Verspätung oder: wie eine Hochzeit unvergesslich wird! Ist Trauung heut’! Ein Tag der Freude! In Beuern* vor dem Kirchgebäude steht (wie bestellt!) das junge Paar und der Verwandtschaft große Schar. Gleich tut sich auf der Kirche Türe, so meint man, dass nach vorn sie führe Herr Pfarrer Schmidt, der gute Mann. Wenn je ein Pfarrer trauen kann, dann er! Von seinen milden Worten schwärmt jeder auch an andern Orten, an denen jemals er getraut. (Doch werden Bräutigam und Braut die Schmidt als Trauungspfarrer wählen, dann meistens hinterher erzählen, dass er, so gut er ja auch ist, recht gern Termin und Zeit vergisst und manche Paare lange warten. Denn Pfarrer Schmidt hat einen Garten, hat Hühner, Ziegen, eine Kuh, drei Hektar Wiese noch dazu und Wintergerste - ein, zwei Morgen.) - So langsam macht das Paar sich Sorgen: Die Zeit (Punkt zwei!) ist lang vorbei, es geht ja schon auf halber drei und Schmidt ist nirgendwo zu sehen! Doch da - der Menge Augen drehen sich jetzt in Richtung Ortsausgang - kommt mit dem Traktor er entlang, an dem ein Jauchefass befestigt. Zwar fühlt man sich geruchsbelästigt, doch ist man froh: Der Pfarrer naht! (Schmidt düngte grad die Gerstensaat und hat die Trauung glatt vergessen!) Schnell wird vom Schlepper abgesessen, wobei er leicht verlegen lacht. (Wie gut, dass seine schwarze Tracht nebst Beffchen in der Kirche liegen!) Nun ist er also abgestiegen, geht grüßend jetzt am Paar vorbei zur Hintertür der Sakristei, wobei er Jaucheduft verbreitet. Die Küsterin ist vorbereitet und hält ihm den Talar schon hin. Doch fehlt ihm jetzt noch unters Kinn das weiße Beffchen für den Kragen (bei Schmidt am Gummiband zu tragen, damit es immer bündig sitzt!). Wer hat das Beffchen ihm stibitzt? Gab’s denn nichts anderes zu klauen? Wie kann ein Pfarrer „ohne“ trauen? Die Küsterin bleibt stark und still ..., dann weiß sie, was sie machen will: Sie greift - sie liegt dort in der Ecke - rasch vom Altar die alte Decke und mit der Schere schnipp und schnapp trennt sie ein kleines Stückchen ab. Statt lang die Fäden zu verwahren, hilft Uhu dieses sich zu sparen. Danach schon fast als letzter Schritt von unten noch ein langer Schnitt - Herr Pfarrer Schmidt ist Lutheraner**! Dann nimmt sie noch vom Wochenplaner zwei Plastikklammern für’s Büro, um jetzt Herrn Schmidt - was ist der froh! - das falsche Beffchen anzustecken. (Verdeckt von beiden Kragenecken schaut keine Klammer mehr heraus.) Schmidt sieht nun recht manierlich aus und ist bereit, des Amts zu walten! (Zwar lugen aus Talares Falten die Gummistiefel noch hervor, doch wird’s auch heut’ Herrn Schmidts Humor gelingen Augen, Sinn und Denken von Nichtigkeiten abzulenken ...) Schon klingt, die Leute sind erfreut, von oben auch das Kirchgeläut und endlich öffnet sich die Türe, dass Pfarrer Schmidt nach vorn sie führe, die Gäste, Bräutigam und Braut, auf dass er sie nun endlich traut. - Die Trauung selbst begeistert jeden! Noch lange hört man davon reden, wie wunderbar und schön es war: Ein Erster meint, das war uns klar, die Schmidtsche Predigt sei zu loben: „Der Mann ist gar nicht abgehoben, wenn er von Liebe, Ehe spricht!“ Ein Zweiter sagt: „Heut’ kam ein Licht von seinen beiden Kragenlaschen, als hätt’ man diese frisch gewaschen!“ Ein Dritter aber rühmt den Duft, der seiner schwarzen Pfarrerkluft entstieg: „Nach Dorf, Natur und Fluren.“ - „Herr Schmidt hat nichts von all den sturen Vertretern aus dem Pfarrerstand“, so spricht der Vierte, „int’ressant - an seinen Stiefeln oder Schlappen? - war’n auch die grünen Gummikappen!“ Der Fünfte schließlich meint zum Schluss: „Die Sache war aus einem Guss, und toll, wie er dem Paar empfohlen, demnächst ihn doch vom Feld zu holen, falls wieder einmal Hochzeit ist und er die rechte Zeit vergisst!“ Manfred Günther * Ortsname geändert ** Das lutherische Beffchen ist - wie ein umgekehrtes „V“ - gespalten Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 62