Die Fastenwette (Teil 2) Wie ging es weiter mit dem Fasten? War’n denn erträglich seine Lasten? Und wer errang im Pfundekrieg am Schluss den wohlverdienten Sieg? - Wir überspringen dreißig Tage und prüfen dann die Fastenlage, was uns zunächst, wie sich’s gebührt, zur Kegelschwester Kathrin führt ... Wie hat sie sich bis heut’ gehalten? Ihr Blick ist müd’, die Stirn schlägt Falten, die wir noch neulich nicht geseh’n! Auch fällt uns auf, sie schwankt beim Steh’n, als brandeten am Knie die Wellen. Und jetzt - sie kann sich nicht verstellen! - nässt auch ihr Auge und spontan bricht sich ein langer Seufzer Bahn. Wir rätseln nun, woher mag’s kommen? Hat sie das Fasten mitgenommen? Ist wohl der starke Pfundeschwund der schlechten Stimmung Hintergrund? Doch andrerseits, wenn wir so schauen ... Kathrine hier - dort andre Frauen, die schlank und leichtgewichtig sind ..., dann kann man - anders wär’ man blind - hier sicher kaum „Verlust“ bemerken. Im Gegenteil: Kathrines „Stärken“ so um den Oberbau und Bauch, am Hals und an den Waden auch, sind sichtbar nach wie vor vorhanden, und manches gar scheint neu entstanden, wenn’s unser Blick ganz ehrlich misst. Kommt daher, dass sie traurig ist? - Das beste wird es sein, wir fragen. Wer als sie selber kann uns sagen, wie sich bei ihr die Sache macht und ob es läuft, wie sie gedacht? So also fragen wir Kathrine ... und sie erzählt mit trüber Miene: Sie hätte anfangs jeden Tag, was auch am festen Willen lag, so etwa hundert Gramm verloren. Sie habe sich wie neu geboren und bestens motiviert gefühlt. Dann aber sei es abgekühlt und langsam der Elan geschwunden. Am Tage gab es schwere Stunden mit heißen Lüsten, dem Begehr nach süßen Sachen und Verzehr von Fleisch und Wurst - ganz übermäßig! Man würde, sagt sie, sehr gefräßig und oft sei dir’s vom Hunger schlecht. Mit einem Wort, das Fasten rächt sich übel an den Eingeweiden! Zwar war der Vorsatz, Fett zu meiden am Anfang wirklich ernst gemeint. Doch jetzt, nach dreißig Tagen, scheint es ihr, als ob die beiden Augen beim Seh’n schon Kalorien saugen des Haspels, das sie nicht verdrückt! Und dann, es wäre ganz verrückt, zeigt sich - sie schwört, sie ließ es liegen! - das Haspel später doch beim Wiegen! Was habe sie das Fasten satt! Sie fühle elend sich und matt, entsage dem Verführerischen und wiege trotzdem mehr inzwischen als zu Beginn der Fastenzeit. - Soviel zu Kathrin. Doch wie weit ist bei Karl-Ernst die Kur gediehen? Sieht man ihm an, dass Pfunde fliehen und manche Rundung abgespeckt? Wir fragen jetzt auch ihn direkt: Wie geht es deinen Fastenplänen? Er scheint vergnügt. Nichts ist mit Tränen, obgleich bisher ganz offenbar, sein Fasten nicht erfolgreich war, vielmehr: sein Bauch scheint durch den laxen Gebrauch des Willens noch gewachsen, das heißt: Der Wanst hat sich vermehrt! Und auch sein Hinterteil beschwert ein guter Zuwachs fauler Fette. Gedenkt er noch der Fastenwette und meint er, dass er siegen kann? Er schweigt und sieht uns lächelnd an. - Beim Wirt „Zum Schwan“ zu früher Stunde trifft wieder sich die Kegelrunde. Ist Ostern und man ist bereit fürs Wiegen heut’ im Fastenstreit. Ein letztes Wort des Präsidenten, die Frage an die Kontrahenten: „Wie fühlt ihr euch? Wie war die Nacht?“ Dann wird die Waage hergebracht (geeignet auch noch Gramm zu wiegen!). Schon ist Kathrine aufgestiegen ... der Zeiger zuckt, er dreht sich und ... zeigt Hunderteinundsechzig Pfund, an Gramm sind’s wieder Sechsunddreißig. Der Kegelpräsident wird fleißig, notiert ein Pfund, des Eifers voll im Abschluss-Wiegeprotokoll. Nun gilt es noch Karl-Ernst, zu messen. Der lächelt wieder unterdessen, hat schon die Schuhe abgelegt und scheint heut’ gar nicht aufgeregt. Zwar wuchs das Polster an der Seite, auch ging er weiter in die Breite und sieht ob seines Körperbaus jetzt wie ein Sumo-Ringer aus, und dennoch, es ist schwer zu fassen, gibt sich Karl-Ernst doch sehr gelassen. Dann steigt er auf, die Waage stöhnt, weil das bekannte Quietschen tönt, doch dann will’s heute nicht mehr passen, Karl-Ernstens Massen zu erfassen. Der Zeiger dreht ein volles Rund und stoppt abrupt: Dreihundert Pfund!, das Mehr zu wiegen, ist die Waage die man gebraucht, nicht in der Lage (- womit Karl-Ernst gerechnet hat!). Dreihundert also heut’ anstatt zwei, neunundneunzig Pfund, vierhundert! Ein Maß, das gilt, auch wenn’s verwundert. Kathrine also unterlag: Genau ein Pfund war ihr Betrag Karl-Ernst, der Schlingel, hat dagegen bei nur einhundert Gramm gelegen und wird zum Sieger drum gekürt. - Ein Fakt, der mich zum Fazit führt: Das Beispiel lässt sich übertragen: Es ist wohl oft in diesen Tagen der Mensch, der eigentlich gesiegt am Ende der, der unterliegt. Die Fastenwette wird zum Zeichen: Sich stets mit andern zu vergleichen, ist etwas, das nur Frust erreicht. Nur wer sich mit sich selbst vergleicht erfährt von sich und seinen Grenzen. Was bringt es, vor der Welt zu glänzen, in der - oft mit Betrug und List! - ein andrer immer besser ist? Manfred Günther Nur wenig übertrieben! - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 100