Pfarrer sind auch nur Menschen Heut’ will euch mein Gedicht beweisen: Es menschelt auch in Pfarrerkreisen. (Als hättet ihr’s noch nicht gewusst!) Da ist der „Missmut“ und der „Frust“, die gar nicht evangeliumsmäßig! Auch „Trägheit“ gibt’s, denn schwergesäßig hockt mancher Pfarrer gern zu Haus, geht selten zu Besuchen aus und ist oft sonntags nur zu sehen. Auch fällt es schwer, zu widerstehen bei „Leutgeschwätz“ und „Ränkespiel“ (falls der Kollege ist das Ziel!) nicht selbst noch das „Gerücht“ zu schüren. Auch „Geiz“ ist manchem abzuspüren. Doch schlimmer noch ist wohl der „Neid“, am schlimmsten aber „Eitelkeit“! Hätt’ ich von allem hier geschrieben, wär’s nicht nur „wenig übertrieben“, vielmehr wir säßen Ostern noch. Der Platz auf diesem Blatt jedoch reicht nur für zwei der Eigenschaften, wie sie an Pfarrersleuten haften ... Ich wähle also ganz bewusst nicht Missmut, Trägheit oder Frust, vielmehr erzähl’ ich eine schlichte, doch harte Eitelkeits-Geschichte, in der gewiss auch Neid nicht fehlt: Die Namen sind nun so gewählt, dass alle handelnden Personen und auch die Orte, wo sie wohnen, im Dunkeln bleiben bis zuletzt. Den Anfang der Geschichte setzt der Glocken Klang am Sonntagmorgen. Zwei Pfarrer, B. und K., versorgen den Viermal-Tausend-Seelen-Ort mit Pfarrdienst und mit Gottes Wort. Doch wie es manchmal geht: die beiden Kollegen können sich nicht leiden, denn B., wenn's um die Predigt geht, hält viel von sich, dagegen steht der andre ihm für Langeweile. So gibt es auch Gemeindeteile, die auf Herrn B. als Redner schwör'n doch solche auch, die K. zu hör'n, zur Kirche lieber sich begeben. Heut' predigt B.! - Man sieht ihn eben wie er voll Schwung dem Benz entsteigt. Am Fuß der Kirchentreppe neigt voll Demut er jetzt Haupt und Rücken: Ein blindes Weiblein mit zwei Krücken braucht seine Hilfe, denn sie schafft die Stufen nicht aus eig’ner Kraft. Als B. jetzt seinen Namen nennt, erweist sich’s, dass sie ihn nicht kennt; sie will nur eins, um Gott zu loben die lange Treppe rauf nach oben. Und Pfarrer B. ist hoch erfreut! Das passt zu seiner Predigt heut’, die nämlich mahnt, den Alten, Schwachen ganz weit die Herzen aufzumachen und frei von falschem Stolz und Zieren und ohne langes Zeitverlieren ein guter Mensch und Christ zu sein. Schon hakt sich B. beim Weiblein ein und zieht sie kräftig hoch die Stufen, dorthin, von wo die Glocken rufen. Wobei sein Auge jetzt verstärkt erforscht, ob wer sein Tun bemerkt ... Und wirklich: Viele von den Seelen, die sonntags - predigt B. - nicht fehlen, erblicken, was ihr Pfarrer tut ... Der strahlt! Was tut ihm das so gut, dass alle seine Güte sehen! Nun setzt er noch beim Weitergehen die demutsvollste Miene auf und zerrt die blinde Frau hinauf, dass er sie oben durch die Türe zu einem Platz ganz vorne führe ... Da ruft die Alte plötzlich: „Halt!“ und widersetzt sich B.’s Gewalt. Sie müsse, bitte, noch was fragen: Könnt B., ihr wohl die Antwort sagen, wer heute hier die Predigt hält? Weil Pfarrer K. ihr nur gefällt! Der andre wäre ihr nicht recht, als Redner gut, als Mensch nicht echt, was sie als Blinde deutlich spürt. - Kaum drei Sekunden später führt Herr Pfarrer B. die blinde Alte nach unten wieder. Eine Falte verläuft ihm scharf von Ohr zu Ohr, auch steigt das Blut zum Kopf empor, denn rings herum die Menschen grinsen. - Ob B. versteht, dass dies die Zinsen des Neids sind, der Vermessenheit und nicht zuletzt: der Eitelkeit? Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 18