Der Willkommenstrunk Zurück aus der Kur Vom Karl war öfter schon zu hören. (So wollt’ er einmal doch beschwören, er hätte ein Myom im Bauch.* Vielleicht erinnert man sich auch, was sich in zwanzig Wellnesstagen der Gattin Frieda zugetragen: Wie Karl - von ihr nicht überwacht - den Weg vom Mann zum Tier gemacht, weil Führung fehlte und Kontrolle.** Auch spielte Karl schon eine Rolle in manchem anderen Gedicht.) Hört hier und heute den Bericht, was Karl - er litt am Schwund der Knochen - bei Rückkehr von den Reha-Wochen (im Heilbad Bertrich) widerfuhr: Zu Hause war die Katze nur, die Frau ging aus, was zu besorgen (sie dachte, dass der Mann erst morgen nach Hause kommt, nicht heute schon!). Der Karl - er hat die Illusion, dass Frieda sich in einer Ecke, von Haus und Keller wohl verstecke, damit sie ihn zum Scherz erschreckt - sucht hier und da, wo Frieda steckt und kommt dabei auch in die Küche. Hier sind die üblichen Gerüche verdeckt von einem Duftbukett aus andern Düften. Ein Tablett mit einem Glas steht auf der Spüle. Dem Glas entsteigt das etwas schwüle Aroma wie’s Orange hat. Daneben - und das ziemlich satt - riecht’s auch nach Essig in Essenz. Ein dritter Duft hat die Tendenz zu off’ner Spülmaschine hin. Und tritt man näh’r, erkennt man drin im Glas den Bodensatz aus welken Zimtstangenstücken oder Nelken, was Karl die Sache jetzt erklärt: Die Kur hat grad so lang gewährt wie gute Fensterschnäpse*** reifen. So fällt’s ihm leicht, nun zu begreifen, was dieses Glas denn wohl enthält. Die Frieda hat es hingestellt, die liebevolle, gute Seele, damit sie - falls man sich verfehle - ihn freundlich schon einmal begrüßt und so die Rückkunft ihm versüßt. Auch hätt’ er sicher ihren Segen, wenn Karl, sofern sie nicht zugegen, schon gleich mal ein paar Schlucke nimmt. - Na klar, so ist es ganz bestimmt, glaubt Karl, und trinkt in vollen Zügen ... Doch pfui, er muss die Gattin rügen, war sonst der Schnaps von hohem Rang, der neue Jahrgang, er misslang! Die Brühe schmeckt ganz unbeschreiblich! Auch brennt sie innenwändig, leiblich und zwickt und zwackt und bohrt und sticht und trübt ihm Hirn und Augenlicht ... Schon meint der Karl, es geht zu Ende, da bringt ein Lauf zum Klo die Wende. (Dieselbe ist von solcher Art, dass gern Details man sich erspart. Ich sag’ nur das in meiner Dichtung: Es geht mit Macht in jede Richtung. Am Schluss ist Karl total entleert, zwar wirkt er blass, doch unversehrt, auch wenn im Bauch noch Krämpfe toben.) - Ein Schlüssel wird ins Schloss geschoben, am Eingang dreht der Messingknauf, dann geht die Wohnungstüre auf ... Die Frieda ist’s, ihr Mund steht offen, schon stammelt sie und blickt betroffen: „So kamst du also heute schon!? Doch, wenn ich ehrlich bin, der Ton von deiner Haut ist ziemlich blässlich, auch scheint dein Zustand gar nicht pässlich, du wirkst erschöpft, nicht ausgeruht, so sag’ mir, fühlst du dich nicht gut?“ Der Karl, noch sehr geschwächt vom Brechen, hat seine liebe Not beim Sprechen, ganz langsam öffnet er den Mund: „Dein Aufgesetzter ist der Grund, wenn ich mich saft- und kraftlos fühle, der Fensterschnaps von unsrer Spüle! Das war mal ein Willkommenstrank vom allerfeinsten! Vielen Dank! Der putzte durch ganz ohnegleichen!“ Jetzt ist’s an Frieda zu erbleichen: „Mein lieber Mann, das tut mir leid, ich dachte fest, es wär’ noch Zeit, du kämst nicht heute schon, erst morgen! Mir machte Ungeziefer Sorgen: Im Kopfsalat und auch im Kohl, da fühlten sich die Läuse wohl und war Salat und Kohl gewaschen, da ging’s ans Obst, daran zu naschen. Dann kamen Mücken, schwarz und klein, beim Lüften durch die Fenster rein. Beim Kochen wollten grüne Fliegen vom Kot’lett ihren Anteil kriegen. Was sollt’ ich tun in meiner Not? Verteidigung hieß das Gebot! Des Abwehrcocktails Zubereitung stand grade gestern in der Zeitung. Flugs hab’ ich diesen Trank gemischt und in der Küche aufgetischt: Von Orangeat ein kleiner Brocken und Essig, um sie anzulocken, dazu noch Pril und schon versinkt die Laus, die Mücke, wenn sie trinkt.“ - Dem Karl inzwischen wird’s nicht besser. Im Gegenteil, er wirkt noch blässer, doch hat die Schuld daran nicht nur, des „Aufgesetzten“ Rezeptur. Es will und will ihm nicht gelingen im Bauch dies Kribbeln zu bezwingen. Zwar weiß sein Hirn und sein Verstand, dass schon ein Tropfen Pril entspannt und dass die Mücken, wenn sie trinken, als Leichen schnell im Glas versinken ... Doch bleibt bei Karl (noch wochenlang!) im Bauch die Kribbelei im Schwang. Manfred Günther * Gedicht: „Das Myom“, ** Gedicht: „Karl allein zu Haus“ - beide im Buch: „Nur wenig über- trieben“, erhältlich beim Autor *** Aufgesetzter, der zur Reifung ins Fenster gestellt wird Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 59