Gesprächs-Kultur Für’s Religiöse oft verschlossen, vereins- und politikverdrossen, sucht doch der Mensch in dieser Zeit zum Sprechen die Gelegenheit, und manchmal gar gibt’s noch den Dritten, den Zweie zum Gespräch sich bitten. Das findet, wenn man Muße hat, nach Tisch in Werkskantinen statt, im Schwimmbad oder in der Sauna, in Flora draußen und der Fauna, in Wartezimmer, Bahnhofssaal, beim Wandern (- meist beim Weg zu Tal!), in Parks, auf Bänken aller Arten, am Gartenzaun zum Nachbargarten ... Und meistens geht’s um eines nur: Des Sprechers eigene Natur! Das heißt, ich sage es ganz ehrlich, der zweite, dritte ist entbehrlich, denn jeder spricht ja nur von sich. Wir hören: Ich und mein und mich und kaum, die ernst gemeinte Frage, wie wohl des Gegenübers Lage und ob es ihm erträglich geht? Ein jeder klagt, wie’s um ihn steht, was er erlebt, wie’s ihm ergangen und von den Dingen die misslangen, was er sich wünscht und was er will ... und ist’s gesagt, dann schweigt er still, denn jetzt - so ist’s Gesetz und Regel - (wer’s anders hält, der gilt als Flegel!) ist erst einmal der andre dran und der, so rasch, wie er nur kann, erzählt von sich und von den Seinen, dem eig’nen Dünken, Denken, Meinen und dann, wenn sich der Stoff ihm neigt, der Mund sich endlich schließt und schweigt, gibt er die Rede ab dem Dritten und der lässt gar nicht lang sich bitten: spricht nur von sich, dann schweigt auch er. Nun wäre im Gesprächsverkehr die Zeit, sich auch mal auszutauschen! Doch meist war aufmerksames Lauschen nur vorgetäuscht, so dass man jetzt, sich grüßend in Bewegung setzt, nach neuen „Partnern“ auszuschauen, um ihnen sprechend vorzukauen, was mehrfach gut schon durchgekaut. - Ich denke hier jetzt einmal laut: Was ist der Sinn von solchem Sprechen, und kann es als „Kultur“ bestechen? Spielt nicht ein jeder nur sein Stück? Erhält er irgendwas zurück? Vor solchem „Austausch“ will es scheinen, wir müssen den Ertrag verneinen: „Gespräch“, von dem man etwas hat, das findet heute selten statt. Es geht bei objektiver Sichtung heut’ meistens nur in eine Richtung: Der eine spricht, die andern tun, als hörten sie, doch sind immun für das, was wirklich ihn beschäftigt. Es kommt kein Rat, der hilft und kräftigt, kein Trost, der stärkt und weiterbringt, kein Lob, wenn etwas dir gelingt ... Du bleibst allein mit den Problemen, die dir die Lebensfreude nehmen. Allein auch mit den schweren Fragen und musst allein dein Bündel tragen. Ja, nicht einmal, was dich erfreute, dir glückte, int’ressiert die Leute. Soll das der Sinn des Sprechens sein: Du bist und bleibst mit dir allein? - So kann doch dies Gedicht nicht enden!? Und richtig, um das Blatt zu wenden, kommt wieder - wohl nicht unverhofft - die selbe Mahnung wie schon oft: Es müssen Leser, Leserinnen mit der Gesprächs-Kultur beginnen, die endlich kurz von sich nur sagt und lang dann nach dem andern fragt: Nach seinem Leben und Ergehen, wie Ehe und Gesundheit stehen, was er so treibt mit seiner Zeit, nach Freude, Trauer, Glück und Leid ... und das mit aufmerksamem Hören! Es wird danach, da möcht’ ich schwören, der andere, was er erfuhr, an echter, guter Sprech-Kultur uns gerne dann auch wieder geben: Wie’s uns denn geht? Wie wir so leben? Und was denn die Familie macht? Viel schneller als man je gedacht wird so aus Menschen, die erst einsam, Gefährten, Partner, die gemeinsam erfahren, was des Sprechens Sinn: Nicht Monolog, nein, her und hin, als ein Gewinn für beide Seiten. - Sie sind nicht übel, unsre Zeiten, so lange man noch sprechen kann! (Doch mehr kommt’s auf das Hören an!) Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 63