Eiserne Hochzeit* oder: Überraschung bei der Jubelfeier Es gibt im Leben manchmal Sachen, die unsre Mienen fröhlich machen, obwohl sie eh’r zum Weinen sind. Da lachen wir dann wie ein Kind ganz unbeschwert aus voller Kehle. Erst später fällt’s uns auf die Seele und wir versteh’n: Das war kein Scherz! Im Gegenteil: Wenn unser Herz die „Sache“ prüft ganz nüchtern, ehrlich, dann wird’s uns selber unerklärlich: Warum nur lachten wir vorher? Und man begreift sich selbst nicht mehr. - Nach diesen kurzen Eingangszeilen, hab’ ich nun vor, euch mitzuteilen, was einer in der nahen Stadt erlebt und mir berichtet hat: Er war zu Gast bei einer Feier zur „Eisernen“ bei Werner Meier** und seiner Frau, der Gisela, gebor’ne Schmidt aus Sömmerda**. - Kurz vor des Dritten Reiches Ende, gab sich das Paar zum Bund die Hände, Danach noch bis zum letzten Tag, als Deutschland schon in Scherben lag, war Werner damals auf dem Posten in Schlesien, Breslau, tief im Osten. Mai Fünfundvierzig dann war’s aus: Die Russen holten ihn heraus. In Kiew kam er dann ins Lager. Sechs Jahre lang, die Kost war mager, doch die Behandlung war nicht schlecht, der Lagerkommandant gerecht, Machorka gab es siebentäglich und auch die Arbeit war erträglich. März Einundfünfzig kam die Zeit: Herr Meier, aus der Haft befreit, begann sein Leben neu im Westen. - Jetzt ist es, glaube ich, am besten, wir nehmen Anlauf, holen Schwung und machen einen großen Sprung und springen ... neunundfünfzig Jahre! Das Jubelpaar hat graue Haare, doch sieht ansonsten rüstig aus. Herr Pfarrer Gerber** ist im Haus, der Bürgermeister, die Verwandten, dazu die Freunde und Bekannten ... Den Pfarrer hat man herbestellt, dass er heut’ eine Andacht hält, das tut er - schon seit zehn Minuten. Er spricht von Gott und lobt die „guten und milden Gaben seiner Hand, die stets, seit man zusammenfand, bis heute reichlich sich ergossen.“ Auch sei „ein Gnadenborn geflossen“, der Meiers, so „wie sie’s begehrt, die sieben Kinder hat beschert, und dreiundzwanzig Enkelkinder!“ Herr Meier, seine Frau nicht minder, bewiesen darum, „dass die Gunst, des Höchsten, nicht die eig’ne Kunst dem Erdenleben Fülle“ gebe. Denn „wie am Weinstock eine Rebe, so hängt der Mensch an seinem Herrn!“ „Nun“, meint der Pfarrer, „will ich gern das Jubelpaar noch etwas fragen: Was würden sie als Antwort sagen, was war denn, schauen sie zurück des Ehelebens größtes Glück, das schönste auch, das sie erfahren, die beste Zeit in all den Jahren?“ Der Pfarrer schweigt. Man sieht sich an, der Mann die Frau, die Frau den Mann. (Es ist ja durchaus ungewöhnlich: In einer Andacht wird’s persönlich!) Dann öffnet sie zuerst den Mund: „Für mich des größten Glückes Grund, war sicher die Geburt der Kleinen!“ Nun ist Herr Meier dran. Wir meinen, dass er die Worte seiner Frau nun noch ergänzt und sagt: „Genau, ich hab’ es ebenso empfunden!“ Doch Werner schweigt. Zwar nur Sekunden, doch kommt’s uns vor minutenlang ... Dann endlich kommt er noch in Gang: „Herr Pfarrer, wenn wir’s sagen sollen und Sie das wirklich wissen wollen, was meines Lebens bestes Stück, der Abschnitt mit dem größten Glück, die unbeschwerten, frohen Tage, die guten Jahre, frei von Plage ... Dann sag’ ich’s jetzt: Das war die Haft in russischer Gefangenschaft!“ Manfred Günther * Verreimt nach dem Bericht eines Lesers ** Namen und Orte geändert Längs und quer zur Zeit – Gedichte für Alsfelder Allgemeine 49