29 : 69 oder: Der dritte Frühling Es ist in unsrer Zeit schon lange ein neuer, starker Trend im Schwange, besonders in der Ober-Welt der Schönen, Reichen, die an Geld und Gütern keinen Mangel haben. Der Trend heißt: Ziemlich alte Knaben, mehrfach Geschiedene dabei, doch auch im Witwerstand und frei, verbandeln sich mit jungen Frauen. Dann geht er auf in oft ganz grauen, schon stark entlaubten ält’ren Herrn: der dritte Frühling wie ein Stern ... Die Kraft, die Jugend kehren wieder und fahren in die morschen Glieder. Auf manchem alten, blanken Kopf, entsteht er neu, der volle Schopf in blonden, braunen, schwarzen Tönen. Und dann - man muss sich dran gewöhnen! - lässt „Opa“ den Rollator steh’n, um mit der „Enkelin“ zu geh’n, die freilich „Schätzchen“ sagt und „Bärchen“. Schon fast normal sind solche Pärchen (besonders in der Politik!). Doch stimmt Chemie und die Physik, warum denn nicht, sich so verbinden, wenn Sie und Er sich sexy finden? Denn eines ist doch sonnenklar: Es ist - sind zwei ein Ehepaar, und sie noch jung und er schon älter - die Liebesglut zwar etwas kälter, doch nimmt sie’s gerne wohl in Kauf, denn andres wiegt es deutlich auf: Zum Beispiel: Denkt sie schon an Morgen und fragt sich, wer wird mich versorgen, gibt’s einen, der das bestens kann: Ein gut gestellter alter Mann! Er kann den Job nicht mehr verlieren. Das, was er hat an Wertpapieren, an Rente, Liegenschaften, Geld, das wird, verlässt er einst die Welt, für sie das Leben schön gestalten. So sind begehrt die lieben Alten (es sei denn, dass man’s übertreibt und lang wie Jopi Heesters bleibt!). - Wir kommen zu des Mannes Seite: Die junge Frau ist oft die zweite, die dritte, manchmal Nummer vier! Und einem Manne macht’s Pläsier, sich dann (geht er schon fast an Krücken) mit einer jungen Frau zu schmücken! Das schmeichelt seinem Selbstgefühl. Und wird’s im Leben langsam kühl, dann wärmt ihm Leib und Herz die Junge! Sie steckt ihn an mit ihrem Schwunge, sie baut ihn auf und macht sich klein, er darf ihr Mann und Vater sein, wem sonst ist solches Glück gegeben? Nur eines soll man nicht erstreben, auch wenn sie reicht, die Lendenkraft: Die (allzu!) späte Vaterschaft, denn Opfer werden hier die Kinder, die alten Väter meist nicht minder: Denn ist der Papa schon betagt, so dass man zu ihm Opa sagt, dann schmerzt das ihn und auch die Kleinen, die, seh’n sie andre Kinder, meinen, sie - unter vielen - wären bloß ein Enkelkind - und vaterlos. Und, liebe Leser, sind wir ehrlich, es ist dem Kind nur schwer erklärlich, warum ein andrer Vater rockt und seiner auf dem Sofa hockt und Mozart hört, vielleicht auch Haydn. Auch Fußball kann er nicht mehr leiden, man sieht ihn wenig außer Haus, nur hie und da noch geht er aus (zum Urologen, Internisten und mit den „Dritten“ zum Dentisten). - Hier sind wir jetzt schon fast am Schluss. Zwar gäb’s noch Stoff im Überfluss, doch sind wir weit genug gediehen, um hier ein Fazit noch zu ziehen: Der klare Blick zeigt’s ganz genau, Gewinner ist die junge Frau! Der alte Mann kriegt für die Kürze des Lebensabends etwas Würze, doch oft ist grade, was es würzt, auch das, was so ein Leben kürzt, so hält sich Gut und Schlecht die Waage. Ein Kind jedoch hat ohne Frage (und ohne Schuld!) das schlechte Teil. - Mann weiche aus Gott Amors Pfeil, hat eine Frau nicht unser Alter! Es hat der Schöpfer und Erhalter für jeden Mann die Frau erdacht, die passt und die ihn glücklich macht. Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 60