Vor der Operation Wenn schon, denn schon! Die etwas seltsame Geschichte, die ich in Vers und Reim berichte, verlangt zunächst, dass ihr euch jetzt mal in ein Krankenhaus versetzt: Ein düst’rer Raum mit dunklen Wänden, in dem, Braunülen* an den Händen, OP-Patienten abgestellt. Sie warten, bis der „Vorhang fällt“ und die Betäubung jede Regung, die Angst und jegliche Bewegung für die OP zum Stillstand bringt, damit der Eingriff auch gelingt. In diesem „Vorbereitungszimmer“ ist’s meistens still, jedoch nicht immer. Dort jedenfalls spielt mein Gedicht, ein nicht erfundener Bericht von Fritz** (sein Nabel war gebrochen), dem Doktor Schwenk** vor gut drei Wochen des Bauches Mitte heil gemacht. - Es ist noch früh, erst kurz vor acht, da wird - aus Zimmer siebzehn oben - der Fritz zur Schleuse eingeschoben, noch nüchtern und nur leicht sediert***. Fritz wird auf seinem Bett fixiert, schon spürt er auf der Hand die Kühle der spitzen Spitze der Braunüle, da richtet er im Bett sich auf und hemmt den weiteren Verlauf mit einem Schrei, was ungewöhnlich. Dann ruft er laut: „Ich will persönlich den Herrn Chirurgen jetzt sofort mal dringend sprechen ... auf ein Wort!“ Des Pflegers Hand entfernt sich wieder, dann legt er die Braunüle nieder - die Vorbereitung ist gestört! Hat Doktor Schwenk den Fritz gehört? Jawohl! Verdattert tritt er eben (so etwas hat’s noch nie gegeben!) an Fritzens Bett, bleibt steh’n und fragt: „Was hätten Sie mir gern gesagt?“ Und schon - nach kürzerem Besinnen - hört man den Fritz den Satz beginnen: „Ich bin zwar kein Privatpatient ...“ „Das ist bei uns kein Argument“, entgegnet Schwenk, „gleich welche Kassen, bei uns gibt’s weder Rang noch Klassen!“ „Da bin ich“, meint nun Fritz, „erfreut! Mein Vorschlag nämlich ist es heut’, die Bauch-OP leicht auszuweiten: Nebst Nabel gibt es einen zweiten - gewiss geringen - Anlass nur für eine kleine Korrektur: Mir wäre sehr daran gelegen und auch kosmetisch wär’s ein Segen, sie würden auch noch zicke-zack von meinem rechten Tränensack die kleine braune Warze schneiden. Und an den Tränensäcken beiden ist dann wohl noch Gelegenheit - für Sie nur eine Kleinigkeit! -, mit dem Skalpell die Haut zu straffen. Am Hals gibt’s auch noch einen schlaffen Bereich, der dort nicht hingehört und mich - rein optisch - ziemlich stört! Da wollte ich Sie heute bitten, nach zwei bis drei nur kleinen Schnitten, die Haut am Hals zurechtzuzieh’n. Ist’s dann am Bauch soweit gedieh’n den neuen Nabel auszuformen, wär’ meine Bitte, im abnormen, weil viel zu dicken Unterbauch, der Nabelheilung dient es auch!, sechs Kilo Fett noch abzusaugen!“ Der Doktor schaut mit großen Augen und fragt ganz leise: „War’s das dann?“ Doch schon fängt Fritz von Neuem an: „Herr Doktor, wenn Sie mich schon fragen, dann will ich auch noch dieses sagen: Es wäre mir noch eines recht und rein logistisch auch nicht schlecht, wenn, während man mich „oben“ richtet, ein andrer meine Füße sichtet: Die Nägel sind recht lang und scharf, sie einzukürzen herrscht Bedarf. Auch kommt“, Fritz lacht, „OP und Pflege sich räumlich schwerlich ins Gehege, wenn einer unten Nägel stutzt, ein andrer aber oben putzt. Das alles scheint zwar etwas komisch, doch ist es sicher ökonomisch, ganz anders als beim Straßenbau: Da weißt du, legt man Strom, genau, man wird ganz ohne Zeitverlieren die Straße wieder asphaltieren ... Kaum fertig, rückt der Bautrupp an, der uns das Wasser legen kann. Ist’s wieder zu, kommt Fernsehkabel ... Ich dachte mir, bei meinem Nabel soll’s wirtschaftlich und praktisch sein: Man schläft betäubt nur einmal ein und wird man wach ist unten, oben in einem Aufwasch das behoben, wo’s überall am Körper fehlt.“ Jetzt schaut der Doktor wie entseelt, sowas hat er noch nie vernommen. - Wir sind am Ende angekommen, hier ist nur noch ein guter Rat (vielleicht ja wird er bald zur Tat, liegt ihr erst selbst in jenem Zimmer!?): Denkt dann (und etwas gibt es immer!), was wäre außer Galle, Darm, dem Unterbauch, dem Oberarm an euch denn alles noch zu richten? Und sagt es auch! Warum verzichten, wenn’s doch auch leicht auf einmal geht? Und glaubt mir: Jede Kasse steht mit Sicherheit auf eurer Seite! - So, jetzt ist Schluss, denn ich bereite für morgen früh mich selber vor: Ein kleiner schwarzer Fleck am Ohr ist Anlass - eine kleine Sache! Doch wenn schon, denn schon, also mache ich heute Leibesinspektion: Zwölf Punkte hat die Liste schon! Manfred Günther * Braunüle = Venenverweilkanüle mit Injektionsventil ** Alle Namen sind frei erfunden *** sediert = ruhiggestellt Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 85