Ein Telefongespräch oder: Die Reise nach Breslau Zum Hörer greift Frau Meta Meise - sie plant schon lange eine Reise nach Breslau*, ihrer Kindheit Stadt. Und weil sie’s gerne praktisch hat, wählt sie die Ziffern jetzt der Nummer der Reiseagentur Hans Hummer, damit - der Leser hat’s geahnt! - Herr Hummer ihre Reise plant. Nun zählt, das muss man noch bemerken, das Ohr nicht zu Frau Meises Stärken; sie ist schon Achtzig, hört recht schwer. Das macht’s im Publikumsverkehr ihr oft nicht einfach zu verstehen. Und wenn sich dann noch Ziffern drehen, weil Meta Meise bei der Wahl die „Drei-Eins-Sechs“ (die rechte Zahl!) in eine „Drei-Sechs-Eins“ verwandelt, dann kann’s passieren, man verhandelt miteinemal mit einem Mann, der ziemlich wenig helfen kann, geht’s um das Reisen und die Findung von Ziel, von Zimmer und Verbindung bei Flug und Zug und Omnibus. Ein Fakt, den man verstehen muss, nur Meta M. hat’s nicht verstanden! Die Ziffern „Drei-Sechs-Eins“ verbanden sie nämlich mit der Pietät von Karlheinz Kummer, der berät - wie man sich denkt - bei Sterbefällen, kann die Beerdigung bestellen sowie den Pfarrer, der dort spricht ... nur Reiseplanung kann er nicht! - Die Sache näh’r zu illustrieren, geh’n wir jetzt ohne Zeitverlieren ins Telefongespräch hinein: Die Meldung Kummers führt uns ein: „Hier Pietät ...“, er kommt nicht weiter, denn Meta fragt: „Ist dort der Leiter Hans Hummer von der Agentur? Wir kennen uns! Die Bäderkur vor vierzig Jahren nach Masuren! Heut’ geht’s um ihre Polen-Touren ... zur Stadt, wo meine Wiege stand: Mein Breslau dort am Oderstrand! Denn in den Zeiten unterdessen, hab‘ ich die Heimat nie vergessen und führe gerne hin nochmal. Wann ist mir eigentlich egal …“ Jetzt unterbricht die andre Seite: „Das Unternehmen, das ich leite, nennt „Touren“ Überführungsfall!“ - Drauf Meta: „Wie, Verführungsball? Ist da denn nicht die Firma Hummer?“ - „Nein, gute Frau, ich heiße Kummer, berate, wenn man heimwärts zieht. Mit andern Worten, mein Gebiet ist mehr die letzte „Tour“ am Ende. Ich bin Bestatter und ich sende auf Breslaureise ... nur im Sarg!“ - „Im Sarg nach Breslau, find’ ich arg! Gibt’s da denn wenigstens Rabatte?“ - „Da müsst’ ich wissen, ob Ihr Gatte in alter Eiche liegen soll? Und wollen Sie es würdevoll mit Priester oder auf die Schnelle, mit Orgel oder Blaskapelle ...“? - „Ich bin, Herr Hummer, Fräulein noch und reise selbst, ich sagte doch ...“ - „Hier nun noch einmal, werte Dame: Nicht Hummer, Kummer ist mein Name, ich hab’ ein Sterbeinstitut ...“ - „Mein Beileid, das klingt gar nicht gut und macht, Herr Hummer, mich betroffen! Besteht denn gar kein Grund zu hoffen?“ - „Was Ihre Reise angeht ... kaum!“ - „Es war doch aber lang mein Traum, noch einmal meine Heimat sehen!“ - „Das aber wird bei mir nicht gehen, noch nicht, vielleicht jedoch schon bald ...?“ - „Ich bin, Herr Hummer, viel zu alt, um mit der Reise noch zu warten! Sie sagen mir jetzt, wann Sie starten, ich bin auf jeden Fall dabei, mit Blaskapelle ... einerlei, mit Priester auch, ganz wie Sie wollen! Auch zahl’ ich Ihnen gern den vollen, nicht rabattierten Reisepreis!“ - Am andern Ende bleibt es leis’, Herr Kummer sucht die rechten Worte. Dann spricht er: „Kunden Ihrer Sorte, die hatte ich bisher noch nie! Doch warum nicht? Ich bringe Sie nach Breslau ... nicht per Bus! - im Wagen! Denn grade liegt, was soll ich sagen, bei mir ein andrer „Reisegast“ nach Polen. Wenn es also passt, hol’ ich Sie morgen in der Frühe. Es ist für mich kaum mehr der Mühe, weshalb ich’s billig machen kann. Ich hänge halt drei Nächte dran für Ihre kleine Breslau-Reise!“ - „Na also“, sagt nun Olga Meise, „ich wusst’ es, lieber Hummer, gleich, Sie sind in unserm Stadtbereich, der Agenturen erste Nummer! Ich wünsche Ihnen, dass der Kummer, von dem sie sprachen, bald verfliegt. Dem Gast, der schon bei Ihnen liegt, ein guter Gruß, wir seh’n uns morgen! Und machen Sie sich keine Sorgen, Ihr eig’nes „Sterbeinstitut“ wird sicherlich bald wieder gut!“ Manfred Günther * Breslau = ehemals schlesische Hauptstadt, heute Wroclaw Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 61