Sperrmüll und zurück Bericht von einer Beinah-Entsorgung Ein Mann hat vor beim Sperrmüll morgen, sich von den Sachen zu entsorgen, die lang schon oben unterm Dach (seit vielen Jahren - dutzendfach!) den Blick und auch den Weg verstellen. Er wünscht sich einen schönen, hellen von Kram befreiten Speicherraum. Er plant darin, das wär’ sein Traum, ein Dichterstübchen einzurichten. Sein Hobby nämlich ist das Dichten. - Die Frau verreiste. Das ist gut, so sieht sie nicht, was er nun tut! Schon immer hing sie sehr am Alten und will das Zeug gewiss behalten! - Jetzt trägt er, eh’ der Abend fällt, dass er ihn an die Straße stellt, den Kram die steile Treppe runter. Zunächst geht’s schnell und ziemlich munter, doch nach dem achten, neunten Gang, erscheint die Treppe doppelt lang und erst nach einundzwanzig Gängen, beginnt sich seine Brust zu engen, doch schafft er schließlich schweißdurchnässt bis kurz vor Mitternacht den Rest: Sein Herz geht Trab, er ist am Schnaufen, doch liegt ein großer Sperrmüllhaufen jetzt an der Straße vor dem Haus. - Am Morgen dann tritt er hinaus, noch einmal nach dem Müll zu schauen ..., doch will er kaum den Augen trauen: Der Platz ist leer, an dem er lag! Da haben vor dem Sperrmülltag die Flohmarktleute zugeschlagen! - Nun trifft es sich, dass schon nach Tagen im Nachbarort ein Flohmarkt ist! Der Mann (noch währt die Urlaubsfrist der Frau!) hat dort sich vorgenommen, ein kleines Tischchen zu bekommen, damit er’s in sein „Stübchen“ räumt. Doch was ist das? Er meint er träumt! Er sieht an vielen Flohmarktständen das Zeug, das er mit eig’nen Händen zum Sperrmüll gab, benetzt von Schweiß! Und jetzt entdeckt er auch den Preis, den auf dem Markt sein Sperrmüll kostet: Die alte Sichel, stark verrostet, ist schlappe dreißig Euro wert! Das Reff*, vom Holzwurm arg versehrt, ist hier mit fünfzig ausgeschrieben! Das morsche Sieb zum Weizen sieben ist gar mit siebzig ausgepreist! - Der Mann begreift jetzt, was es heißt, was Altes einfach herzugeben und ahnt, er wird etwas erleben, kehrt morgen seine Frau zurück! - So also kauft er Stück um Stück (es ist ihm wirklich nicht zum Lachen!) für teures Geld die alten Sachen und stapelt sie zum Haufen auf. Ein Händler hilft und fährt darauf dem Mann in seinem Lieferwagen die Sachen heim. (Er muss nicht fragen, er weiß es noch, wo dieser wohnt!) - Der Marktbesuch hat sich gelohnt: Vorm Haus des Mannes liegt ein Haufen! Ihn selber seh’n wir wieder laufen, die Schultern sehr vom Kram beschwert, nur diesmal geht es umgekehrt: Die steile Treppe rauf und runter. Zunächst noch schnell und ziemlich munter, doch nach dem achten, neunten Gang, erscheint die Treppe doppelt lang und erst nach einundzwanzig Gängen, beginnt sich seine Brust zu engen, doch schafft er schließlich schweißdurchnässt, bis kurz vor Mitternacht den Rest: Sein Herz geht Trab, er ist am Schnaufen, doch liegt der große Sperrmüllhaufen jetzt wieder, wo er hingehört! - Und seltsam, was ihn früh’r gestört, kann unser Mann nun richtig schätzen: Er weiß jetzt, dass nach Marktgesetzen das „Alte“ nie nur „alter Mist“, vielmehr begehrt und wertvoll ist! Auch weiß er, dass uns alte Sachen beim Kauf schon sehr viel Freude machen, die Fitness steigern wie der Sport beim Treppensteigen und Transport. - Eins allerdings fehlt jetzt noch immer: Das Stübchen für sein Dichterzimmer! Doch geb’ dem Mann ich hier den Rat: Wer dichten kann, kann’s auch im Bad, in Buchen- oder Tannenwäldern, wenn’s sein muss, auf Kartoffelfeldern, beim Arzt, im Kino, auf dem Flug, im Sonnenstudio und im Zug. Ganz wichtig ist: Man braucht auch Leute, die uns erzählen (so wie heute), was sie erlebt und ob das nicht ein Einfall wär’ für ein Gedicht? Dann - um auch dieses noch zu nennen -, man muss des Dichtens Regeln kennen! Ist alles dies bei dir der Fall, reimt sich’s auch gut im Hühnerstall! Manfred Günther * Reff = Rückentrage, auch fächerförmiger Anbau an der Sense für die Getreideernte (Der Dichter verlässt den Hühnerstall und macht sechs Wochen Pause vom Dichten!) Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 96