Der Karpfen (2. Teil) Das Neujahrs-Essen - demnächst ohne Verwandtschaft (Fortsetzung vom 18.12.09. So endete der 1. Teil: Schon zieht er, dass er sie erlöse, den Kopf von Molly aus der Flut ... dann schwingt er, wie’s der Angler tut, die Keule deckenwärts nach oben ... und eben ist sie ganz gehoben ... da drückt wer an der Türe Knauf und jemand reißt sie heftig auf ...) Die Kinder sind es, alle dreie! Laut tönen „Mörder! Mörder!“-Schreie. Die Große trägt ein Abschleppseil, Klein-Susi ein Indianerbeil (zum Glück von Fasching nur - zum Spielen!), der Mittlere ist schon am Zielen mit einem Teil, das Wasser spritzt ... da naht - strategisch sehr gewitzt! - in zweiter Phalanx* nach den Kindern Frau Meier, ihren Mann zu hindern, dass er dem Karpfen Böses tut. Und wirklich: Dem entgeht der Mut, er lässt den Fisch, die Keule sinken und Mollys Silberschuppen blinken nun aus der Wanne ... unversehrt. Im Bad der Meiers aber kehrt jetzt wieder Ruhe ein und Frieden. Die Meier-Mehrheit hat entschieden: Die Quote lautet „eins zu vier“, Gewinner ist das Schuppentier! Es wird den Tag wohl überleben ... Jedoch, was wird’s zum Essen geben, zu dem doch die Verwandtschaft heut’ in Menge zu erscheinen dräut? - - - Inzwischen ist es Neujahrsmorgen, neun Uhr, Herr Meier macht sich Sorgen, was man den Gästen denn serviert? Er fühlt sich jetzt schon arg blamiert, denn immerhin, die Neujahrsfeste mit Karpfenschmaus für ihre Gäste, sind Tradition und sehr beliebt! Was wird, wenn’s heut’ nur Möhren gibt und Sellerie mit Knoblauchzehe? - Schon sagt Frau Meier jetzt: „Ich gehe nun an das Essen, es ist Zeit! Um Zwölf, du weisst es, ist’s soweit, da kommen unsre Onkel, Tanten und alle andern Anverwandten! Dass du ‘nen Braten kriegst, sieh zu! Doch unsre Molly lass’ in Ruh’!“ Spricht’s und verschwindet in der Küche und bald schon dringen die Gerüche von Lauch und Zwiebel in den Flur. - Herr Meier denkt, wie mach’ ich’s nur, an diesem fortgeschritt’nen Morgen noch einen Braten zu besorgen und schließlich muss auf unsern Tisch nicht irgendetwas, sondern Fisch! Geht er, um Karpfen aufzutischen, nochmal zum Teich, um dort zu fischen? Am hellen Tag ist das nicht leicht, was ist, wenn ihm die Frist nicht reicht? Und was nur soll er andres machen, um sich nicht bleibend zu verkrachen mit sämtlicher Verwandten Schar? - Da plötzlich wird es Meier klar, was jetzt zu tun ist und zwar eilig! Zwar ist der Feiertag ihm heilig, doch heut’, wo die Mischpoke droht, ist Not der Stunde Hauptgebot. Er fährt zum nahen REWE-Laden, nur mal zu fragen, kann nichts schaden ... Und ja, Herr Meier schreit „hurra“! der alte Kaufmann ist auch da, und führt in sonntäglicher Ruhe, Herrn Meier hin zur Tiefkühltruhe und spricht dabei mit sich allein: „So so, ein Karpfen soll es sein?“ - Wir überspringen nun drei Stunden. Man hat sich pünktlich eingefunden. Man hat geküsst sich und umarmt und ist auch familiär erwarmt, dann aber ist die Zeit gekommen und alle haben Platz genommen. Schon bringt Frau Meier auch den Lauch, den Sellerie nach altem Brauch ... Dann dauert’s noch ein paar Minuten. Schon lästert wer: „Ihr müsst euch sputen, wenn jetzt der Fisch im Teich noch schwimmt!“ Herr Meier, der das sportlich nimmt, erhebt sich jetzt, beginnt zu reden: „Ihr wisst, wir freu’n uns über jeden, der heut’ zu Gast in unserm Haus. Der Karpfenschmaus jedoch fällt aus, das Tier schwimmt noch in unsrer Wanne. Doch mach’ ich euch mit einem Manne christlicher Seefahrt jetzt bekannt. Ich denke mir, ihr seid gespannt, wer das wohl ist, ich will’s euch sagen, und bitte, ihn jetzt aufzutragen!“ In diesem Augenblick genau geht auf die Tür, Herrn Meiers Frau trägt schwer an einer Riesenmenge Fischstäbchen, alle gleicher Länge, die Fänge „Käpt’n Iglos“ sind. Sie stellt sie auf den Tisch geschwind und setzt sich hin dann zu den andern. Der Gäste Blicke sieht man wandern, von ihr zu ihm und ihm zu ihr ... „Für jeden gibt es Stücker vier“, so tönt die Stimme von Herrn Meier ...“ - Das Resultat der Neujahrs-Feier, es stand schon in der Überschrift. Was nun das Schuppentier betrifft, es blieb bis März in Meiers Wanne, begossen täglich von der Kanne, gefüttert mit Sardellenbrei und mit manch andrer Leckerei, gestreichelt und gekost nicht minder, verhätschelt wie die kleinen Kinder ... bis endlich Mollys Stunde schlug und man zurück zum Teich sie trug, aus dem Herr Meier sie entnommen. - Längst ist man überein gekommen: Wird’s wieder kalt in der Natur, gibt’s neuerlich die Badekur in Meiers Haus, so ab Dezember, nunja, vielleicht schon im November ... Gern nimmt man Molly wieder auf! Nicht nur Klein-Susi freut sich drauf! Manfred Günther * Phalanx = Schlachtreihe Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 72