Werkstatt Kirche Wie man neue Gottesdienstbesucher gewinnt In Angersbach* war Restaurierung des Kirchgestühls mit Renovierung im ganzen Kircheninnenraum. Verantwortlich war Firma „Baum“* für die gesamten Holzarbeiten. Im Monat März, genau am zweiten, ein Sonntag, war es dann soweit: Das Kirchgebäude war bereit, für Gottesdienst und Weihe-Feier. So hatte also Pfarrer Meier* die Kirchgemeinde einbestellt und alles, was zur Kirche hält (auch Handwerksmeister, Firmenleiter, den Architekten und so weiter, halt alle Förderer des Baus) ins Angersbacher Gotteshaus. - Der Tag ist da. Nicht nur die Frommen sind heut’ zum Weihefest gekommen! Ganz selt’ne Gäste sieht man auch, denn noch gilt hier der alte Brauch: Macht einer bei der Kirche Kasse, dass der sich auch mal sehen lasse, wenn die danach ein Fest begeht (zumal ja zu erwarten steht, dass hier der Aufwand zweier Stunden sich schnell schon lohnt durch neue Kunden!). So also wundert es uns kaum: Ganz vorne sitzt heut’ Friedrich Baum, der Chef der Baumschen Holzbetriebe. Ihn jedenfalls trieb nicht die Liebe zur Kirche und zur Religion. Vielmehr es sind 10 Jahre schon, dass er den Kirchenbau betreten. „Ich kann auch gut zu Hause beten“, ist sein bekannter Standart-Spruch. Auch reizt ihn schnell der Holzgeruch (in Kirchen nur!) zu Nießattacken. Heut’ quält ihn keine seiner Macken, er sitzt nur da, man meint er sinnt, ob nicht die Feier bald beginnt ... Jawohl, den Gottesdienst zu leiten, sieht man den Pfarrer dorthin schreiten, wo stets der Kirche Mitte war, mit andern Worten: zum Altar. Schon hebt er an mit Dank und Loben (heut’ einmal nicht den „Herren droben“) vielmehr die Herrn, die „engagiert“ mit „sehr viel Einsatz renoviert“ und so „dem ganzen Ort zur Freude den Innenraum vom Kirchgebäude in Stand und neuen Glanz versetzt.“ Nach diesen Worten hört man jetzt wie Pfarrer Meier Herrn und Damen als „Kirchenförderer“ mit Namen und Professionen laut verliest (was Baum ganz sichtlich sehr genießt!), um endlich noch einmal zu danken: Dem Handwerk, Architekt und Banken, den vielen Spendern hier und dort, und der Gemeinde hier am Ort. Nun aber startet Meier endlich trotz leichten Nuschelns gut verständlich mit Eingangspsalm und Liturgie. Herrn Baum gefällt’s so gut wie nie - er träumt von künftigen Geschäften, wehrt tapfer sich mit allen Kräften, dass nicht der Schlaf ihn übermannt. Auf einmal schaut er ganz gebannt nach den ihm zugewandten Seiten der Vorderbänke. Nach dem zweiten, nun fast schon ärgerlichen Blick, kratzt sich Herr Baum jetzt im Genick, um gleich darauf sich hinzuknien, aus seiner Tasche was zu ziehen und da ... jetzt ist er abgetaucht! Man hört, dass er am Boden kraucht, um dort vor den besetzten Plätzen der Kirchenbank sich aufzusetzen und irgendwas zu fabrizier’n ... Dazwischen wischt er sich die Stirn, denn heiß ist’s zwischen fremden Knochen. Nun hat’s der Pfarrer auch gerochen, denn was Herr Baum auch immer tut, das Holz verstärkt den Schall sehr gut: Es quietscht, wie wenn sich Schrauben drehen. Auch kann man zwischendurch verstehen wie Baum mit den Besuchern spricht: „Ich hoffe sehr, ich störe nicht, ich will die Andacht nicht vertreiben, doch so wie’s ist, so kann’s nicht bleiben!“ Inzwischen schaut das Publikum im ganzen Saal sich dorthin um, wo Baums - er selbst ist nicht zu sehen - geheime Kriecherwege gehen, das heißt: es fehlt Besinnlichkeit und Pfarrer Meier ist es Leid und kommt nun zügig auch zu Ende. Zum Segen breitet er die Hände, dann spielt die Orgel noch zum Schluss! Weil jetzt ja alles gehen muss, hebt auch Herr Baum sich aus der Senke der nun geleerten Kirchenbänke und lächelt breit wie ein Filou und geht auf Pfarrer Meier zu: „Herr Pfarrer, was ich sagen wollte, wenn irgend jemand fragen sollte, die Sache heut’ geht voll und ganz auf meine Kappe - und Kulanz! Verbockt hat das auf alle Fälle, der Egon, unser Altgeselle - nun ja, was man nicht selber macht ...! Doch wird’s in Ordnung auch gebracht noch eh der Sommer angebrochen. Ich denke, so in fünf sechs Wochen, ist alles, so wie ich es seh’, dann wieder richtig und okey: Dann sind die Haken für die Hüte nicht mehr wie eine Hängeblüte nach unten, bodenwärts gewandt! Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Drei Reihen konnt’ ich heute drehen! Doch werden sie mich wiedersehen gleich nächsten Sonntag gegen Zehn. Dann wird es zügig weitergeh’n. Sie lassen bitte sich nicht stören. Ich kann beim Schrauben prima hören! Fünf Reihen sind der nächste Schritt! Ich bring’ ‘nen bess’ren Schrauber mit!” Manfred Günther * Orts- und Personennamen wurden geändert. Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 59