Die Tücke des Fahrrads Gesetzt: Die Meinungsforscher fragen, was im Verkehr in diesen Tagen (- der auf der Straße ist gemeint!) uns am gefährlichsten erscheint für Unversehrtheit, Leib und Leben? Was wär’ die Antwort, die wir geben? - Nun, sagen würden viele was, doch einer dies, der andre das, ein dritter jenes und ich wette: Vom Auto reichte die Palette zum Quad (der Renner momentan!) bis hin zu Mofa, Bus und Bahn - das Fahrrad würde keiner nennen! Doch lernen wir heut’ jemand kennen, der jüngst am eignen Leib erfuhr des Fahrrads tückische Natur: Die Sache spielt in Oberhessen. Mariechen E. will vor dem Essen noch rasch zum Einkauf mit dem Rad. Sie fährt zunächst den Wiesenpfad in Richtung ihrer Ortschaft Mitte. Dort ist heut’ Markt nach alter Sitte, wovon Frau E. sich, wie man ahnt, Diverses zu besorgen plant: Zum Beispiel Äpfel, Mandarinen, am Fischstand Muscheln und Sardinen, beim Käsewagen auch noch was und frisches Sauerkraut vom Fass! Das Fahrrad läuft, sie kann nicht klagen. (Uns zeigt das deutlich, wie verschlagen auch schon die toten Dinge sind! Noch spielt’s die Unschuld, wie ein Kind, um später - schwer von Einkaufssachen! - das Unglück richtig schlimm zu machen!) Nachdem sie angekommen ist, füllt sich ihr Korb in kurzer Frist mit Fisch, mit Obst und andern Dingen, die sie gedacht, heut’ heimzubringen. - Dann ist’s soweit, es ist auch Zeit. Frau E. ist wieder startbereit. Es sind - so glaubt sie - fünf Minuten (- noch schwant Mariechen nichts, der Guten!) nach Haus’ zurück zu ihrem Ziel. Sie schwingt sich auf ihr Drahtmobil, hat hinter sich den Korb platziert, ins Lot gebracht und austariert. Schon ist sie auf dem Wiesenweg, wo er das Bächlein kreuzt, am Steg ... Da fasst ein Windstoß ihre Hose und diese flattert, wo sie lose in Höhe ihres Knöchels sitzt. Das böse Rad hat’s gleich gespitzt und gibt Kommando seiner Kette, dass sie sogleich zu schnappen hätte Mariechens loses Hosenbein. Das tut sie prompt! Sie beißt hinein mit ihres Kettenkranzes Zähnen. (Am Rande ist noch zu erwähnen: die Hose war von festem Stoff!) Mariechen also reißt es schroff vom Rad. Sie kommt am Bach zum Liegen. Die Muscheln rollen, Fische fliegen und schwimmen schon der Nordsee zu ... Dann kommt das Fahrrad auch zur Ruh’, doch hält das Hosenbein gefangen. Mariechen aber spürt Verlangen, dem Biss der Kette zu entflieh’n. Sie drückt und zerrt, doch alles Zieh’n hilft nicht, die Freiheit zu gewinnen! So gibt’s nur eins: Um zu entrinnen, löst jetzt Frau E. den Hosenknopf ... Dann schält sie sich mit rotem Kopf aus ihren beiden Hosenbeinen ... und steht im Schlüpfer und muss weinen, denn Rad und Welt erscheint ihr schlecht und wie ihr Schicksal - ungerecht! Doch bleibt für Weltschmerz keine Pause! Es gibt nur eins: Sie muss nach Hause und das womöglich ungeseh’n! Frau E. lässt Korb und Fahrrad steh’n und geht geduckt - man kennt’s von Tieren - die Nase hoch auf allen Vieren und hat auch schon den Steg erreicht und sieht sich um - und sie erbleicht: Der Pfad, den sonst kaum Menschen schreiten, belebt sich wie zu Jahrmarktszeiten! Von links und rechts, von hier und dort läuft jetzt den Weg der halbe Ort ... und nähert sich mit großen Schritten. Frau E. - es muss sie keiner bitten! - hat untern Steg sich schon gekniet, dass niemand ihren Schlüpfer sieht! Hier harrt sie aus nun viele Stunden. (Es hat sie keiner dort gefunden, nur war’s von unten feucht und kühl.) Am Abend dann voll Schamgefühl seh’n wir im Dämmerlicht Mariechen von Busch zu Busch nach Hause kriechen. - Was wohl ihr Mann Frau E. gefragt und was als Antwort sie gesagt, ist unbekannt. Doch was wir wissen: Die Hose, die am Bein zerschlissen, ist jetzt ein Lumpen und das Rad wird bald zu Dosen, Blech und Draht geschmolzen im Alteisen-Handel. Die Frage bleibt, ob nach dem Wandel des Fahrrads Tücke fortbesteht? Gebt Obacht, wenn’s um Eisen geht! Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 26