Der Eierbeißer* Eine dental-kriminalistische Tätersuche Frau Rosi Dahl aus Oberstaufen** ging neulich Ostersachen kaufen, was man so braucht, den Festtagstisch zum Osterfest schön künstlerisch und hübsch fürs Auge zu gestalten. In ihrem Einkauf war enthalten: Zwei Rollen Decken aus Papier, dann Osternester Stücker vier (sechs sind noch da aus früh’ren Jahren!), Servietten, andre Deko-Waren, naturgefärbt aus Hanf und Flachs und Eierkerzen ... bunt - aus Wachs. Wobei für Rosi Kerzeneier sehr wichtig sind zur Osterfeier: Eins schenkt sie jedem Ostergast (drum sind’s auch zehn, so dass es passt!), in einem Nest voll Süßigkeiten. Sie sollen Freude dann bereiten, wenn alles andre aus der Hand den Weg in Mund und Magen fand und sollen lang noch beim Entzünden die Osterbotschaft neu verkünden, die uns von Auferstehung spricht und neuem Leben einst im Licht ... Doch hat es jetzt noch keine Eile: Bis Ostern ist’s noch eine Weile, drum legt fürs erste Rosi Dahl, die Ostersachen ins Regal - dorthin, wo keiner sie vermutet. - Karsamstag kommt und Rosi sputet und eilt sich, dass sie für das Fest die Stube schmückt und Nest um Nest die Gaben für die Gäste richtet. Doch als sie jetzt die Eier sichtet, die sie bewahrt für diesen Tag, trifft unsre Rosi fast der Schlag: Ein Biss an einem Ei, ein tiefer, zeigt Ober- und den Unterkiefer - und das bei einem Kerzenei! Das Wachs, das fehlt, liegt nicht dabei, der Täter hat’s von Gier gedrungen an Ort und Stelle wohl verschlungen? (Doch ob es ihm gemundet hat? Wachs macht doch Bauchweh und nicht satt!) Was aber soll nun Rosi machen? Ihr ist zum Weinen, nicht zum Lachen! Ihr fehlt an einem Ei ein Stück, doch auch ihr kleines Osterglück ist durch den Vorfall „angebissen“! Jetzt aber will es Rosi wissen, denn eines ist ja ganz gewiss: Ein Hausgenosse tat den Biss und diesen Beißer wird sie fassen! Und grade eben will es passen, denn alle Lieben sind im Haus: Ihr Mann, die Buben Tim und Klaus, der Opa Heinz und Oma Lise ... (Der Hund spielt draußen auf der Wiese, doch trifft das Tier hier kein Verdacht, den Frevel hat ein Mensch gemacht!) Die Rosi ruft. Minuten später sind alle (inklusive Täter!) beisammen zum Familienrat. Sie schildert kurz die „schnöde Tat“, und bittet, „sich der Schuld zu stellen“, den „schlimmen Frevel“ zu erhellen, dann sei die „Sache wieder gut“. Doch fehlt dem Täter wohl der Mut, denn in der nächsten Viertelstunde gibt’s keine Meldung in der Runde, von Mann bis Opa - alles schweigt. Doch Rosi ist nun nicht geneigt, die Tat dem Täter nachzusehen! Man sieht zum Telefon sie gehen, dort hebt sie ab, sie wählt und spricht ... jedoch mit wem, das sagt sie nicht! - Der Ostersonntag ist gekommen: Familie Dahl hat Platz genommen und die seit Jahren Gäste sind: Die Nichte Irma und ihr Kind, nebst noch drei weit’ren Anverwandten, ein Onkel und zwei alte Tanten. Der Festtagstisch ist schön geschmückt, das Festmenü ist auch geglückt: ein richtig feines Osteressen! Der Eierbiss scheint fast vergessen, da steht die Rosi langsam auf, hebt wie zum Gruß die Hand darauf und bittet alle kurz um Stille. Dann rückt sie sich zurecht die Brille und zieht ein Zettelchen hervor: „Ihr Lieben, schenkt mir euer Ohr, es ist im Haus was vorgefallen! Ich wollte heut’ - wie jährlich - allen, die hier zum Fest versammelt sind, zur Osterzeit, die jetzt beginnt, als Zeichen für das neue Leben was Süßes und ein Wachsei geben. Doch leider fehlt mir heut’ ein Ei! Es ging nicht etwa bloß entzwei, vielmehr: es wurde angebissen! Seitdem’s geschehen, will ich wissen, wer diese Freveltat beging? Wer biss das Ei, an dem ich hing und ist zu feig’, es zu bekennen? Gleich kommt, den Täter zu benennen, mein alter Schulfreund, ein Dentist! Das Ei, das angebissen ist, zeigt ziemlich deutliche Konturen und tiefe Zahn- und Kieferspuren! Dem Fachmann ist’s darum nicht schwer, zeigt jeder ihm die Zähne her, nach Riefen, Abrieb, andren Zeichen das Ei den Zähnen zu vergleichen und wenig später ist es klar, wer wohl der Eierbeißer war!“ Die Rosi schweigt, doch kommt Bewegung in die Versammlung. Die Erregung bei Opa Heinz scheint riesengroß! Er zittert ja! Was hat er bloß? Und jetzt - man muss doch wirklich bitten! - nimmt er aus seinem Mund die Dritten und steckt sie innen ins Jackett. Der Mund, der nicht mehr ganz komplett, wirkt schmal und wie vom Wind gekräuselt. Jetzt hört man Rosi, wie sie säuselt: „Mein lieber Vater, hast du was? Du zitterst ja, die Stirn ist nass, gibt’s denn vielleicht etwas zu sagen, bevor wir den Dentisten fragen?“ Nun ist’s um Opa ganz gescheh’n: „Ich bin bereit und will gesteh’n: Ich war’s, ich hab’ das Ei gebissen! Woher denn sollte ich auch wissen, dass dieses Ei ein Wachsei war? Das wurde erst beim Schlucken klar und später nach der Schrecksekunde. Ich hatte manche schwere Stunde, denn Wachs ist wirklich kein Genuss!“ - Soweit für heut’, wir sind am Schluss, nur eines noch ist hier zu raten - es gilt für alle Freveltaten: Ob ihr nun Kerzeneier beißt, versehentlich ein Glas zerschmeißt, euch schlecht benehmt und was auch immer ... Es zu verschweigen macht’s nur schlimmer, weil’s halt zu spät für Reue ist, steht vor der Tür schon der Dentist! Manfred Günther * Die Geschichte ist frei nach dem Bericht einer Leserin gestaltet ** Eigen- und Ortsnamen sind verändert Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 84