Pfarrer „Engel“ oder: Wie einer zu seinem Spitznamen kam! Zu Pfarrer Schmidt kommt eine Dame und spricht: Frau Meier sei ihr Name. Sie war seit ihrer Kindheit fort, doch wohne wieder jetzt im Ort; sie hätten hier ein Haus erworben. Ihr Mann sei heute früh verstorben, sie melde dies „Herrn Pfarrer“ an und frage jetzt ob, wie und wann es möglich wär’, des Amts zu walten und die Beerdigung zu halten. - Herr Pfarrer Schmidt (das ist geübt!) blickt plötzlich ernst und sehr betrübt, die schlimme Nachricht zu quittieren und dann per Hand zu kondolieren. Schon schaut er wieder amtlich drein und trägt in den Kalender ein für Übermorgen: „Gotthold Meier, dreizehn Uhr dreißig, Trauerfeier“. Danach aufs Formblatt ganz formell notiert sich Pfarrer Schmidt noch schnell Geburt und Lebenslauf des Toten. Ein Bibelwort wird angeboten, zu dem als Trost der Seelenhirt bei der Bestattung sprechen wird. Dann für die Kirche noch drei Lieder ... Jetzt geht ja wohl Frau Meier wieder? Doch nein, sie bleibt, doch bleibt sie stumm, sie zögert noch und druckst herum, um endlich sich ein Herz zu fassen: „Herr Pfarrer, würd’ es Ihnen passen, am Grab noch einmal das zu tun, was neulich Sie bei Heike Bruhn, beziehungsweise ihrem Gatten am Schluss als Segensgeste hatten?“ Der Pfarrer stutzt. Er weiß es nicht, wovon die Witwe Meier spricht und sie, sie liest’s in seiner Miene. „Herr Pfarrer, dass ich Ihnen diene und helfe der Erinnerung: Sie machten einen weiten Sprung von einer auf die andre Seite des Grabs in seiner vollen Breite, um dann zumitten seiner Gruft, - Sie standen förmlich in der Luft! - die Hände über uns zum Segen wie Engelflügel zu bewegen, die Amtstracht glich dem Rad des Pfaus ... Das sah so schön und würdig aus! Ich wusste gleich, das will ich haben, muss meinen Gotthold ich begraben! Drum frage ich Sie noch einmal: Sind sie bereit, dies Ritual auch meinem Mann zulieb zu machen?“ - Herrn Pfarrer Schmidt ist nicht zum Lachen, denn er erinnert sich noch gut: Er stand am Bruhnschen Grab, beschuht mit Slippers nur auf Ledersohlen. Am Grabesrand die beiden Bohlen vom Dauerregen glitschig nass. Der Sarg schon unten im Gelass und Schmidt, dass er das Ende fände hebt segnend grade seine Hände ... Da rutscht er aus auf glattem Grund und öffnet angstverzerrt den Mund, doch stürzt er nicht, vielmehr durch Hüpfen mit ganzer Kraft kann er sich lüpfen, so dass er übers Grab sich hebt, dort wie ein Falke rüttelnd schwebt, um endlich drüben ganz benommen vom großen Schrecken aufzukommen, das Herz verkrampft, die Beine weich und um die Nase totenbleich. - Das also ist’s, was Witwe Meier, sich wünscht für Gottholds Trauerfeier!? Enttäuscht er jetzt die gute Frau? Gibt er ihr nach, weiß er genau, er wird in Zukunft immer springen! (So nämlich ist’s mit allen Dingen, sobald sie einmal eingeführt!) - Frau Meier, die sein Zögern spürt, erkundigt sich: „Wird dieser Posten der Trauerfeier etwas kosten? Das nämlich wäre kein Problem!“ Es ist Herrn Schmidt nicht angenehm, doch sagt er zu, ihr zu gefallen. - Von da an macht Herr Schmidt bei allen Beerdigungen diesen Sprung! Er selbst sieht’s so: „Das hält mich jung und reißt durch einen frommen Schauer die Menschen raus aus tiefer Trauer und hilft im weiteren Verlauf dem Glauben und der Hoffnung auf!“ - Zum Schluss ist dies noch zu bemerken: Hat einer Mängel oder Stärken, dann geht, es kann nicht anders sein, es bald in seinen Namen ein, genauso ist’s bei Schmidt geschehen: Erst wurde Schmidt mit „Hüpf-“ versehen, doch klang’s den Leuten gar zu dreist. Heut’ heißt er Pfarrer „Engel“ meist, wobei - durch lange Übung eben - er fertigbringt, so lang zu schweben, dass schwebend er, man glaubt es nicht, auch noch die Segensworte spricht! Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 68