Herbstzeit - Wanderzeit! Ein Sieben-Tage-Reisebericht Ein Mann - wir woll’n ihn Rainer* nennen - (sonst von der Couch nur schwer zu trennen) erfüllt die lang gehegte Bitte der lieben Frau - sie heißt Brigitte* - nach sieben Wanderurlaubs-Tagen. Die Anfahrt macht man mit dem Wagen in Bayerns Süden, nach Lenggries. Das reinste Wanderparadies, in dem die zwei in wundervollen Bergtouren Fitness tanken wollen - sehr gern verlör’ man auch Gewicht. - Hier der persönliche Bericht aus „Wanderfrau” Brigittes Feder**: „Bei Alpenurlaub denkt wohl jeder, an Berge, Wälder und Natur, an frische Luft, Entspannung pur, an Wege zwischen grünen Matten und Wechsel zwischen Licht und Schatten und viel Erholung als Ertrag. - Das gab’s nur kurz - am ersten Tag: Wir starteten im Morgengrauen und fuhr’n durch kuhbegraste Auen mit Stock und Stiefeln angetan zur Talstation der Bergseilbahn. Der Fahrpreis hat zunächst verwundert, doch ging’s auf über Fünfzehnhundert, da sind auch mal zehn Euro drin. Wir nahmen Karten nur für „hin”, nicht für „zurück”, wir wollten laufen, uns unterwegs ein Brötchen kaufen mit Würstchen drin (das mag mein Mann!). In 12 Minuten ging’s hinan, danach, noch morgenfrisch und munter, war rasch das Schild erspäht: „Hinunter”, „3/4-Stunden“ stand darauf. Das wird ja wohl ein kurzer Lauf, so dachten wir, noch unerfahren. Als wir zwei Stunden weiter waren und erster Zweifel uns beschlich, ein zweites Schild: Hier war der Strich zur Zeitangabe unsrer Pfade, nicht senkrecht mehr, er war gerade, mit andern Worten lasen wir jetzt statt 3/4, drei bis vier! Jedoch, obgleich vor gut zwei Stunden wir schon den Weg hinab gefunden, trug dieses Schild die selbe Zahl: Noch immer drei, vier Stunden Qual! Denn eines muss man hier noch wissen: Wenn Blasen erstmal aufgerissen und Schuhwerk scheuert auf der Haut und in den Waden Wasser staut, dann ist’s zu spät noch zu bereuen. Zu wandern will nicht mehr erfreuen, besonders wenn’s nach unten geht: Egal: man läuft, man stockt und steht, die Beine brennen wie das Feuer. Die Talfahrt scheint dir nicht mehr teuer, nur fehlt die Fahrgelegenheit! Der Weg nach unten ist noch weit, doch gibt es kein Zurück nach oben! Von Schwerkraft kräftig angeschoben, geht’s immer weiter noch hinab. Nach Knien wird jetzt die Hüfte schlapp, du meinst dein Becken will zerspringen! Nach Brötchen, Wurst und solchen Dingen steht weder Magen dir noch Sinn. So geh’n die Stunden zäh dahin, doch zäher noch sind deine Glieder. Dann hat das Tal dich endlich wieder, kriechst ins Hotel mit letzter Kraft und fällst ins Bett. Es ist geschafft! - Der zweite Tag, ein Tag der Schmerzen! Was jetzt noch „geht“: der Schlag der Herzen, die Leiber starr und komatös. Am Fuß die Blasen eitern bös’. Hygiene null, kein Drang nach Essen, derweil in Muskeln Kater fressen und aus der Kehle Jammern dringt. - Und auch den dritten Tag verbringt man ähnlich wie auch schon den zweiten: Erstarrt die Körper und die Zeiten, denn ohne Regung liegst du da. Das Bad, das Frühstückszimmer nah und doch so fern und unerreichbar. Dein ganzer Zustand nur vergleichbar dem letzten Abschied von der Welt. - Am vierten Tag dann endlich fällt die Lähmung ab von deinen Beinen. Im Speisesaal weckt dein Erscheinen nicht wenig Spaß und Heiterkeit. Dein Trippeln ohne Sicherheit, erregt hier Häme nur und Lachen. - Am fünften Tag, ums kurz zu machen, beschlossen wir die Fahrt nach Haus: Wir zahlten, packten, checkten aus ... - Die „Wander“-tage „sechs“ und „sieben“ sind wir daheim im Bett geblieben, mit Pferdesalbe eingeschmiert. Wenn langsam sich der Schmerz verliert, erkennt man: Herrlich ist’s zu wandern! Doch überlässt man’s lieber andern! Vor allem aber gehe man nie Berge runter - nur hinan!“ Manfred Günther * Namen sind geändert ** Verreimt nach dem Bericht einer Leserin Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 41