Dokumentation Am Beispiel der Pflegeberufe Ihr mögt die Schwestern, Pfleger fragen, auch Ärzte werden davon sagen, die Psychologen nervt’s schon lang, selbst bei Dentisten kam’s in Gang. Auch Lehrer, Lehrerinnen zählen zu denen, die sie damit quälen, auch schwächt man längst dadurch die Kraft der Menschen aus der Landwirtschaft. (Doch soll für heute sich mein Dichten ausschließlich auf die Menschen richten, die der Gesundheit dienlich sind bei Frauen, Männern und beim Kind.) - So mancher hat es jetzt gerochen, doch wird’s noch einmal ausgesprochen: Das Thema heut’ steht oben schon, es geht um „Dokumentation“. Doch gibt’s ja Leser, Leserinnen, die auch nach langem Sich-Besinnen, nicht wissen, was denn hier gemeint und wie das praktisch wohl erscheint, womit heut’ mein Gedicht betitelt. Drum wird hier Kenntnis jetzt vermittelt: „Wer hat die Sache aufgebracht? Wo, wie und wann wird sie gemacht? Was wird gewonnen, was verloren?“ Auch bring’ ich klar vor eure Ohren, was unterm Strich es letztlich bringt, wenn Dokumentation gelingt und ob sich alle Mühen lohnen. - Dazu - ich kann euch nicht verschonen! - geht’s jetzt hinein ins Sachgebiet (in das es uns so gar nicht zieht!) der bürokratischen Entfaltung, mit einem Wort: in die Verwaltung. Die nämlich steht im Hintergrund, wann immer wer in Land und Bund, von Ämtern und Versicherungen zur Dokumentation gezwungen, womit die Frage nach dem „Wer“, schon Antwort findet, bitte sehr! Doch um zum „Wo“ und „Wie“ zu kommen, wird ein Stück Praxis vorgenommen: Ein Arzt vom Land, nicht aus der Stadt, der massenhaft Patienten hat (und dennoch reicht es kaum zum Leben!), behandelt seine Kranken eben und hat - nach Plan - für jedes Leid stets nur Minutenspannen Zeit. Wenn’s länger dauert, geht der Posten auf unsres Arztes eig’ne Kosten! Danach im weiteren Verlauf schreibt der Herr Doktor alles auf: Wie lange der Patient geblieben, weshalb, warum er was verschrieben. Auch ist - das zählt als Hauptgebot! - das Krankheitsbild nebst Krankheitscode genau und treffend zu erfassen, denn so gefällt’s den Krankenkassen! In jedem Fall, man denkt es sich, braucht unser Doktor sicherlich, gilt’s hier, sich schriftlich auszubreiten, noch einmal gut die selben Zeiten, die zur Behandlung er verwandt! - Genauso wie dem Ärztestand geht’s allen, die Patienten pflegen! Akribisch ist es darzulegen, was und wie lang man es getan und alles nach Minutenplan: Die Kranken betten, füttern, waschen, entleeren aller Pfannen, Flaschen, dann Fieber messen, Pulsfrequenz, geht’s auf, geht’s ab in der Tendenz? Das und noch mehr ist zu notieren, dann ohne weit’res Zeitverlieren zum nächsten Kranken im Galopp, um dort wie eben, hopp, hopp, hopp!, zu hasten, messen und zu schreiben, so kurz wie möglich nur zu bleiben, denn immer drängt und treibt die Uhr. Aus Pflege wird Versorgung nur, es fehlt die Weile zu verweilen. Statt des Gesprächs, muss man enteilen. Es reicht nicht mal, eh’ man entweicht, dass man die Stirn des Kranken streicht, weil das die Kassen nicht bezahlen. Es ist nicht schwer, sich auszumalen (zumal man’s lange ja schon spürt!), wohin uns die Entwicklung führt: Die Dokumentation frisst Stunden! Wer früh’r ein wenig Zeit gefunden für eine Geste und ein Wort, muss heute, kaum gekommen, fort. Den Pflegekräften selbst zum Kummer, wird der Gepflegte eine Nummer. Wenn alles, was die Heilung treibt aus Kostengründen unterbleibt, dann wird im Grunde nur verhindert dass Krankenpflege Leid vermindert, was eigentlich ihr tiefer Sinn! Es ist am Ende kein Gewinn, wenn Ärzte, Schwestern mit Erfassen, die Zeit vergeuden und verprassen, die für die Menschen nötig ist. - Ihr Krankenkassen, dass ihr’s wisst: Der Unsinn muss ein Ende haben! Wer Kranken dient, hat andre Gaben, als dass er schreibt und hetzt und eilt. Den Menschen im gesamten heilt, wenn wir die Seele auch erreichen. Ihm einmal übern Arm zu streichen, ein gutes Wort im sanften Ton hilft mehr als Dokumentation! Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 37