Rente per E-mail Oder: Landflucht bei der Postbank Gleich zu Beginn, ihr lieben Leute: Schon wieder wird’s nicht heiter heute! Vielmehr der Verse Gegenstand wird sein: Der Rückzug aus dem Land, wie ihn die Post - trotz aller Klagen - betreibt bei uns in diesen Tagen, indem sie, was uns sehr verdrießt, die Postbank-Agenturen schließt. Die ganze Sache in der Summe ergibt ganz klar: Man ist der Dumme, sofern man auf dem Lande wohnt. Der falsch verstand’ne Fortschritt schont die Schwachen nicht und nicht die Alten und kannst du dir kein Auto halten, weil Rente oder Lohn zu knapp, dann lacht die Post und hängt dich ab, und pfeift auf Angebots-Verpflichtung, betreibt die Arbeitsplatzvernichtung und trägt zur Landverödung bei. Doch hilft kein Zetern, kein Geschrei, du magst dich wehren, protestieren! Es hilft dir nicht zu rebellieren! Und jedem, der die „Hotline“ fragt, wird solcher Blödsinn dann gesagt: „Man solle „Online-Banking“ machen!“ - Wer weiter denkt, der könnte lachen, wenn’s eigentlich nicht traurig wär’: Du sollst dein bisschen Bankverkehr von Wassergeld bis Funkgebühren jetzt wirklich per Computer führen? Doch wer, so frag’ ich, kann das schon? - „Man zahle heut’ per Telefon“, so rät die Hotline uns dann weiter, und dieses stimmt nun doch auch heiter, besonders hat man hier im Sinn die hoch betagte Nachbarin mit ihren fünfundneunzig Jahren: Ich seh’ sie schon nach Gießen fahren auf ihrem alten Drahtmobil (!), den „Bin-nicht-blöde-Markt“ als Ziel. Warum? - Sie möchte online gehen, und dort das Nötige erstehen: PC und Handy von „Ben-Q“ (da gibt’s umsonst die Maus dazu!) um bald - der Leser kann sich’s denken - zu Haus und unterwegs zu „bänken“. Auch holt sie sich die CD-ROM für „hai-spied“ von der Telekom. Zum Abschluss geht die alte Dame zur „1 und 1“-Bestellannahme und ordert dort für sich noch schnell die „Flät-rät“ mit „ADSL“. Dann fährt sie heim um loszulegen, genießt den neuen Online-Segen, schließt an, lädt hoch und stöpselt um und sörft im Internet herum und zahlt auch schon, es ist nicht teuer, per Mausklick ihre Fahrradsteuer und dann, es muss schon wieder sein, den Beitrag für den Sportverein. Der schönste ihrer Glücksmomente ist allerdings „Empfang der Rente“: Das Geld kommt ihr per Mail ins Haus, sie druckt’s am Vierfarbdrucker aus. - Ihr haltet das für übertrieben? Da habt ihr recht! - Doch steht’s geschrieben, wird manchmal erst der Wahnsinn klar! Auf jeden Fall wird offenbar, dass heut’ die Postbank ihren Kunden durch ihr Int’resse nicht verbunden. Wer via E-mail sich beklagt, kriegt allen Ernstes dies gesagt: „Die Menschen, Bares abzuheben, geh’n selten dorthin, wo sie leben, vielmehr sie tun’s am Arbeitsplatz! Die Post am Ort wär’ für die Katz, denn keiner würde sie ja nutzen!“ Bedenkt man dies, so wird man stutzen! Zum Ersten: Mancher schafft zu Haus! Zum Zweiten, heute sieht’s so aus, dass auch an deiner Arbeitsstätte, die Postbank ging! - Was gilt die Wette? - Was schließen wir aus diesem Fall? Der Wahnsinn ist schon überall und hat System und hat Methode! Hier scheint Moral mir leicht marode, denn wir vom Land sind wohl egal?! Der Geldanleger große Zahl, will von Gewinn am Ende lesen: Es ist ein gutes Jahr gewesen, wenn Kurs und Dividende stimmt. Was auf dem Land die Post uns nimmt, das steckt sie - kann es überraschen - den Aktionären in die Taschen, denn hier liegt heut’ ihr Hauptgeschäft! - Genug! Ich nehme jetzt das Heft in meine Hand und ich beende die Postkontakte und ich wende mich ab sofort den Banken zu! Noch zählst du hier! Hier sagt man „du“ und freut sich über neue Kunden! Gewiss: Es dauert ein paar Stunden, bis alle Konten umgelegt ... Doch nichts erreicht, wer unbewegt, die Dinge laufen lässt und treiben. Will jetzt die Post bei uns nicht bleiben, dann, liebe Leute, bleiben wir, das ist doch klar!, auch nicht bei ihr! Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 48