Zum 75. Jubiläum Wie jeder gute Gedichte schreiben kann! Ich staune selbst und bin verwundert: Im Buch liegt vor das erste Hundert* - und wieder jetzt, man glaubt es nicht, das fünfundsiebzigste Gedicht von „Längs und quer“, der nächsten Reihe. Und ist die fertig sind’s schon zweie und - so Gott will! - bleib’ ich dabei und irgendwann sind’s schließlich drei! - „Wie geht denn das?“, so hör’ ich fragen. Heut’ will ich euch die Antwort sagen. Lest hier, wie stets im Vers gereimt, wie’s kommt, dass so ein Einfall keimt und wie Gedanken zu Geschichten mit vielen Strophen sich verdichten. Es gibt, ihr habt’s euch schon gedacht, da ein Rezept, wie man es macht, dass erst im Innern die Ideen und schriftlich Zeilen dann entstehen. Man lernt es schnell, drum seid nicht bang und geht acht Punkten hier entlang, die alle Menschen, wirklich jeden, auch jene, die nur wenig reden, ja selbst, wer schlecht nur schreiben kann, sei’s eine Dame, sei’s ein Mann ganz rasch zu guten Dichtern machen. Es ist sehr leicht, ihr werdet lachen! - Als erstes schlägt man sich den Kopf mit einem Löffel: „klopf, klopf, klopf“, rund sieben Mal, das müsste reichen. Damit Gedanken nicht entweichen, schließt man dabei recht fest den Mund. Das zweite ist nun wohl der Grund, warum die Dichter gar nicht selten als Käuze und verschroben gelten: Man nimmt ein Fichtennadelbad, vier Stunden lang, bei vierzig Grad! (Nur neununddreißig wird nichts bringen!) Das dritte zählt jetzt zu den Dingen, die Abstinenzlern heikel sind: Drei Korn (passt auf, es geht geschwind!) verleihen Pegasus** die Flügel! Das vierte legt ihm dann die Zügel des Geistes an: Der Dichter ruht rund eine Stunde - das tut gut! - und nutzt den Schlaf, sich zu besinnen. Das fünfte, ehe wir beginnen, ist das, was immer neu belebt: Ein Tässchen Bohnenkaffee hebt den Blutdruck und die Augenlider und fördert unser Wachsein wieder, auch flüstert’s uns ins inn’re Ohr: „Sag’, hattest du nicht etwas vor!“ Das reicht, uns wieder auszurichten! Punkt sechs führt uns zurück zum Dichten und zum Spaziergang in den Wald. Dort küsst die Muse dergestalt, dass sie uns Freude schenkt und Willen. Und unversehens reift im Stillen des Raumes hinter unsrer Stirn (dort sitzen Seele und das Hirn!) der künft’gen Verse erste Zeile. Der siebte Punkt braucht etwas Weile: Man wartet, eh’ man weiterschreibt, ob’s bei der ersten Zeile bleibt, denn schreibt man jetzt zu rasch die zweite, wird ein Gedicht sehr oft zur Pleite; wir lassen lieber uns noch Zeit! Inzwischen ist es auch soweit, der Tag ist um. Doch ohne Sorgen vertagen wir uns jetzt auf Morgen, wenn nach erholsam-guter Nacht Punkt acht beginnt (ganz früh, Punkt acht!), so wie Punkt eins mit Löffelklopfen! Falls nicht verloren Malz und Hopfen, läuft dann der Pegasus Galopp und Reime purzeln hoppla-hopp! - Gewähr wird hier nicht übernommen! Doch hab’ ich selbst jetzt das bekommen, was bei der AAZ der Mann an diesem Freitag drucken kann! Manfred Günther * Pegasus = das geflügelte Pferd, auf dem der Dichter beim Dichten reitet ** „Nur wenig übertrieben“ - erhältlich beim Autor und einigen Buchhandlungen! Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 75