Der Aschermittwochsgottesdienst oder: So gibt’s eine gute Kollekte! Da hat sich grad in diesen Tagen nicht weit von hier was zugetragen, das gibt mir Stoff für ein Gedicht. So hört gereimt jetzt den Bericht von einem Gottesdienst in Staden*: Dort war’n die Christen eingeladen, um zum Beginn der Fastenzeit in demutsvoller Frömmigkeit sich abzuwenden von den Lüsten und für die Besserung zu rüsten. - Die Kirche dort in Staden war wie stets, so auch in diesem Jahr, sehr gut gefüllt in allen Bänken. Doch sollten wir nun schlecht nicht denken! Die Menschen dort sind sicherlich nicht sündiger als du und ich! Der Grund vielmehr für volle Bänke ist Stadens alter Pfarrer Henke*! Er nämlich ist ringsum im Land für seine Listigkeit bekannt und für die Art, den Jungen, Alten den Seelenspiegel vorzuhalten, damit ein jeder drin erkennt, ob er zurecht sich „christlich“ nennt, denn das ist sicher sehr die Frage, sind sie vorbei: die Tollen Tage. - Doch lasst, ihr lieben Leser, nun uns einen Augenblick so tun, als zählten wir zu Henkes Schafen (ganz selbstverständlich zu den braven!) und träten - um dabei zu sein - in Stadens schöne Kirche ein und wären wie die andern Leute, gespannt: Was macht wohl Henke heute? Hat wieder wie zweitausendzwei er einen Ziegenbock dabei, um ihm, der Christenschar zum Segen, die Sünden aller aufzulegen?** Vielleicht auch bringt wie schon null vier, als Sinnbild menschlicher Begier er Nattern mit und andre Schlangen? Verdammt er sündiges Verlangen und manchen Herzens tiefen Fall mit seines Wortes Donnerhall? - Er kommt! Das Rätseln hat ein Ende! Er bringt nichts mit, hat leere Hände, schaut nur zur Orgelbank hinauf. Der Gottesdienst nimmt seinen Lauf ganz wie an andern Feiertagen. Weiß Henke heute nichts zu sagen? Fehlt ihm die zündende Idee? Verspielt er gar sein Renomee? Ach nein, man sieht ihn grade eben dem Organist ein Zeichen geben. Sekunden später schon erhebt sich Orgelbrausen, dass es bebt und jeder ahnt es in der Runde: Jetzt schlägt sie: Pfarrer Henkes Stunde! Die Orgel stimmt ein Vorspiel an, man kennt’s: „Du großer Schmerzensmann“ ***, dann aber schweigen alle Pfeifen, denn Henke will das Wort ergreifen: „Ihr Christen all von nah und fern, die erste Strophe hätt’ ich gern mit allen hier im Raum gesungen! Doch ist ihr letzter Ton verklungen, dann singen Strophe zwei nur die, von denen unter Garantie an Fastnacht keiner sich betrunken!“ Schon kriegt der Organist gewunken, und alles singt die Strophe eins. Doch dann, ist’s Wahrung frommen Scheins?, wird’s bei der zweiten Strophe lauter! Klingt sie der Menge schon vertrauter, trifft wohl ihr Text ganz tief ins Herz? Herrn Henkes Zeichen orgelwärts lässt neuerlich die Pfeifen schweigen. „Die dritte Strophe soll nun zeigen, wer in der Zeit des Karneval, nichts dachte, was ihm Seelenqual verursacht und als böse Lüste ihn hier und heute reuen müsste!“ Die Strophe drei, man glaubt es kaum, füllt wie ein Sturm den Kirchenraum. Die Menge singt aus voller Kehle! (Man fürchtet schon, dass auch die Seele aus mancher vollen Brust entweicht!) Dann ist der letzte Ton erreicht und Henke zeigt, er möchte reden: „Die vierte Strophe fragt nun jeden, ob Lebensmitte, alt ob jung: Gab’s etwa einen Seitensprung, mit dem ihr in den Faschingswochen den ehelichen Schwur gebrochen um Spaßes willen und Pläsier? Dann singt nicht mit bei Strophe vier!“ Jetzt hört man wieder Orgelklänge ..., doch kaum begonnen hat die Menge der Christen klar die Oberhand, man singt sich schier um den Verstand mit starkem Brust- und Stimmbanddehnen: Die Frauen schrillen wie Sirenen, die Männer brüllen wie ein Bär, die Kinder denken familiär und schreien ohne Takt zu halten aus Leibeskräften mit den Alten, obgleich ja keines wohl versteht, worum es hier gerade geht ... Schon wanken alle Kirchenwände! Da endlich ist das Lied am Ende, die Orgel schweigt, dann schweigt der Chor. Noch einmal tritt der Pfarrer vor: „Ich wusste, ihr seid gute Christen! Euch können Faschings Lust und Listen nichts tun und nicht gefährlich sein. Lockt euch der Satan, sagt ihr nein, das Herz ist rein wie die Gedanken! --- Kam einer etwa doch ins Wanken, auch wenn sein Mund heut’ schallend sang, spürt also einer starken Drang, sein Innenleben zu entlasten, der leg’ am Ausgang in den Kasten, was immer ihm die Sünden wert! Dann geh’ er heimwärts unbeschwert!“ - Soweit der Gottesdienst in Staden. Es kann wohl auch bei uns nichts schaden, wenn Pfarrer oder Pfarrerin (wie Henke hier mit Hintersinn) die Gottesdienstkollekte steigern! Kein Christenmensch wird sich verweigern, denn reichlich geben macht ja froh! (In Staden ... und auch anderswo!) Manfred Günther * Namen sind verändert ** 3. Mos. 16, 21ff *** EG Nr. 87 Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 78