ungebeten! -, das Alt-sein häufig mit sich bringt ihn drückt und gar aufs Lager zwingt? - Gewiss, doch muss es so nicht bleiben! Heut’ will ich einmal davon schreiben, was grade wenn du älter bist, sehr gut und auch erfreulich ist. Ich will dabei mit unsern Sinnen wie Hören, Sehen jetzt beginnen: Sehr häufig ja wird unser Ohr (wenn man’s durch Disco nicht verlor!) so gegen sechzig langsam schlechter. Dann mag es sein, dass man als Wächter, als Sänger oder als Pilot von Arbeitslosigkeit bedroht, doch das sind sicher selt’ne Fälle. Wer dann privat so auf die Schnelle mit Hörgerät sein Ohr verstärkt, für den sei folgendes bemerkt: Es ist doch schön, nicht gut zu hören! Allein die Stille kann betören, doch herrlich ist es außerdem, bequem und wirklich angenehm, wenn fast Ertaubt-sein zwar nicht faktisch, doch taktisch ist und lebenspraktisch! Dann nämlich bist du stets imstand’ und hast’s im Ohr, sprich: in der Hand, wenn Auftrag, Wünsche und dergleichen dich nicht mehr so wie früh’r erreichen. Kein Stress, kein Schweiß, kein Dauerlauf! Und bald hört fremdes Wünschen auf. Du kannst nun all die Dinge machen, die Lust und Spass in dir entfachen. (Und sicher fällt es dir nicht schwer, dem Ohr, wenn’s sein muss, etwas mehr „bequeme Taubheit“ zu verpassen! Doch bitte, nicht erwischen lassen, indem du „Gutes“ prima hörst und „Schlechtes“ nicht zu hören schwörst!) - Der zweite Sinn sind hier die Augen, die so ab Fünfzig nichts mehr taugen, wofür man, auch wo die nicht „putzt“, für bess’re Sicht die Brille nutzt, doch auch die Linsen, die nur haften, sind finanziell heut’ zu verkraften, von Vorteil ist: man sieht sie nicht, es bleibt wie’s ist dein Angesicht! Doch rate ich, Kontakt mit beiden (sei’s Brille, Linsen) streng zu meiden, zumindest doch vor Publikum! Denn gut zu seh’n, ist ziemlich dumm, man denke nur an seinen Garten: Das Unkraut sprießt zwar, doch muss warten, wenn meine Augen es nicht seh’n! (Für Männer ist beim Bummeln geh’n das trübe Auge lebenswichtig! Wer kann denn, sieht er nicht mehr richtig, der Frau ein Kaufberater sein? So spart man Zeit und manchen Schein!) Noch eines darf man nicht vergessen: Die schwache Sicht hilft auch beim Essen: Salat war häufig früh’r nicht recht, er schmeckt jetzt besser, sieht man schlecht. - Das alles führt uns nun zum Schluss, dass man das Alter loben muss, selbst da, wo’s manches mit sich führt, was unser Körper schmerzlich spürt; es gibt auch noch die andre Seite, die schöne, positive, zweite und die heißt, schwächelt auch ein Sinn, so nutze ich’s als Lustgewinn: Das schwache Ohr ist oft ein Segen und hilft, mich nicht mehr aufzuregen. Kommt schlechtes Sehen noch dazu, dann hat die liebe Seele Ruh’ und niemand wird mich mehr bedrängen. Ich bin von Ärger, Druck und Zwängen, dazu noch mancher Last befreit. Ich habe Freude, habe Zeit und sollte wirklich was geschehen, wozu man hören muss und sehen, dann ist es lang noch nicht zu spät für Brille, Linse, Hörgerät! Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 77