Der Karpfen (1. Teil) Vorbereitungen für ein Neujahrs-Essen Am Ersten Christtag tritt Herr Meier* im Abendlicht an einen Weiher vom AV-„Hecht“* aus Grebenhain*, denn er ist Mitglied im Verein. Er plant, bevor die Sterne gleißen, dem Teich den Karpfen zu entreißen, von dem schon lang Gerüchte geh’n, den wenige bis heut’ geseh’n, der groß sein soll wie ein Karnickel und schlauer noch als Willi Zwickel*, vom AV-„Hecht“ der Präsident! Der Karpfen, den man „Molly“ nennt, ist weiblich, alt und schwer zu fangen! Schon viele sind zum Teich gegangen, von Anglerleidenschaft beseelt; doch jeder hat sein Ziel verfehlt, denn Molly ging nicht an den Haken. Statt Fische fingen sie nur Schnaken und statt ein bisschen Anglerglück, gab’s nur vom Pech ein großes Stück und Molly wurde zur Legende. - Dass die Legende heute ende, hat Meier vor in dieser Nacht. So wird die Angel klar gemacht, bestückt mit etwas Schweineschinken. Der erste Stern beginnt zu blinken und sieht im Teich sein Spiegelbild. Die Luft ist still und viel zu mild (man meint, es wäre erst September!) für einen Abend im Dezember. Da gründelt etwas tief im Teich! Ein Riesenfisch steigt schattengleich hinauf als silberblauer Schimmer. Es gurgelt, schwappt, dann zuckt der Schwimmer, die Angelschnur ist straff gespannt und Meier zieht den Fisch an Land ... der Teich hat Molly hergegeben! Noch, freilich, ist das Tier am Leben, wiegt gut und gerne zwanzig Pfund und Meier sieht noch keinen Grund den stolzen Fisch schon zu erschlagen. Er braucht ihn erst in ein paar Tagen, wenn an Neujahr, wie’s immer war, Verwandte dann in großer Schar zu Meiers Karpfenessen kommen! - Vorerst wird Molly mitgenommen, ein Wassereimer nimmt sie auf. Danach zu Haus nach kurzem Lauf kommt Molly in die Badewanne. Schon wird mit Wasser aus der Kanne die Wanne Mollys aufgefüllt, bis sich der Karpfen nass umhüllt beginnt ganz sichtlich wohlzufühlen. Denn hier - ganz anders als im kühlen und trüben Teich des AV-„Hecht“ - ist’s frühlingswarm, das ist ihm recht und grad im Winter gut zu haben. Zwar ist es eng, doch Futtergaben der Gastfamilie machen’s wett: Klein-Susi ist besonders nett und bringt ihm Reis und Mais aus Dosen. Schon bald lässt Molly sich auch kosen und streicheln, was die Schuppe hält. Auch zeigt der Fisch, wo’s ihm gefällt und dreht vom Bauch sich auf den Rücken. Nach drei, vier Tagen - zum Entzücken von Susi Meier - frisst der Fisch schon aus der Hand, was sie bei Tisch an Leckerei’n für ihn gesammelt. Dass Mollys Wasser nicht vergammelt, gießt Susi täglich neues nach. Die Badetätigkeit liegt brach, und man behilft sich mit der Brause! So langsam dreht sich rings im Hause fast alles um das Schuppentier. Die Meier-Wohnung: Fischrevier und fest im Griff der Vorderflossen von Meiers nassem Hausgenossen ... - Doch mit dem letzten Stundenschlag des Jahrs naht Mollys Jüngster Tag ... und höchste Zeit ist’s auch inzwischen! Den Karpfen mittags aufzutischen, muss Molly ja geschlachtet sein! - Silvesternacht! Es wacht allein Herr Meier und im Wald die Eule. So gegen zwei mit einer Keule, schleicht Vater Meier jetzt ins Bad, auf dass er mit beherzter Tat dem Karpfentier ans Leben ginge ... Ein Messer liegt mit scharfer Klinge am Rand der Wanne zum Gebrauch, dass nach der Schlachtung aus dem Bauch er Blase nimmt und das Gekröse ... Schon zieht er, dass er sie erlöse, den Kopf von Molly aus der Flut ... dann schwingt er, wie’s der Angler tut, die Keule deckenwärts nach oben ... und eben ist sie ganz gehoben ... da drückt wer an der Türe Knauf und jemand reißt sie heftig auf ... (Fortsetzung folgt am 31.12.09) Manfred Günther * Orts- und Eigennamen wurden geändert Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 72