Was ist jung, was ist alt? Um mit der Überschrift zu fragen: Was ist denn „jung” in diesen Tagen und was ist wirklich „typisch alt”? Wer Antwort sucht, der merkt es bald: Es ist sehr schwer zu unterscheiden! Warum? - Es gleichen sich die beiden und näh’rn sich, was man sehen kann, rein äußerlich beständig an. Was unsre Haut betrifft, geht’s häufig sogar dem Alter gegenläufig: Mit Achtzehn - dank Solarium! - wirkt mancher so, als wär’ sie um, die Zeit des jungen, frischen Lebens. Hingegen suchst du oft vergebens bei wirklich Alten eine Spur vom Ablauf ihrer Lebensuhr: dass Brust und Bauch nach unten driften ... I wo! Man lässt sich heute liften und ist so glatt wie die Popos von Babies, straff und makellos. So zeigen’s längst nicht mehr die Falten, wer zugehörig zu den Alten, auch ob er jung ist, weißt du nicht, schaust du dem Menschen ins Gesicht. - Liegt’s an der Kleidung und den Dingen, kann das Benehmen Klarheit bringen, wie viele Jahre einer zählt? Macht’s das Parfüm, das einer wählt, und ob er Piercing* und Ver-„zierung” durch Stränchen trägt, ob Tätowierung den Arm, den Rücken ihm ver-„schönt”? Ist der wohl alt, der ächzt und stöhnt, wenn’s darum geht, sich zu bewegen? Und sind oft jene, die sich regen, nicht lange über Achtzig schon? Ist unsres Handys Klingelton das Jugend- oder Alterszeichen? Und ob, wer bleich ist, wie die Leichen, dass jeder ihn für tot schon hält, nicht nur ein Grufti**, dem’s gefällt, sich so wie Dracula zu schminken? Sind Augen die noch feurig blinken wie Sterne, brillenlos und nackt vielleicht mit Linsen in Kontakt und ist die Farbe, die sie zeigen, wohl auch nur künstlich und nicht eigen, so dass statt „Braun” vielleicht und „Grau” man lieber zeigt das junge „Blau”? - Man kann es wenden und auch drehen: Von außen ist es nicht zu sehen, ob einer alt ist oder jung. Es täuschen glatte Haut und Schwung, es narrt uns Klingelton und Falte: Die jung erscheint, ist eine Alte und mancher ist schon früh ein Greis. Wo also ist er, der Erweis, wer alt, wer jung? - und ich ergänze: Was macht sie aus, die Altersgrenze, an der man heute klar erkennt, warum man Menschen „jung” noch nennt und andre nicht. Wer kann es sagen? Was macht uns alt in diesen Tagen? (Wobei die Antwort jedermann persönlich ja betreffen kann, denn jung sein möchte sicher jeder!) - Hier also kommt aus meiner Feder ein Vorschlag: Der ist wirklich alt, den nur die äußere Gestalt, die straffe Haut, Parfüm, Pomade, mit einem Wort: nur die Fassade an sich und andren int’ressiert. Wer seine Zeit damit verliert, dem äuß’ren Schein sich hinzugeben, statt aus dem Inneren zu leben und Mensch und andern Freund zu sein, der bleibt bei sich und bleibt allein und altert früh, auch wo die Hüllen, den Anspruch „jugendlich“ erfüllen. Und jetzt - hier kommt der Umkehrschluss, den jedermann wohl ziehen muss: Ganz Alte, die die Menschen lieben, sind meist im Herzen jung geblieben, auch wo die Wangen runzlig sind, die Hand gefurcht, das Auge blind ... und dennoch kommt ein Glanz von innen! - Dass solche Jugend wir gewinnen, ist heut’ mein Wunsch für dich und mich. Erfüllung sucht man innerlich! Manfred Günther * Piercing = Ringe, Stecker oder andere Schmuckstücke werden durch die Haut gestochen ** Grufti = Angehöriger einer Jugendkultur mit Hang zum Mystischen und Okkulten Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 68